12. März 2020

Französisch auf dem Abstellgleis?


In der Lehre könnte künftig nur noch eine Fremdsprache obligatorisch sein. Politiker sehen die zweite Landessprache in Gefahr.
Umbau beim KV: Nur noch eine obligatorische Fremdsprache - ist Französisch bald passé? Aargauer Zeitung, 11.3. von Maja Briner

Ausgerechnet an der beliebtesten Lehre der Schweiz entzündet sich ein neuer Sprachenstreit. Denn das KV steht vor einem Umbau. Die Lehre soll fit für die Zukunft werden, bereit für die digitale Arbeitswelt. Im Zuge dieses Umbaus, so befürchten Kritiker, könnte das Französisch auf der Strecke bleiben. Denn geplant ist, dass für KV-Lehrlinge nur noch eine Fremdsprache obligatorisch ist: entweder Englisch oder eine zweite Landessprache – in der Deutschschweiz also Französisch oder Italienisch. Der Entscheid, welche Sprache ein Lernender wählt, soll auf den Betrieb abgestimmt sein.
Die zuständige Organisation, die Schweizerische Konferenz der kaufmännischen Ausbildungs- und Prüfungsbranchen, begründet den geplanten Schritt mit den Anforderungen im Arbeitsmarkt. Eine Analyse habe ergeben, dass Lernende im Betrieb selten zwei Fremdsprachen benötigten, erklärt Geschäftsleiter Roland Hohl. «Mit der Fokussierung auf eine Fremdsprache können die Sprachkompetenzen besser und praxisorientierter entwickelt werden, insbesondere auch, weil sie im Betrieb angewandt werden können.» Das komme den Lernenden zweifellos zugute.

Französisch auf dem Abstellgleis?
Der Entscheid ist noch nicht definitiv, weckt aber bereits Kritik. Der Vizepräsident des Lehrerverbands, Samuel Zingg, warnte in einem Artikel davor, den Schweizer Vorteil der Mehrsprachigkeit leichtfertig aus der Hand zu geben. Auf Anfrage erklärt er: «Wenn die Lernenden oder ‹der Markt› entscheiden müssten, ob Französisch oder Englisch besucht werden soll, dann ist die Wahl schnell gefallen.» Zingg, der selber Französisch unterrichtet, verweist auf die Erfahrungen bei der Ausbildung der Sekundarschullehrer, die ebenfalls wählen können: Die grosse Mehrheit entscheide sich für Englisch. In seinem Jahrgang schlossen 143 das Fach Englisch ab und nur 23 Französisch. Im KV, so befürchtet er, würde sich dies gleich entwickeln. «Die Konsequenz wäre, dass man Französisch für das KV nicht mehr brauchen würde.» Zingg geht noch einen Schritt weiter: «Bald darauf würde sich die Frage stellen, wieso wir in der Volksschule überhaupt eine zweite Landessprache als Pflichtfach unterrichten.»

Roland Hohl verteidigt die Pläne gegen die Kritik. Er betont: «Wer mehrere Sprachen beherrscht, ist im kaufmännischen Berufsfeld klar im Vorteil.» Auch bleibe Französisch für viele Unternehmen wichtig. Er sieht darin aber keinen Widerspruch zum Plan, nur eine Fremdsprache als obligatorisch zu erklären. Er verweist darauf, dass Fremdsprachen weiterhin als Freifächer angeboten werden, ebenso vertiefende Sprachaufenthalte und bilingualer Unterricht. Zudem mache mehr als ein Drittel aller Lernenden eine lehrbegleitende Berufsmatura – und dort sind auch künftig zwei Fremdsprachen obligatorisch.

«Das wäre fatal – ein Schritt in die falsche Richtung»
Kritikern ist das jedoch zu wenig. Der geplante Entscheid stösst bei Bildungspolitikern auf Widerstand. «Das wäre fatal», sagt Christoph Eymann, LDP-Nationalrat und ehemaliger Basler Bildungsdirektor. «In unserem mehrsprachigen Land wäre das ein Schritt in die falsche Richtung.» Dass Lernende in den Betrieben selten zwei Fremdsprachen brauchen, ist für Eymann kein Argument, nur eine zu lernen. «Erstens sollte man auch in der KV-Lehre über den Tellerrand blicken und nicht nur das lernen, was unbedingt gebraucht wird. Zweitens weiss man nie, ob man eine Fremdsprache später doch noch braucht.»

