Die Logopädinnen und Logopäden aus dem Kanton
Solothurn wollen die Vielfältigkeit ihres Berufs aufzeigen und fordern mehr
Ressourcen.
Mehr als Hilfe für lispelnde Kinder: Logopädinnen wünschen sich mehr Ressourcen, Solothurner Zeitung, 6.3. von Rebekka Balzarini
Das Logopädiezimmer in Biberist ist voll mit
Büchern und Spielsachen. In der Ecke steht ein Trampolin, an der Wand hängen bunte
Reifen. In dem Zimmer in Biberist geht es aber nichts nur ums Spielen, sondern
auch um Sprache. Am Tisch sitzt Logopädin Sira Kaiser, ihr gegenüber ein
Primarschüler. Gemeinsam üben sie den Laut «P». Mit jedem gelungenen «P» pusten
sie kleine Wattebäusche auf ein Blatt Papier zwischen ihnen. Am Ende kann der
Schüler daraus einen Schneemann auf das Blatt kleben.
Sira Kaiser ist Logopädin an der Primarschule in
Biberist und Co-Präsidentin des Vereins der Logopädinnen und Logopäden des
Kantons Solothurn (VLS). Der VLS möchte anlässlich des heutigen europäischen
Tages der Logopädie die Vielfältigkeit und den Nutzen der Logopädie betonen.
Und damit zeigen, wieso es sich lohnt, Ressourcen in die Logopädie zu
investieren.
Zum einen macht den Schulen im Kanton Solothurn ein
Fachkräftemangel zu schaffen, der vor allem auf dem Land zu spüren ist. Zum
anderen könnten die Logopädinnen und Logopäden im Kanton mehr Stunden brauchen.
Viele Logopäden an den Solothurner Schulen haben lange Wartelisten, auf der
Liste von Sira Kaiser stehen manchmal bis zu zehn Kinder.
Viele Kinder, aber nur wenig Stunden
Die Logopädiestunden an den Schulen im Kanton
Solothurn werden durch die Gemeinden finanziert. Pro 100 Schüler müssen die
Gemeinden mindestens drei und maximal sechs Stunden finanzieren, an den meisten
Schulen werden die sechs Stunden gewährt. Trotzdem sind die Stunden laut dem VLS
knapp bemessen: «Zwischen fünf bis zwölf Prozent der Kinder haben
Sprachentwicklungsstörungen», sagt Sira Kaiser.
Logopädie kommt an den Schulen nicht nur dann zum
Einsatz, wenn es bei der Aussprache hapert. Logopäden helfen auch bei Problemen
mit der Grammatik, bei Stottern oder dann, wenn Kinder einen zu kleinen
Wortschatz haben. Damit sind sie eine wertvolle Ergänzung zum Unterricht,
bestätigt Roland Misteli vom Verband Lehrerinnen und Lehrer Solothurn (LSO).
«Die gezielte Förderung in der Logopädie entlastet den Unterricht in den
Regelklassen», schreibt er auf Anfrage.
Besonders eine Entwicklung der letzten Jahre hat
bewirkt, dass die Wartelisten der Logopädinnen und Logopäden voll sind: In
Zusammenhang mit der schulischen Integration kamen mehr Kinder in die
Kindergärten und Primarschulen, die vorher in der Sprachheilschule betreut
wurden. Für Kinder mit dem Sonderschulstatus erhalten Schulen zwar zusätzliche
Logopädiestunden im Rahmen der Integrativen sonderpädagogischen Massnahmen
(ISM). Allerdings nur dann, wenn die Kinder zusätzlich noch eine andere
Beeinträchtigung aufweisen und von einer Heilpädagogin betreut werden müssen.
Ist dies nicht der Fall, dann müssen die Kinder in
Stunden aus dem herkömmlichen Pool für Logopädiestunden betreut werden. Andere
Kinder mit leichteren Sprachstörungen rutschen so auf der Warteliste nach
unten, und die Kinder mit schweren Störungen können trotzdem nicht so intensiv
betreut werden, wie sie es eigentlich nötig hätten.
Das kann laut VLS-Co-Präsidentin Sira Kaiser Spätfolgen
verursachen: «Wenn Kinder nicht verstanden werden, dann ist das für sie
schlimm. Sie könnten sich zurückziehen oder Verhaltensstörungen entwickeln»,
erklärt sie.
Damit Kinder erfolgreich an ihrem Alltag teilhaben
können, sei deshalb früh eine umfassende Betreuung nötig. Logopädie als ISM
soll deshalb für Kinder mit schweren Spracherwerbsstörungen, welche keine
zusätzliche Beeinträchtigung haben, auch ohne Heilpädagogik angeboten werden
können. Und zwar ohne dafür Stunden aus dem logopädischen Pool beziehen zu
müssen.
Diese Forderung wird vom Verband Lehrerinnen und
Lehrer Solothurn laut Roland Misteli unterstützt – unter einer Bedingung:
«Wichtig ist, dass die zusätzlichen Lektionen nicht aus dem Pool für
heilpädagogische Stunden abgezogen werden», schreibt er.
Kanton will vorerst nichts an der Stundenzahl
ändern
Die Verfahren und Zuständigkeiten im Bereich der
Logopädie im Kanton Solothurn sind im Merkblatt Logopädie festgelegt, welches
der Kanton im Jahr 2015 gemeinsam mit dem VLS erarbeitet hat. Dem Kanton
Solothurn ist der Wunsch des LSO und des VLS nach mehr Logopädiestunden für
Kinder mit Sonderschulstatus bekannt. Das schreibt Andreas Walter, der
Amtsvorsteher des Solothurner Volksschulamts auf Anfrage. Allerdings will der
Kanton den beiden Verbänden vorerst nicht entgegenkommen.
«Die Umsetzung gemäss erwähntem Merkblatt hat sich
grossmehrheitlich bewährt. Es ermöglicht den Beteiligten eine transparente,
kantonsweit einheitliche und damit rechtsgleiche Anwendung. Eine Ausweitung der
Angebote ist nicht angezeigt», schreibt er. Und weiter: «Aus qualitativen
Gründen müsste vor einem allfälligen Ausbau zwingend zuerst genügend
zusätzliches Fachpersonal rekrutiert und ausgebildet werden. Eine durchaus
schwierige Aufgabe im Kampf um die besten Leute in den einzelnen
Fachdisziplinen.»
Am meisten würde es laut Walter die kleinen
Gemeinden treffen, wenn zusätzliche Logopädiestunden für Kinder mit
Sonderschulstatus bewilligt würden. Diese hätten dann laut Walter noch mehr
Mühe als heute, Logopädinnen und Logopäden für ihre Schulen zu finden.
Ganz vom Tisch ist die Möglichkeit für mehr
Logopädiestunden aber nicht. Ab April 2020 könnte es eine mögliche Entlastung
geben im Bereich der Logopädie. Ab April sind Therapiestunden für Kinder, die
an einer anatomischen Beeinträchtigung wie etwa einer Nasen-Gaumen-Spalte
leiden, wieder zu einem gewissen Teil von Krankenkassen finanziert. Hier sieht
Walter ein mögliches Potenzial für eine Entlastung im Bereich der Logopädie.
«Die neuen Zuständigkeiten und Abrechnungsverfahren müssen sich aber noch
einspielen», so Walter.
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