29. März 2020

Unsicherheit im Aargau


Die Aargauer Schulen rüsten sich für den Fernunterricht. Eine Schlüsselfunktion hat dabei die Beratungsstelle «imedias» der Fachhochschule Nordwestschweiz. An diese wenden sich Lehrpersonen, Schulleitungen und Eltern.
Unterricht aus der Ferne löst im Aargau viel Unsicherheit aus - Lehrer, Schüler und Eltern sind gefordert, Aargauer Zeitung, 28.3. von Eva Berger

Die Aargauer Schülerinnen und Schüler haben wegen der Coronakrise inzwischen seit zwei Wochen kein Klassenzimmer mehr von innen gesehen. Die Schulen befinden sich in der Phase 2, jenem Zeitraum, in dem die Schülerinnen und Schüler das bereits Gelernte repetieren. Sie sind mit Arbeitsmaterial versorgt und stehen mit ihren Lehrerinnen und Lehrern in Kontakt.
Am 20. April geht der Unterricht weiter, aber wahrscheinlich nicht im Schulhaus. «Wir gehen stark davon aus, dass die Schulen nach den Frühlingsferien noch geschlossen bleiben werden, weshalb wir jetzt den Fernunterricht, die Phase 3, vorbereiten», sagt der Co-Präsident des Aargauer Schulleiterverbands, Philipp Grolimund. Die Schulen klären derzeit etwa ab, wie die Schülerinnen und Schüler technisch ausgerüstet sind, und wo bei der Infrastruktur Bedarf besteht. Für vieles aber warten sie auf Rahmenbedingungen durch den Kanton. Am Mittwoch haben Vertreter der Schul- und Lehrerverbände sowie des Bildungsdepartements (BKS) diese diskutiert. Noch sind Fragen zum weiteren Verlauf offen, beispielsweise, wie Übertritte und Notengebung gestaltet werden. «Es drängt, wir brauchen die Vorgaben möglichst bald, damit die Schulen in drei Wochen bereit sein können», so Grolimund. Laut BKS wird über das weitere Vorgehen am kommenden Montag kommuniziert.
Lehrerinnen, Schüler und Eltern sind gefordert
Die Beratungsstelle Digitale Medien in Schule und Unterricht «imedias» der Pädagogischen Hochschule, Fachhochschule Nordwestschweiz (PH FHNW) begleitet die Aargauer und Solothurner Schulen auf dem Weg zur Digitalisierung mit Weiterbildungs- und Beratungsangeboten. Mit der Coronakrise hat die Anlaufstelle noch an Bedeutung gewonnen. Das Beratungstelefon läutet dauernd, sagt Claudia Fischer, Dozentin an der PH FHNW und Leiterin der Beratungsstelle. «Praktisch von einem Tag auf den anderen müssen die Schulen aus der Ferne unterrichten, dabei sind noch nicht alle bereit, das digitalisiert anzubieten», so Fischer. Ein Glück sei, dass die Digitalisierung an den Aargauer Schulen angelaufen und teilweise weit fortgeschritten ist. Dies, weil nach den Sommerferien der Lehrplan 21 eingeführt wird und damit das Fach Medien und Informatik. «Flächendeckend umgesetzt ist die Digitalisierung an den Schulen aber noch nicht.»

Gefordert sind jetzt alle Beteiligten. Die Lehrpersonen und Schulleitungen, Schülerinnen und Schüler – und nicht zuletzt die Eltern. «Wir können beraten, geprüftes Material und Unterrichtsideen zur Verfügung stellen und die Prozesse begleiten. Umsetzen müssen den Unterricht die Lehrpersonen an den Schulen», sagt Claudia Fischer. Alle müssten sich auf eine neue Art des Unterrichtens einstellen, denn aus der Distanz gestalte sich das zwangsläufig anders als im Schulzimmer. «Analogen Unterricht telquel per Video zu übertragen, ist nicht der richtige Weg. Asynchrone Modelle sind hier die bessere Option.» Lehrpersonen und Schülerinnen und Schüler, die bereits Erfahrungen im Arbeiten mit Projektunterricht und Wochenplänen gesammelt haben, seien jetzt im Vorteil: Die Schüler erhalten Aufgaben, die sie daheim mit einem Arbeitsplan erledigen, die Ergebnisse spielen sie zurück, und bekommen dazu von den Lehrpersonen Rückmeldung.

