Die Aargauer Schulen rüsten sich für den
Fernunterricht. Eine Schlüsselfunktion hat dabei die Beratungsstelle «imedias»
der Fachhochschule Nordwestschweiz. An diese wenden sich Lehrpersonen,
Schulleitungen und Eltern.
Unterricht aus der Ferne löst im Aargau viel Unsicherheit aus - Lehrer, Schüler und Eltern sind gefordert, Aargauer Zeitung, 28.3. von Eva Berger
Die Aargauer Schülerinnen und Schüler haben wegen
der Coronakrise inzwischen seit zwei Wochen kein Klassenzimmer mehr von innen
gesehen. Die Schulen befinden sich in der Phase 2, jenem Zeitraum, in dem die
Schülerinnen und Schüler das bereits Gelernte repetieren. Sie sind mit
Arbeitsmaterial versorgt und stehen mit ihren Lehrerinnen und Lehrern in
Kontakt.
Am
20. April geht der Unterricht weiter, aber wahrscheinlich nicht im Schulhaus.
«Wir gehen stark davon aus, dass die Schulen nach den Frühlingsferien noch
geschlossen bleiben werden, weshalb wir jetzt den Fernunterricht, die Phase 3,
vorbereiten», sagt der Co-Präsident des Aargauer Schulleiterverbands, Philipp
Grolimund. Die Schulen klären derzeit etwa ab, wie die Schülerinnen und Schüler
technisch ausgerüstet sind, und wo bei der Infrastruktur Bedarf besteht. Für
vieles aber warten sie auf Rahmenbedingungen durch den Kanton. Am Mittwoch
haben Vertreter der Schul- und Lehrerverbände sowie des Bildungsdepartements
(BKS) diese diskutiert. Noch sind Fragen zum weiteren Verlauf offen, beispielsweise,
wie Übertritte und Notengebung gestaltet werden. «Es drängt, wir brauchen die
Vorgaben möglichst bald, damit die Schulen in drei Wochen bereit sein können»,
so Grolimund. Laut BKS wird über das weitere Vorgehen am kommenden Montag
kommuniziert.
Lehrerinnen,
Schüler und Eltern sind gefordert
Die
Beratungsstelle Digitale Medien in Schule und Unterricht «imedias» der
Pädagogischen Hochschule, Fachhochschule Nordwestschweiz (PH FHNW) begleitet
die Aargauer und Solothurner Schulen auf dem Weg zur Digitalisierung mit
Weiterbildungs- und Beratungsangeboten. Mit der Coronakrise hat die
Anlaufstelle noch an Bedeutung gewonnen. Das Beratungstelefon läutet dauernd,
sagt Claudia Fischer, Dozentin an der PH FHNW und Leiterin der Beratungsstelle.
«Praktisch von einem Tag auf den anderen müssen die Schulen aus der Ferne
unterrichten, dabei sind noch nicht alle bereit, das digitalisiert anzubieten»,
so Fischer. Ein Glück sei, dass die Digitalisierung an den Aargauer Schulen
angelaufen und teilweise weit fortgeschritten ist. Dies, weil nach den
Sommerferien der Lehrplan 21 eingeführt wird und damit das Fach Medien und
Informatik. «Flächendeckend umgesetzt ist die Digitalisierung an den Schulen
aber noch nicht.»
Gefordert sind
jetzt alle Beteiligten. Die Lehrpersonen und Schulleitungen, Schülerinnen und
Schüler – und nicht zuletzt die Eltern. «Wir können beraten, geprüftes Material
und Unterrichtsideen zur Verfügung stellen und die Prozesse begleiten. Umsetzen
müssen den Unterricht die Lehrpersonen an den Schulen», sagt Claudia Fischer.
Alle müssten sich auf eine neue Art des Unterrichtens einstellen, denn aus der
Distanz gestalte sich das zwangsläufig anders als im Schulzimmer. «Analogen
Unterricht telquel per Video zu übertragen, ist nicht der richtige Weg.
Asynchrone Modelle sind hier die bessere Option.» Lehrpersonen und Schülerinnen
und Schüler, die bereits Erfahrungen im Arbeiten mit Projektunterricht und
Wochenplänen gesammelt haben, seien jetzt im Vorteil: Die Schüler erhalten
Aufgaben, die sie daheim mit einem Arbeitsplan erledigen, die Ergebnisse
spielen sie zurück, und bekommen dazu von den Lehrpersonen Rückmeldung.