Eymann war Präsident der kantonalen Erziehungsdirektoren, als der Sprachenstreit in den Schulen hohe Wellen schlug. Kantone wie Thurgau oder Nidwalden wollten Französisch nicht mehr in der Primarschule unterrichten, krebsten später jedoch zurück. Heute sagt ­Eymann mit Blick auf die KV-Lehre: «Kaum ist der Sprachenstreit ausgestanden, kommt der nächste Angriff.» Auch SP-Nationalrätin Sandra Locher Benguerel, Bildungspolitikerin und Lehrerin, beurteilt die Pläne skeptisch – und warnt vor einem vorschnellen Entscheid. «Die Sprachkompetenzen werden in der Volksschule sorgfältig aufgebaut», sagt sie. «Das sollte man nicht zu Beginn der KV-Lehre der Freiwilligkeit übergeben.» Schliesslich seien kommunikative Fähigkeiten sowie die Weiterpflege der zweiten Landessprache gerade im KV sehr wichtig.

Locher Benguerel sieht zwei weitere gewichtige Nachteile: Erstens wäre es schwierig, die Berufsmaturität nach der Lehre nachzuholen, wenn in der Berufsschule nur eine Fremdsprache gelehrt würde. Das widerspreche dem Ziel, dass die Bildung möglichst durchlässig sein soll. Zweitens, so befürchtet die Bündnerin, würde der Druck auf die zweite Landessprache in der Volksschule wachsen. «Das könnte einen Stein ins Rollen bringen – und den ganzen Sprachenstreit wieder aufleben lassen. Und das wäre aktuell nicht zielführend.»

Noch ist der Entscheid über die zukünftige KV-Ausbildung nicht definitiv: Im Sommer soll der erste Entwurf der Bildungserlasse verabschiedet werden, danach folgen eine interne Anhörung und eine eidgenössische Vernehmlassung.


1 Kommentar:

  1. Schweizerische Berufsausbildung auf gefährlichen Abwegen
    ("Französisch soll am KV nicht mehr Pflicht sein", Aargauer Zeitung vom 11. März 2020)

    Der radikale Umbau der KV-Ausbildung mit dem Projekt «Kaufleute 2022» könnte ein schwerer Schlag für die bisher weltweit erfolgreiche Schweizer Berufsausbildung werden, wenn die sogenannte «Kompetenzorientierung» mit dem «selbstgesteuerten Lernen», wie wir sie bereits vom umstrittenen Lehrplan 21 kennen, auch in anderen Berufen «Schule machen» sollte.
    Die Reform «Kaufleute 2022» soll KV-Abgänger angeblich fit für die Zukunft machen. Fachkompetenz sei nicht mehr in erster Linie gefragt. Der KV-Lehrling schlüpfe in die Rolle eines «agilen Vermittlers», was immer das sein soll. Deshalb sollen sie anstelle der bisherigen klassischen Fächer diffuse «Handlungskompetenzen» wie «Handeln in agilen Arbeits- und Organisationsformen» oder «Interagieren in einem vernetzten Arbeitsumfeld» erwerben. KV-Lehrer befürchten deswegen einen Abbau von Grundlagenwissen. Die KV-Lehrkräfte können bei der Reform jedoch nicht mitreden. Verschiedene Zürcher KV-Schulen haben ihnen einen Maulkorb verpasst, damit sie sich nicht kritisch zum Projekt «Kaufleute 2022» äussern können.
    Hauptfächer wie Finanz- und Rechnungswesen sollen abgewählt werden können. Das bedeutet, dass die Lehrbetriebe ihre Lehrlinge in diesen Fächern selber ausbilden müss­ten. Die Hauptfächer bilden die unerlässlichen Grundkompetenzen im kaufmännischen Beruf, auf die kein Betrieb verzichten kann.
    Die kaufmännische Lehre ist mit Abstand die beliebteste Berufslehre der Schweiz. Über 13 000 Jugendliche starteten 2019 eine Ausbildung in einer der 21 KV-Branchen. Jetzt soll ausgerechnet diese erfolgreiche Berufslehre mit der Radikalreform «Kaufleute 2022» total umgebaut werden. Mit düsteren Zukunftsszenarien wie angeblich durch die Digitalisierung gefährdeten 100 000 Bürostellen soll der Boden für diese Radikalreform vorbereitet werden. So etwas wurde schon in den Anfängen der Digitalisierung mit dem sogenannten ‹papierlosen Büro› prophezeit, was dann im Gegenteil zur heutigen gewaltigen Papierflut geführt hat.
    Mit dieser A-la-carte-Ausbildung wird das bisher allgemein anerkannte Eidgenössische Fähigkeitszeugnis zu einem wertlosen Stück Papier. Damit sehen nicht nur die Lehrpersonen schwarz für die Zukunft. Unserer Jugend droht mit der Schmalspurausbildung höhere Arbeitslosigkeit und den Firmen eine tiefere Wertschöpfung.
    Peter Aebersold, Zürich

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