Für die Lehrpersonen und die Schüler bedeutet dies, dass die neu gefragten Fähigkeiten, zum Beispiel das «4K-Modell», eine grosse Bedeutung bekommen. Abseits von digitalen Geräten sind dabei vier Grundkompetenzen wichtig, die für das Lernen und Arbeiten im digitalen Zeitalter unabdingbar sind: Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und kritisches Denken. Die Schülerinnen und Schüler sollen selbstgesteuertes Arbeiten lernen, ohne dabei auf die Zusammenarbeit und den Austausch mit den Klassenkameraden und Lehrpersonen zu verzichten. Unterschiedliche Werkzeuge und Materialien können ausprobiert, aber auch kritisch hinterfragt werden. «Mit Ausprobieren, Reflektieren und Überarbeiten lernen Schülerinnen und Schüler aus Fehlern und entwickeln selbstständig Wege für ihr Lernen», fasst Claudia Fischer das Konzept zusammen. Darin liege eine grosse Chance für den weiteren Bildungs- und Lebensweg der Schülerinnen im digitalen Zeitalter.
Eine bis zwei Stunden pro Tag reichen aus
Aber sie müssen begleitet werden. «Ich habe grosses Vertrauen in die Lehrpersonen, dass sie den Unterricht kreativ und motivierend gestalten und die Schülerinnen und Schüler in ihren Lernprozessen optimal begleiten», betont Fischer. Wichtig sei, dass Lehrpersonen den Stoff über verschiedene geeignete Medien vermitteln und vor allem verschiedene Sinne ansprechen: Eine Einführung lasse sich vielleicht per Video machen, eine andere Aufgabe besser über Podcast oder Telefon vermitteln.
Wichtig sei auch, für den Fernunterricht Papier und Bleistift nicht zu verbannen. «Analoges und digitales Arbeiten ergänzen sich im Fernunterricht.» Zentral sei überdies, dass der Unterricht abwechslungsreich und in wohldosierten Portionen stattfindet und die Schüler nicht mit zu textlastigen Aufgabenstellungen eingedeckt werden. «Sonst führt das zu Frust und Demotivation, das muss möglichst vermieden werden», mahnt die Pädagogin.
Bei «imedias» am Beratungstelefon werden derzeit auch Mütter und Väter vorstellig, die sich Sorgen um den Lernfortschritt ihrer Kinder machen und Angst haben, nicht die richtigen Lernapps zu benützen oder die Kinder nicht genug zu fordern. Fischer beruhigt und verweist auf die Kompetenzen der Lehrpersonen, welche weiter für den Unterricht verantwortlich sind. Eltern könnten ihre Kinder aber insbesondere bei der Tagesplanung und einem gesunden Rhythmus von Lernzeit, Pausenzeit, Spielzeit und Ruhezeit unterstützen.
Für die jüngeren Kinder reiche es, wenn sie ein bis zwei Stunden am Tag konzentriert arbeiten. «Die Gefahr besteht eher, dass sie über- statt unterfordert sind.» Eltern und Betreuungspersonen könnten daneben aber das Lernen spielerisch in den Familienalltag einbauen: Rechnen üben geht auch beim gemeinsamen Kochen, Biologieunterricht gibt es im Garten oder auf dem Waldspaziergang.
Mindestens so wichtig wie der Schulstoff sind zudem die psychologischen und sozialen Faktoren. Für viele Schülerinnen und Schüler sind ein paar Wochen oder Monate eine sehr lange Zeit. Dass sie in dieser Periode weiterhin auf feste Strukturen zählen können, ist entscheidend. Hier seien die Eltern und Lehrpersonen gefordert.
Besonderes Augenmerk auf Schüler in schwierigen Situationen
Besonders im Auge behalten müssten die Schulen deshalb die Schülerinnen und Schüler aus weniger stabilen Verhältnissen. «Kinder sollten auch daheim einen ungestörten Arbeitsplatz zur Verfügung und eine Betreuungsperson haben», sagt Claudia Fischer. Keine einfache Situation für Familien, bei denen derzeit alle daheim sind, oder für Kinder, deren Eltern nach wie vor für die Arbeit das Haus verlassen müssen. Umso wichtiger ist der Kontakt zwischen Schülern und Lehrpersonen. «Die Lehrperson meldet sich einmal oder mehrmals pro Woche bei jedem Kind und stellt sicher, dass es ihm gut geht», sagt Claudia Fischer, dieser Austausch müsse gewährleistet sein.
Der Unterricht wird anders. Das ist sicher. Vielleicht würden dabei einfach andere Lernziele erreicht, als die zuvor geplanten: Die Schülerinnen werden im selbstständigen Arbeiten, in ihrer Experimentierfreudigkeit und Kreativität gestärkt, sagt die Pädagogin.


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