Die
Matheaufgaben an der Zürcher Gymiprüfung sind sprachliche Knacknüsse. Das ist
unsinnig. «Bauer Moser bezahlt seinem Angestellten 28 Franken auf die Stunde,
damit dieser per Sense eine vier Hektaren grosse Wiese mäht. Würde sich die
Anschaffung eines Mähdreschers für ihn lohnen, wenn...»: Mit solchen Aufgaben
quälen sich derzeit Tausende Sechstklässler im Kanton Zürich. Es ist wieder
Gymiprüfungszeit. Ohne Nachhilfe in speziellen Vorbereitungskursen und zu Hause
klappts kaum. Zu viele wollen ans Gymnasium, entsprechend schwierig ist die Prüfung, und ohne exzellente Vornoten hat man sowieso winzige Chancen - mit «nur» einer Fünf in Deutsch und Mathe beträgt die statistische Chance auf eine Aufnahme 15 Prozent.
Die Matheaufgaben an der Zürcher Gymiprüfung sind sprachliche Knacknüsse. Das ist unsinning. Tages Anzeiger, 21.2. von Philippe Zweifel
Wenig erstaunlich, dass da die soziale Herkunft über die
schulische Laufbahn entscheidet. Je niedriger der Bildungsabschluss der Eltern,
desto seltener gehen Kinder auf ein Gymnasium.
Gerade solche mit Migrationshintergrund haben kein elterliches Coaching,
private Vorbereitungskurse sind teuer. Dazu haben sie einen sprachlichen
Nachteil, der bei der dreiteiligen Deutschprüfung - bestehend aus Aufsatz,
Grammatikprüfung und Textverständnis - zum Tragen kommt.
Solche Kinder müssen
halt in der Mathematikprüfung punkten, könnte man nun argumentieren. Doch genau
hier zeigt sich eine weitere fragwürdige, jahrzehntealte Eigenheit der Gymiprüfung:
Die Mathematikaufgaben sind extrem sprachlastig und bewusst kompliziert
formuliert. Sie sind so nicht nur für Migrantenkinder ein Nachteil, sondern für
alle Schüler, die nicht besonders sprachstark sind.
Die linguistische
Herausforderung beginnt beim Vokabular. In den Textaufgaben geht es um
Meerschweinchen, die aus Trögen trinken, oder Treibstoff, der berechnet werden
muss. Auch was ein Ersatzkanister ist, dürfte nicht jedem Elfjährigen klar
sein. Natürlich lässt sich der Sinn aus dem Kontext ablesen, aber in einer
Stresssituation ist das eine zusätzliche Belastung.
Das eigentliche Ärgernis
ist: Von neun Aufgaben sind mindestens fünf Textaufgaben, bei denen es vor dem
Rechnen erst einmal darum geht, sie sprachlich zu verstehen. Absichtlich
verschachtelt konstruierte Sätze müssen dekonstruiert und in eine mathematische
Aufgabe umgewandelt werden. Und ganz am Schluss der Aufgabe bauen die pfiffigen
Dreisatz-Konstrukteure gerne einen letzten Fallstrick ein: «Wie viele
Dachlatten hat Schreiner Leibundgut nicht gebraucht?» Wehe dem, der das
Wörtlein «nicht» überliest!
Manchmal treiben es die Aufgabensteller so weit,
dass die Formulierung schlicht schwammig ist, also unpräzis, wie es die Sprache
im Vergleich zu Zahlen nun mal ist.
Ich höre bereits die Einwände: Die
zukünftige Elite der Schweiz, die am Gymnasium ausgebildet wird, muss doch in
der Lage sein, sprachliche Finessen zu meistern! Das ist richtig. Doch dies
wird mit dem Verfassen eines Aufsatzes, dem Textverständnis und der
Grammatikprüfung zur Genüge sichergestellt.
Dass auch mit der Mathematikprüfung
Textverständnis geprüft wird, entlarvt eine Sprachfixierung, die auch im
Lateinzwang der Zürcher Langzeitgymnasien erkennbar ist. Das ist eine unnötige
kulturelle Barriere und angesichts des Fachkräftemangels in den hoch
qualifizierten technischen Berufen widersinnig.
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