Der Prozess
beginnt schleichend. Die Kinder und Teenager werden stiller und verbringen
lieber die Zeit im Zimmer mit ihrem Smartphone, dem Tablet oder dem Laptop,
statt etwas draussen zu unternehmen. Wenn die Eltern dann den Handykonsum zur Diskussion
stellen und das Handy wegnehmen wollen, kommt es zu Streit, Wutausbrüchen bis
hin zur Gewaltandrohung oder Essensverweigerung.
Süchtig nach der virtuellen Welt, Basler Zeitung, 25.2. von Micha Hauswirth
Heute nutzen bereits 59
Prozent der 6- bis 13-Jährigen mindestens wöchentlich ihr Handy oder Smartphone
– knapp ein Drittel haben dabei in ihrem Zimmer Internetzugang, was die
Kontrolle über den Konsum erschwert. Während die Eltern in der Primarstufe noch
mittels Regeln und kleinen Sanktionen den Handykonsum ihrer Kinder einzudämmen vermögen,
wird es in der Oberstufe schwierig. Grund ist nicht nur der Beginn der Pubertät
und die erwachende Rebellion gegen alles Elterliche und die damit verbundenen
Regeln. Ebenso spielt eine Rolle, dass die Kinder oft Informationen über den Klassenbetrieb,
die Hausaufgaben oder die Schule per Klassenchat erhalten.Totalabstinenz ist
somit fast nicht mehr einforderbar–und das nutzen Jugendliche geschickt, um ihren
Onlineinteressen nachzugehen.
Vier oder
mehr Stunden
Besonders
anfällig für einen problematischen sprich übermässigen Handykonsum sind 12- bis
14-Jährige,wieSucht Schweiz in einer Erhebung festhält. 8,5 Prozent dieser Altersgruppe
hat den Handykonsum kaum oder gar nicht mehr im Griff. Das bedeutet nicht nur,
täglich am Handy zu sein, sondern auch viel zu lange – meist deutlich über eine
Stunde. Es gibt Fälle, da sind es vier Stunden oder noch mehr.
«Das Problem für
die Jugendlichen ist nicht nur das Smartphone, sondern auch der problematische Gebrauch
des Internets, das heisst eine Onlinesucht beziehungsweise Medienabhängigkeit»,
sagt Renanto Poespodihardjo, Spezialist für Abhängigkeitserkrankungen an den Universitären
Psychiatrischen Kliniken Basel (UPK). Ein übermässiger Smartphonekonsum hat
Folgen: Eine Studie der Uni Heidelberg fand heraus, dass wie bei Süchtigen die
sogenannte graue Substanz im Gehirn bei unkontrolliertem Handykonsum schrumpft.
Die Folge: eine verminderte Hirnaktivität. Dieses Phänomen kennen die Forscher von
Drogenabhängigen. Die Studie liefert den ersten Beweis für einen Zusammenhang
zwischen Smartphonenutzung und einer physiologischen Veränderung des Gehirns.
Youtube,
Tiktok, Gamen
Fast alle12-bis19-Jährigen
nutzen ihr Smartphone täglich. Doch was schauen sie eigentlich? Während für die
einen der Chat mit Kolleginnen und Kollegen im Vordergrund steht, werden von
anderen marathonmässig Youtube-Videos und Tiktok-Posts angeschaut. Zudem verfolgen
sie, was ihre Stars und Sternchen und Influencer auf Instagram posten – und sie
spielen Spiele, was auf Neudeutsch dann gamen genannt wird. Meistens wischen
und tippen sich die Jugendlichen ohne konkretes Ziel durch die virtuelle Welt.«In
Fachkreisen wird betont, dass eine übermässige Medien- oder Smartphonenutzung
bei Kindern und Jugendlichen häufig nur eine vorübergehende Phase ist», sagt
Valérie Rhein vom Erziehungsdepartement Basel-Stadt. «Gerade neue Angebote
werden intensiv genutzt, doch sobald der Reiz neuer Spiele oder Apps nachlässt,
rücken andere Interessen wieder in den Mittelpunkt.»
Doch leider finden längst
nicht alle von selber zurück zu einem reduzierten Umgang mit dem Smartphone.«Während
sieben Prozent der 15- bis 19-Jährigen das Internet problematisch nutzen,
weisen Personen ab 35 Jahren diese Problematik nur selten auf», so
Poespodihardjo.
Doch was ist überhaupt problematisch in einer Gesellschaft, wo
jede und jeder dauernd und überall
das Handy zückt, um drauf zu starren? Sind nicht viele Erwachsene auch süchtig oder
doch zumindest Sklaven dieses Geräts?«Die Anzahl Stunden, die pro Tag am
Computermit Spielen verbracht werden, sind kein ausreichendes Kennzeichen für
Sucht», heisst es in den Tipps «Medienkompetenz» der Zürcher Hochschule für
Angewandte Wissenschaften(ZHAW). Gewisse Games würden viel Übung erfordern, um im
Spielverlauf weiterzukommen. «Vermuten Eltern jedoch als Nutzungsmotiv eher
Flucht und Ablenkung als Unterhaltung, sollten sie genauer hinschauen.»
Der
Grund für eine exzessive Mediennutzung liege häufig nicht in der Faszination oder
im Unterhaltungswert der Medien an sich, sondern im Wunsch, sich durch Medien
abzulenken, schreibt die ZHAW. Zwei bis drei Stunden täglich am Handy sind also
besonders dann alarmierend, wenn die Tochter oder der Sohn in der Schule
merklich nachlässt, den Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen schleifen lässt und
aggressiv wird, wenn die Eltern ihr oder ihm das Handy wegnehmen.
Rückzug in
die Isolation
In der
Schweiz nutzen rund 70000 Personen ab 15 Jahren das Internet problematisch. Die
Teenager sind zuvorderst.
Die Smartphone-und Handysucht ist nicht ohne Folgen
für die Betroffenen und ihr Umfeld. Abgesehen von den Spannungen, die sich daraus
mit den Eltern ergeben, oder von den Sanktionen wegen übermässigen Handykonsums
und der Auflehnung gegen diese, gehen die Schulnoten runter, der Schlaf und
damit die Erholung und Ruhe leiden, und die Gleichgültigkeit wächst. Es folgt ein
Rückzug aus Sport und Hobbys.
Wie bei jeder Sucht gibt es auch beim Handy eine Isolation,
in die Betroffene geraten. Gerade bei Kindern und Jugendlichen, die ihren Platz
in der Gesellschaft noch finden müssen, kann das psychologische Folgen haben.
Grundsätzlich würden zwar soziale Netzwerke nicht zu «Scheinfreundschaften»
führen oder «auf Kosten realer Begegnungen» gehen, hält die ZHAW in einer
Studie fest. Es gibt jedoch ein Aber: «Wer im realen Leben schwer Kontakte knüpfen
und vertrauensvolle Beziehungen aufbauen kann, wird dies online noch weniger tun.»
Eltern, die das Gefühl haben, dass ihr Kind süchtig ist, sollen Hilfe suchen, rät
Poespodihardjo. In den Schulen ist das Problem bekannt, spezifische Meldungen
zum Thema Smartphonesucht gebe es keine, sagt Valérie Rhein vom
Erziehungsdepartement Basel-Stadt. «Im Falle von Auffälligkeiten im Verhalten von
Kindern und Jugendlichen kontaktieren Lehr- und Fachpersonen oder die
Schulleitungen die Mitarbeitenden der Schulsozialarbeit. In Beratungsgesprächen
kann ein übermässiger Handygebrauch von Kindern und Jugendlichen thematisiert werden.»
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