Für die
einen sind sie ein notwendiges Übel, für die anderen ein Reizthema: die
Hausaufgaben. Kinder aus den Primarschulhäusern Feldli und Schoren müssen sich
seit den Sommerferien nicht mehr damit herumschlagen. Dort wurden die
Hausaufgaben von der ersten bis zur sechsten Klasse für ein halbes Jahr
abgeschafft.
"Unsere ersten Erfahrungen sind sehr positiv": Diese St. Galler Primarschule hat die Hausaufgaben abgeschafft, St. Galler Tagblatt, 23.1. von Christina Weder
Nun wird
das Experiment um ein weiteres halbes Jahr verlängert, da die Zeitspanne für
die Evaluation zu kurz gewesen sei, wie Schulleiter Ralf Schäpper bestätigt.
«Unsere
ersten Erfahrungen sind sehr positiv.»
Das
Experiment wurde aufgegleist, bevor Schäpper vor einem halben Jahr die Stelle
als Schulleiter angetreten hat. Er sei aber sofort bereit gewesen, es
umzusetzen. «Für viele Kinder sind die Hausaufgaben ein Stress», begründet er.
«Schülerinnen
und Schüler, deren Eltern arbeiten oder aus bildungsfernen Schichten stammen,
können niemanden um Hilfe fragen.»
Das
Hauptargument für die Abschaffung der Hausaufgaben sei denn auch die
Chancengleichheit gewesen. Doch es gebe weitere Gründe: So ist der Nutzen der
Hausaufgaben unter Bildungsforschern umstritten. Einer der Kritiker ist der
Kinderarzt und Buchautor Remo Largo, der seit Jahren für die Abschaffung der
Ufzgi plädiert. Lehrer und Kinder würden damit nur schikaniert.
Primarschüler sieht Abschaffung
auch kritisch
Bei den
Sechstklässlern aus dem Schulhaus Feldli kommt die Neuerung jedenfalls gut an.
«Ich habe die Hausaufgaben nicht gehasst, aber auch nicht geliebt», sagt etwa
der 11-jährige Jamal. Doch manchmal hätten sie ihn gestresst. Vor allem bei
schönem Wetter, wenn er lieber draussen gespielt hätte, aber zuerst drinnen die
Hausaufgaben erledigen musste. Für ihn ist klar:
«Ohne
Ufzgi ist es viel entspannter.»
Und
dennoch sieht er den Versuch auch kritisch: «Wenn man in die Sek kommt, hat man
mega viele Hausaufgaben.» Darauf müsse man vorbereitet sein.
Die
12-jährige Ina findet es positiv, dass Eltern ihre Kinder nicht mehr ermahnen
müssen: «Jetzt mach mal die Ufzgi! Zeig mal das Aufgabenheft!» Das sei für
viele ihrer Mitschüler eine Belastung gewesen. Schön sei auch, dass sie jetzt
Zuhause mehr Zeit zum Bücherlesen und für ihre anderen Hobbys habe, denen sie
an drei Nachmittagen pro Woche nachgeht. Zwischen Schule und Hobby sei die Zeit
jeweils knapp gewesen, um auch noch Hausaufgaben zu lösen.
«Jetzt
kann ich etwas für die Schule tun, wenn ich Lust dazu habe. Ich muss aber
nicht.»
Die Lehrerin fühlt sich nicht
mehr als Polizistin
Lehrerin
Liridona Fetahu sagt, von der Abschaffung der Hausaufgaben könnten jene Kinder
profitieren, die viele Hobbys hätten, aber auch jene, die teils überfordert
seien. Es sei eine Entlastung für alle – nicht zuletzt für sie als Lehrerin.
«Ich muss nicht mehr jeden Morgen die Polizistin spielen und als erstes die
Hausaufgaben kontrollieren.»
Meist
hatten ein paar Kinder die Ufzgi nicht gemacht, andere hatten sie nicht
verstanden. Und wieder andere die Hefte zu Hause vergessen. «Da lag immer schon
etwas Negatives in der Luft.» Nun könne die Klasse anders in den Tag starten.
