26. Februar 2020

Chancen und Risiken der Digitalisierung


Ab wann sind Kinder bereit für die digitalen Medien? Darf das Handy als Babysitter gebraucht werden und wie sieht der Medienkonsum der Zukunft aus? Medienkompetenz-Experte Michael In Albon liefert Antworten und Tipps.
«Eltern sehen bei den Inhalten oft zu wenig hin», Walliser Bote, 19.2. von Melanie Biaggi


Michael In Albon, wie heisst es so schön, man muss seine Kinder nicht erziehen, sie machen einem eh alles nach. Dies gilt wohl auch für den elterlichen Umgang mit digitalen Medien?
«Ja, das stimmt, besonders bei den Medien. Indem wir unseren eigenen Medienkonsum den Kindern als Modell vorleben, tun sie es uns gleich und kopieren uns. Im guten und im schlechten Sinn.»

Ab wann sind Kinder bereit für die digitalen Medien?
«Eine oft zitierte Regel sagt: keinen Bildschirm vor drei, keine Spielkonsole vor sechs, kein Internet vor neun und kein unbeaufsichtigtes Internet vor zwölf Jahren. Aber das ist eine grobe Faustregel und bei jedem Kind anzupassen. Kinder sollen den Medieninhalt begreifen können, und sie müssen Medien auch weglegen können – diese Beobachtungen sind wertvoller als die reinen Altersangaben.»

Welche Kompetenzen brauchen Kinder in unserer digitalisierten Welt?
«Dieselben, die wir Erwachsene noch in den klassischen Medien gelernt haben: Sie müssen verstehen, wie die unterschiedlichen Medien funktionieren, wie sie uns beeinflussen können, wie man eine Information einordnet, sie müssen den Unterschied zwischen echter und (medial) vermittelter Welt erkennen. All das können wir Eltern bereits. Und es ist billig, als Vater oder Mutter die Hände zu verwerfen und zu behaupten, die Kinder wüssten mehr über digitale Medien als wir. Das Gegenteil ist der Fall.»

Wie kann die Digitalisierung die Entwicklung von Kindern unterstützen?
«Die Frage könnte man auch umdrehen: Wie beeinflusst die Digitalisierung die Entwicklung unserer Kinder? Und dann erkennen wir rasch, dass unsere Kinder ein breites Wissen aufbauen müssen, wie die Digitalisierung unser Leben beeinflusst. Und vor allem: Wie die Kinder die Chancen der Digitalisierung nutzen, die Risiken eindämmen können. Nur so werden sie in der Lage sein, die Welt mitzugestalten, als von ihr bestimmt zu werden.»

Die Kinder surfen im Internet, welche Regeln sollten gelten?
«Sehr oft schränken die Eltern die Medienzeit ein. Aber es muss eigentlich mehr um die Inhalte gehen. Und da sehen Eltern oft zu wenig hin. Zu wissen, wie man Netflix oder Twitch bedient, heisst noch lange nicht, dass alle Inhalte dort auch geeignet sind. Nehmen Sie zum Beispiel die vielen unsäglich schlecht gemachten Pseudo-News-Beiträge auf YouTube: Ohne elterliche Begleitung nehmen unsere Kinder diese Meldungen für bare Münze. An solchen Beispielen erkennt man die Wichtigkeit, auch den konsumierten Inhalt im Auge zu behalten.»

Das Handy als Babysitter, ein No-Go oder manchmal Retter in der Not?
«Ein quengelndes Kind mit einem Video oder Spiel auf dem Smartphone zu beruhigen – das funktioniert sehr gut. Das weiss ich wie viele aus Erfahrung. Aber die Regel darf es nie werden. Denn sehr oft will das Kind eigentlich die Aufmerksamkeit der Eltern.»

Eltern plagen sich mit der Frage, wann das Kind sein erstes Handy bekommen sollte?
«Die JAMES-Studien der letzten Jahre zeigen: Ab der Orientierungsschule haben alle Kinder ein eigenes Gerät. In der Mittelstufe (4. bis 6. Klasse) sind es circa 70 Prozent. Aber in diesem Alter macht ein eigenes Gerät wenig Sinn. Für ihre Medienzeit können sie ebenso gut das Familien-Tablet oder das Eltern-Gerät nutzen. Und Kommunikations-Apps wie Whats-App oder Social-Media-Konten sollten sie in diesem Alter ohnehin nicht nutzen. Und solange sie zu einem solch wertvollen Gerät nicht Sorge tragen können, können sie auch nicht die Verantwortung dafür übernehmen.»

Sind die Kinder etwas grösser und haben bereits ein Smartphone, kann der Gebrauch das Familienleben beeinflussen, Stichwort chatten am Mittagstisch. Wie schafft man Handy-freie Familienzeit?
«Das ist eine Frage des Respekts und hat mehr mit Erziehung und weniger mit dem Smartphone zu tun. Achtet man das Gegenüber mit ungeteilter Aufmerksamkeit und geht respektvoll miteinander um, stellt sich die Frage nach dem Smartphone am Mittagstisch gar nicht. Aber vielleicht sind einige Eltern ein schlechtes Vorbild – das kann man dann nicht dem Kind vorhalten.»

Ein Blick in die Zukunft. Wie kann man das Kind dazu bringen, draussen auf Bäume zu klettern und nicht immer am Smartphone zu hängen?
«In der Entwicklung der Kinder geht es um Impulse und den Drang, lernen zu wollen. Dies sollen sie in unterschiedlichen Umgebungen tun können: draussen, beim Legospielen und eben auch beim Computer-Game. Der Mix ist zentral, dann entwickeln sich unsere Kinder am nachhaltigsten. Ich glaube nicht, dass digitale Medien dem Spiel im Garten den Rang ablaufen und wir Eltern sollten diese Domänen auch nicht gegeneinander ausspielen. Aber aus beiden Welten das Beste zulassen.»

Dies wird wohl in Zukunft noch schwieriger?
«Alle Medien kämpfen den Kampf um Aufmerksamkeit. Die Medien werden mit immer neuen, attraktiven Formen und Inhalten aufwarten. Und ja: Wir Eltern werden auch in Zukunft gefordert sein, diesen Informationsfluss zu regulieren. Denn am Ende müssen wir Eltern erziehen, nicht die Medien.»


Ratgeber. Michael In Albon gibt Eltern Tipps in der Medienerziehung und versucht sich als zweifacher Vater selbst daran zu halten.
Zur Person
Michael In Albon (47) wurde in Eggerberg geboren. Nach der Matura studierte er an der Universität Bern Linguistik und Geschichte. Seit 2001 arbeitet er bei Swisscom. Seit 2009 ist In Albon dort verantwortlich für die Initiative «Schule ans Internet». Zudem ist er Experte für Medienkompetenz und ist Jugendmedienschutz-Beauftragter bei Swisscom. Der Oberwalliser ist verheiratet, zweifacher Vater und lebt in Bern.

Fünf Tipps für die Medienerziehung
1. Zeiten kontrollieren und Inhalte beschränken
2. Dem gesellschaftlichen Druck widerstehen: Dem Kind sein erstes Handy geben, wenn man es selbst für angemessen hält und nicht der Nachbar
3. Ausgleich schaffen: einen gesunden Mix zwischen realen und medialen Erfahrungen
4. Neugierig bleiben: Eltern sollen wissen, was Kinder im Netz treiben und sich für ihre Realität interessieren. Dazu gehört: Games mitspielen, über Websites reden und neue Idole hinterfragen
5. Kreativität fördern: Medien dienen nicht nur der Unterhaltung, man kann sie auch gestalten. Kinder dazu motivieren


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen