1. März 2020

Sprachlastige Aufnahmeprüfung


Die Matheaufgaben an der Zürcher Gymiprüfung sind sprachliche Knacknüsse. Das ist unsinnig. «Bauer Moser bezahlt seinem Angestellten 28 Franken auf die Stunde, damit dieser per Sense eine vier Hektaren grosse Wiese mäht. Würde sich die Anschaffung eines Mähdreschers für ihn lohnen, wenn...»: Mit solchen Aufgaben quälen sich derzeit Tausende Sechstklässler im Kanton Zürich. Es ist wieder Gymiprüfungszeit. Ohne Nachhilfe in speziellen Vorbereitungskursen und zu Hause klappts kaum. Zu viele wollen ans Gymnasium, entsprechend schwierig ist die Prüfung, und ohne exzellente Vornoten hat man sowieso winzige Chancen - mit «nur» einer Fünf in Deutsch und Mathe beträgt die statistische Chance auf eine Aufnahme 15 Prozent. 
Die Matheaufgaben an der Zürcher Gymiprüfung sind sprachliche Knacknüsse. Das ist unsinning. Tages Anzeiger, 21.2. von Philippe Zweifel


Wenig erstaunlich, dass da die soziale Herkunft über die schulische Laufbahn entscheidet. Je niedriger der Bildungsabschluss der Eltern, desto seltener gehen Kinder auf ein Gymnasium. Gerade solche mit Migrationshintergrund haben kein elterliches Coaching, private Vorbereitungskurse sind teuer. Dazu haben sie einen sprachlichen Nachteil, der bei der dreiteiligen Deutschprüfung - bestehend aus Aufsatz, Grammatikprüfung und Textverständnis - zum Tragen kommt. 

Solche Kinder müssen halt in der Mathematikprüfung punkten, könnte man nun argumentieren. Doch genau hier zeigt sich eine weitere fragwürdige, jahrzehntealte Eigenheit der Gymiprüfung: Die Mathematikaufgaben sind extrem sprachlastig und bewusst kompliziert formuliert. Sie sind so nicht nur für Migrantenkinder ein Nachteil, sondern für alle Schüler, die nicht besonders sprachstark sind. 

Die linguistische Herausforderung beginnt beim Vokabular. In den Textaufgaben geht es um Meerschweinchen, die aus Trögen trinken, oder Treibstoff, der berechnet werden muss. Auch was ein Ersatzkanister ist, dürfte nicht jedem Elfjährigen klar sein. Natürlich lässt sich der Sinn aus dem Kontext ablesen, aber in einer Stresssituation ist das eine zusätzliche Belastung. 

Das eigentliche Ärgernis ist: Von neun Aufgaben sind mindestens fünf Textaufgaben, bei denen es vor dem Rechnen erst einmal darum geht, sie sprachlich zu verstehen. Absichtlich verschachtelt konstruierte Sätze müssen dekonstruiert und in eine mathematische Aufgabe umgewandelt werden. Und ganz am Schluss der Aufgabe bauen die pfiffigen Dreisatz-Konstrukteure gerne einen letzten Fallstrick ein: «Wie viele Dachlatten hat Schreiner Leibundgut nicht gebraucht?» Wehe dem, der das Wörtlein «nicht» überliest! 

Manchmal treiben es die Aufgabensteller so weit, dass die Formulierung schlicht schwammig ist, also unpräzis, wie es die Sprache im Vergleich zu Zahlen nun mal ist. 

Ich höre bereits die Einwände: Die zukünftige Elite der Schweiz, die am Gymnasium ausgebildet wird, muss doch in der Lage sein, sprachliche Finessen zu meistern! Das ist richtig. Doch dies wird mit dem Verfassen eines Aufsatzes, dem Textverständnis und der Grammatikprüfung zur Genüge sichergestellt. 

Dass auch mit der Mathematikprüfung Textverständnis geprüft wird, entlarvt eine Sprachfixierung, die auch im Lateinzwang der Zürcher Langzeitgymnasien erkennbar ist. Das ist eine unnötige kulturelle Barriere und angesichts des Fachkräftemangels in den hoch qualifizierten technischen Berufen widersinnig.

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