5. Februar 2020

Geburtsmonat beeinflusst Schulerfolg


Wer mit offenen Augen durchs Leben geht, erkennt verblüffende Zusammenhänge. So wurde 1985 auch der relative Alterseffekt entdeckt, der den Sport bis heute prägt. Der kanadische Psychologe Roger Barnsley besuchte ein Juniorenspiel der Lethbridge Broncos, als seine Frau Paula im Matchprogramm blätterte und ihr auffiel, dass der Grossteil der Spieler im Januar, Februar oder März geboren war. Im Sport wird meist nach Jahrgang unterteilt, und die Älteren starten oft mit einem Vorteil, der zu einer Aufwärtsspirale führen kann, der sie weit trägt. Bis heute tüfteln Clubs und Verbände nach Gegenmitteln, um nicht spätgeborene Talente zu verpassen.
Der Altersunterschied wirkt sich besonders in Mathematik aus, Bild: Keystone
Haben Jüngere schlechtere Chancen in der Schule? Tages Anzeiger, 4.2. von Simon Graf


Der relative Alterseffekt beschränkt sich aber nicht auf den Sport. Er ist überall dort feststellbar, wo in Altersgruppen eingeteilt wird, also auch dort, wo es uns alle betrifft: in der Schule. So sagt Urs Moser, Titularprofessor am Institut für Bildungsevaluation der Universität Zürich: «Ende Kindergarten, Anfang Schule kann fast ein Jahr einiges ausmachen. Die Älteren haben beim Schuleintritt bessere kognitive, motivationale und emotionale Voraussetzungen.»

Das Phänomen ist international breit erforscht. Gemäss einer englischen Studie aus dem Jahr 2013 («When you are born matters») erzielten die Jüngeren eines Schuljahrgangs nicht nur tiefere Noten, sie entwickeln sich auch sozial-emotional schlechter und haben weniger Selbstvertrauen. Als Lösung wird unter anderem vorgeschlagen, die Jüngeren und ihren Selbstwert zu stärken, indem man abgestuft nach Alter einen Notenbonus vergibt. Ein Modell, das indes nicht praktikabel erscheint.

In der Mathematik haben es die Jüngsten schwer
In der Schweiz wurde der relative Alterseffekt in der Forschung bis dato kaum berücksichtigt. Moser wirkte an einer 2008 publizierten Studie mit, bei der unter anderem die Leistungskurve der Kinder nach relativem Alter ermittelt wurde. Dabei ergab sich, dass die älteren Schüler generell einen Startvorteil haben, den die Jüngeren in den folgenden drei Jahren nicht in allen Bereichen aufholen. In Deutsch fällt es ihnen leichter als in Mathematik.

Interessant wäre, ganze Studienjahrgänge nach Geburtsdaten zu analysieren. Die «Schweiz am Wochenende» errechnete im Oktober 2017, dass es an Basler Gymnasien fast zehn Prozent mehr Jugendliche hat, die in den ersten sechs Monaten eines Schuljahrgangs geboren sind. Und titelte: «Geburtsmonat beeinflusst Karrierechance».
Bildungsforscher Moser relativiert: «In der Schule wirkt sich das relative Alter nicht so stark aus wie im Sport. Denn hier ist es nur ein Faktor von vielen.» Zu nennen wären soziale Herkunft, Sprache oder Unterstützung der Eltern. Moser führt aus: «In der Schule haben wir einen Schnitt durch die gesamte Population, bei ambitionierten Jungsportlern eine selektive Gruppe von Talentierten und Begeisterten. Und die meisten Eltern stehen hinter diesem Projekt.» Das Umfeld ist kompetitiver, was den relativen Alterseffekt begünstigt.

Klassen zu überspringen ist heikel
Viel könne man als Schule auch nicht unternehmen gegen diesen Effekt, sagt Moser. «Es braucht ein Stichdatum für Schüler, nur schon aus organisatorischen Gründen.» Er hat aber festgestellt, dass die Tendenz zum früheren Einschulen oder Überspringen von Klassen abgenommen hat. «Früher dachte man: Wenn ein Kind schon im Kindergarten lesen kann, kann es eine Klasse überspringen. Heute betrachtet man auch die sozialen Faktoren. Man hat beim Überspringen von Klassen die Erfahrung gemacht, dass dies emotional zu Problemen führen kann. Nun schaut man vielmehr, dass man innerhalb der Klasse individualisiert.»

Inzwischen schlägt das Pendel in die andere Richtung: Man wartet lieber noch ein Jahr mit dem Einschulen, stellt das Kind zurück. So kann man den relativen Alterseffekt ausdribbeln – anders als im Sport, wo der Jahrgang ab nationaler und internationaler Ebene verbindlich ist.


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