Für die Lehrpersonen und die Schüler bedeutet dies,
dass die neu gefragten Fähigkeiten, zum Beispiel das «4K-Modell», eine grosse
Bedeutung bekommen. Abseits von digitalen Geräten sind dabei vier
Grundkompetenzen wichtig, die für das Lernen und Arbeiten im digitalen
Zeitalter unabdingbar sind: Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und
kritisches Denken. Die Schülerinnen und Schüler sollen selbstgesteuertes
Arbeiten lernen, ohne dabei auf die Zusammenarbeit und den Austausch mit den
Klassenkameraden und Lehrpersonen zu verzichten. Unterschiedliche Werkzeuge und
Materialien können ausprobiert, aber auch kritisch hinterfragt werden. «Mit
Ausprobieren, Reflektieren und Überarbeiten lernen Schülerinnen und Schüler aus
Fehlern und entwickeln selbstständig Wege für ihr Lernen», fasst Claudia
Fischer das Konzept zusammen. Darin liege eine grosse Chance für den weiteren
Bildungs- und Lebensweg der Schülerinnen im digitalen Zeitalter.
Eine
bis zwei Stunden pro Tag reichen aus
Aber
sie müssen begleitet werden. «Ich habe grosses Vertrauen in die Lehrpersonen,
dass sie den Unterricht kreativ und motivierend gestalten und die Schülerinnen
und Schüler in ihren Lernprozessen optimal begleiten», betont Fischer. Wichtig
sei, dass Lehrpersonen den Stoff über verschiedene geeignete Medien vermitteln
und vor allem verschiedene Sinne ansprechen: Eine Einführung lasse sich
vielleicht per Video machen, eine andere Aufgabe besser über Podcast oder
Telefon vermitteln.
Wichtig
sei auch, für den Fernunterricht Papier und Bleistift nicht zu verbannen.
«Analoges und digitales Arbeiten ergänzen sich im Fernunterricht.» Zentral sei
überdies, dass der Unterricht abwechslungsreich und in wohldosierten Portionen
stattfindet und die Schüler nicht mit zu textlastigen Aufgabenstellungen
eingedeckt werden. «Sonst führt das zu Frust und Demotivation, das muss
möglichst vermieden werden», mahnt die Pädagogin.
Bei
«imedias» am Beratungstelefon werden derzeit auch Mütter und Väter vorstellig,
die sich Sorgen um den Lernfortschritt ihrer Kinder machen und Angst haben,
nicht die richtigen Lernapps zu benützen oder die Kinder nicht genug zu
fordern. Fischer beruhigt und verweist auf die Kompetenzen der Lehrpersonen,
welche weiter für den Unterricht verantwortlich sind. Eltern könnten ihre Kinder
aber insbesondere bei der Tagesplanung und einem gesunden Rhythmus von
Lernzeit, Pausenzeit, Spielzeit und Ruhezeit unterstützen.
Für
die jüngeren Kinder reiche es, wenn sie ein bis zwei Stunden am Tag
konzentriert arbeiten. «Die Gefahr besteht eher, dass sie über- statt
unterfordert sind.» Eltern und Betreuungspersonen könnten daneben aber das
Lernen spielerisch in den Familienalltag einbauen: Rechnen üben geht auch beim
gemeinsamen Kochen, Biologieunterricht gibt es im Garten oder auf dem
Waldspaziergang.
Mindestens
so wichtig wie der Schulstoff sind zudem die psychologischen und sozialen
Faktoren. Für viele Schülerinnen und Schüler sind ein paar Wochen oder Monate
eine sehr lange Zeit. Dass sie in dieser Periode weiterhin auf feste Strukturen
zählen können, ist entscheidend. Hier seien die Eltern und Lehrpersonen
gefordert.
Besonderes
Augenmerk auf Schüler in schwierigen Situationen
Besonders
im Auge behalten müssten die Schulen deshalb die Schülerinnen und Schüler aus
weniger stabilen Verhältnissen. «Kinder sollten auch daheim einen ungestörten
Arbeitsplatz zur Verfügung und eine Betreuungsperson haben», sagt Claudia
Fischer. Keine einfache Situation für Familien, bei denen derzeit alle daheim
sind, oder für Kinder, deren Eltern nach wie vor für die Arbeit das Haus
verlassen müssen. Umso wichtiger ist der Kontakt zwischen Schülern und
Lehrpersonen. «Die Lehrperson meldet sich einmal oder mehrmals pro Woche bei
jedem Kind und stellt sicher, dass es ihm gut geht», sagt Claudia Fischer,
dieser Austausch müsse gewährleistet sein.
Der
Unterricht wird anders. Das ist sicher. Vielleicht würden dabei einfach andere
Lernziele erreicht, als die zuvor geplanten: Die Schülerinnen werden im
selbstständigen Arbeiten, in ihrer Experimentierfreudigkeit und Kreativität
gestärkt, sagt die Pädagogin.
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