Die Zeit, die sie früher brauchte, um die Hausaufgaben einzusammeln und zu
kontrollieren, werde nun fürs Lernen genutzt.
Die
Hausaufgaben wurden in den beiden Schulhäusern nicht ersatzlos gestrichen. Neu
findet viermal pro Woche eine 20- bis 30-minütige Lernzeit statt, die von der
Lehrperson betreut wird. Die Fünft- und Sechstklässler von Liridona Fetahu
kommen morgens um 7.50Uhr ins Klassenzimmer und finden an der Tafel eine Reihe
von Aufgaben vor. Sie setzen sich an ihre Pulte und entscheiden selbstständig,
in welchem Fach sie weiterarbeiten wollen.
Während
die einen Kinder Englischwörtli büffeln, schreiben die anderen einen
Französischtext ins Reine oder lösen Matheaufgaben. Die Lehrerin betreut jene
Schüler, die Unterstützung brauchen oder eine Frage haben. Liridona Fetahu ist
überzeugt, dass die Schüler von der Lernzeit mehr profitieren als von den
Hausaufgaben.
Sechstklässlerin
Esma ist jedenfalls froh, dass sie in der betreuten Aufgabenstunde die Lehrerin
fragen kann, wenn sie unsicher ist oder nicht weiter weiss. Als sie noch
Zuhause Hausaufgaben machen musste, half ihr manchmal die ältere Schwester,
doch die hatte immer weniger Zeit.
«Wenn ich
die Ufzgi nicht verstanden habe, musste ich sie ungelöst in die Schule
mitbringen und dann die Lehrerin fragen.»
Das sei
ein blödes Gefühl gewesen, sagt die 11-Jährige, die zu Hause Albanisch spricht.
«Ausserdem hat es Striche gegeben, wenn man die Aufgaben vergessen hat.»
Das weiss
auch der 12-jährige Ayuub, dessen Eltern aus Somalia stammen. Einmal habe er
eine Strafaufgabe lösen müssen, weil er fünf Striche hatte. Auf Tests kann sich
Ayuub nur mit seiner jüngeren Schwester vorbereiten. Die neu eingeführte
Lernzeit findet er «cool». Manchmal komme er nun früher in die Schule, um noch
etwas fertig zu machen.
Kritikpunkt:
Eltern erhalten weniger Einblick
Seit es
keine Hausaufgaben mehr gibt, sei mehr Ruhe im Schulhaus eingekehrt, beobachtet
Heilpädagogin Ursula Hartz. «Die Atmosphäre hat sich verbessert.» Viele Kinder
seien entlastet. Man müsse sie weniger ermahnen und weniger schimpfen.
«Unser
Ziel ist es, die Lernfreude und die Selbstverantwortung zu fördern.»
Da sei
man auf gutem Weg, sagt Hartz.
Rückmeldungen
von Elternseite seien mehrheitlich positiv, sagt Schulleiter Ralf Schäpper.
Doch es gibt auch kritische Stimmen. Manche Eltern finden es schade, dass sie
weniger Einblick erhalten, was ihre Kinder in der Schule überhaupt machen. Dank
der Hausaufgaben waren sie früher informiert. «Diesen Einblick müssen wir
weiterhin gewährleisten», sagt Schäpper.
Er plant
deshalb, dass Eltern wöchentlich Rückmeldungen der Lehrpersonen erhalten. «Wir
entwickeln das Projekt laufend weiter», sagt er. Vor den Sommerferien soll es
evaluiert werden. Ob es danach mit oder ohne Hausaufgaben weitergeht, ist noch
offen.
"Nun könne die Klasse anders in den Tag starten. Die Zeit, die sie früher brauchte, um die Hausaufgaben einzusammeln und zu kontrollieren, werde nun fürs Lernen genutzt." Wie wäre es, wenn die Lehrerin die Hausaufgaben selbst korrigieren würde. Dann hätten die Kinder ebenfalls mehr Zeit und gleichzeitig wüsste die Lehrerin auch, wo die Probleme sind. Nur so als Tipp :-)
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