26. Februar 2020

Problematischer Handygebrauch hat auch Auswirkungen aufs Gehirn


Der Prozess beginnt schleichend. Die Kinder und Teenager werden stiller und verbringen lieber die Zeit im Zimmer mit ihrem Smartphone, dem Tablet oder dem Laptop, statt etwas draussen zu unternehmen. Wenn die Eltern dann den Handykonsum zur Diskussion stellen und das Handy wegnehmen wollen, kommt es zu Streit, Wutausbrüchen bis hin zur Gewaltandrohung oder Essensverweigerung. 
Süchtig nach der virtuellen Welt, Basler Zeitung, 25.2. von Micha Hauswirth


Heute nutzen bereits 59 Prozent der 6- bis 13-Jährigen mindestens wöchentlich ihr Handy oder Smartphone – knapp ein Drittel haben dabei in ihrem Zimmer Internetzugang, was die Kontrolle über den Konsum erschwert. Während die Eltern in der Primarstufe noch mittels Regeln und kleinen Sanktionen den Handykonsum ihrer Kinder einzudämmen vermögen, wird es in der Oberstufe schwierig. Grund ist nicht nur der Beginn der Pubertät und die erwachende Rebellion gegen alles Elterliche und die damit verbundenen Regeln. Ebenso spielt eine Rolle, dass die Kinder oft Informationen über den Klassenbetrieb, die Hausaufgaben oder die Schule per Klassenchat erhalten.Totalabstinenz ist somit fast nicht mehr einforderbar–und das nutzen Jugendliche geschickt, um ihren Onlineinteressen nachzugehen.

Vier oder mehr Stunden
Besonders anfällig für einen problematischen sprich übermässigen Handykonsum sind 12- bis 14-Jährige,wieSucht Schweiz in einer Erhebung festhält. 8,5 Prozent dieser Altersgruppe hat den Handykonsum kaum oder gar nicht mehr im Griff. Das bedeutet nicht nur, täglich am Handy zu sein, sondern auch viel zu lange – meist deutlich über eine Stunde. Es gibt Fälle, da sind es vier Stunden oder noch mehr. 

«Das Problem für die Jugendlichen ist nicht nur das Smartphone, sondern auch der problematische Gebrauch des Internets, das heisst eine Onlinesucht beziehungsweise Medienabhängigkeit», sagt Renanto Poespodihardjo, Spezialist für Abhängigkeitserkrankungen an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel (UPK). Ein übermässiger Smartphonekonsum hat Folgen: Eine Studie der Uni Heidelberg fand heraus, dass wie bei Süchtigen die sogenannte graue Substanz im Gehirn bei unkontrolliertem Handykonsum schrumpft. Die Folge: eine verminderte Hirnaktivität. Dieses Phänomen kennen die Forscher von Drogenabhängigen. Die Studie liefert den ersten Beweis für einen Zusammenhang zwischen Smartphonenutzung und einer physiologischen Veränderung des Gehirns.

Youtube, Tiktok, Gamen
Fast alle12-bis19-Jährigen nutzen ihr Smartphone täglich. Doch was schauen sie eigentlich? Während für die einen der Chat mit Kolleginnen und Kollegen im Vordergrund steht, werden von anderen marathonmässig Youtube-Videos und Tiktok-Posts angeschaut. Zudem verfolgen sie, was ihre Stars und Sternchen und Influencer auf Instagram posten – und sie spielen Spiele, was auf Neudeutsch dann gamen genannt wird. Meistens wischen und tippen sich die Jugendlichen ohne konkretes Ziel durch die virtuelle Welt.«In Fachkreisen wird betont, dass eine übermässige Medien- oder Smartphonenutzung bei Kindern und Jugendlichen häufig nur eine vorübergehende Phase ist», sagt Valérie Rhein vom Erziehungsdepartement Basel-Stadt. «Gerade neue Angebote werden intensiv genutzt, doch sobald der Reiz neuer Spiele oder Apps nachlässt, rücken andere Interessen wieder in den Mittelpunkt.» 

Doch leider finden längst nicht alle von selber zurück zu einem reduzierten Umgang mit dem Smartphone.«Während sieben Prozent der 15- bis 19-Jährigen das Internet problematisch nutzen, weisen Personen ab 35 Jahren diese Problematik nur selten auf», so Poespodihardjo. 

Doch was ist überhaupt problematisch in einer Gesellschaft, wo jede und jeder dauernd und überall das Handy zückt, um drauf zu starren? Sind nicht viele Erwachsene auch süchtig oder doch zumindest Sklaven dieses Geräts?«Die Anzahl Stunden, die pro Tag am Computermit Spielen verbracht werden, sind kein ausreichendes Kennzeichen für Sucht», heisst es in den Tipps «Medienkompetenz» der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften(ZHAW). Gewisse Games würden viel Übung erfordern, um im Spielverlauf weiterzukommen. «Vermuten Eltern jedoch als Nutzungsmotiv eher Flucht und Ablenkung als Unterhaltung, sollten sie genauer hinschauen.» 

Der Grund für eine exzessive Mediennutzung liege häufig nicht in der Faszination oder im Unterhaltungswert der Medien an sich, sondern im Wunsch, sich durch Medien abzulenken, schreibt die ZHAW. Zwei bis drei Stunden täglich am Handy sind also besonders dann alarmierend, wenn die Tochter oder der Sohn in der Schule merklich nachlässt, den Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen schleifen lässt und aggressiv wird, wenn die Eltern ihr oder ihm das Handy wegnehmen.

Rückzug in die Isolation
In der Schweiz nutzen rund 70000 Personen ab 15 Jahren das Internet problematisch. Die Teenager sind zuvorderst. 

Die Smartphone-und Handysucht ist nicht ohne Folgen für die Betroffenen und ihr Umfeld. Abgesehen von den Spannungen, die sich daraus mit den Eltern ergeben, oder von den Sanktionen wegen übermässigen Handykonsums und der Auflehnung gegen diese, gehen die Schulnoten runter, der Schlaf und damit die Erholung und Ruhe leiden, und die Gleichgültigkeit wächst. Es folgt ein Rückzug aus Sport und Hobbys. 

Wie bei jeder Sucht gibt es auch beim Handy eine Isolation, in die Betroffene geraten. Gerade bei Kindern und Jugendlichen, die ihren Platz in der Gesellschaft noch finden müssen, kann das psychologische Folgen haben. Grundsätzlich würden zwar soziale Netzwerke nicht zu «Scheinfreundschaften» führen oder «auf Kosten realer Begegnungen» gehen, hält die ZHAW in einer Studie fest. Es gibt jedoch ein Aber: «Wer im realen Leben schwer Kontakte knüpfen und vertrauensvolle Beziehungen aufbauen kann, wird dies online noch weniger tun.» 

Eltern, die das Gefühl haben, dass ihr Kind süchtig ist, sollen Hilfe suchen, rät Poespodihardjo. In den Schulen ist das Problem bekannt, spezifische Meldungen zum Thema Smartphonesucht gebe es keine, sagt Valérie Rhein vom Erziehungsdepartement Basel-Stadt. «Im Falle von Auffälligkeiten im Verhalten von Kindern und Jugendlichen kontaktieren Lehr- und Fachpersonen oder die Schulleitungen die Mitarbeitenden der Schulsozialarbeit. In Beratungsgesprächen kann ein übermässiger Handygebrauch von Kindern und Jugendlichen thematisiert werden.»

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