17. Januar 2020

Selbstgesteuertes Lernen im Aargau


Manchmal denkt man, ob jetzt der Journalist so schwach war, oder ob es wirklich möglich sei, dass ein Referent so mies ist. Im Aargau herrscht Aufbruchstimmung: Lernateliers und Gruppenarbeitsplätze werden gefeiert. Wenn dann die Leiterin der PH-Beratungsstelle digitale Medien auch noch ihre in die Jahre gekommenen Plattitüden von sich gibt, dann darf man sich auf einen unterhaltsamen Bericht freuen: Ist der Frontalunterricht wirklich passé? (uk)
Frontalunterricht ist überholt: "Die Schule ist eher ein Kaffeehaus als ein Theatersaal", Aargauer Zeitung, 17.1.


So manch ein Jugendlicher, der heute die Schulbank drückt, wird einst einen Beruf ausüben, den es noch gar nicht gibt. In ihrem Vortrag am Donnerstasnachmittag am Gemeindeseminar in Frick referierte Claudia Fischer, Leiterin der Beratungsstelle digitale Medien in Schule und Unterricht an der Fachhochschule Nordwestschweiz, darüber, welche Kompetenzen die Schule den Jugendlichen vermitteln sollte.
Da wir in einer Welt leben, in der das Wissen und die Technologien von heute bereits in zehn Jahre überholt sein könnte, muss die Schule interdisziplinäre Fähigkeiten vermitteln, so Fischer. «Kreativität, kritisches Denken, Kommunikation und Kollaboration – also mit anderen zusammen denken können», nennt sie als die wesentlichen Kompetenzen.

Diese machten es den Menschen leichter, sich in einer mehrdeutigen, komplexen, unsicheren und unbeständigen Welt, in der es kontinuierlich zu Veränderungsprozessen kommt, zurechtzufinden. Zudem: «Die Generation Z wird keine mehr sein, die 20 Jahre in einem Beruf sein wird und sich dort peu à peu hocharbeitet», so Fischer.

Eine Schule ohne Öffnungszeiten
Damit ändern sich auch die Ansprüche an die Schule. Für diese stellt Fischer als Lernort der Zukunft drei Thesen auf. Erstens sei die Schule ein Innovationszentrum, «weniger ein Lernzimmer als ein Design-Thinking-Innovation-Lab». Zweitens habe sie keine Öffnungszeiten und sei stundenplanlos. Drittens sei sie eine Kommunikationsdrehscheibe für den Austausch. «Die Schule ist eher ein Kaffeehaus als ein Theatersaal», so Fischer.

Dass es eine Änderung der bestehenden Lernstruktur braucht, um der Heterogenität der Jugendlichen besser gerecht zu werden, weiss Lothar Kühne, Schulleiter der Fricker Oberstufe. In seinem Vortrag berichtete er von seinen Erfahrungen aus der Oberstufe in Frick.

Diese vertritt den Grundsatz eines «selbstgesteuerten und organisierten Lernens und einem Erwerb von Lernstrategien in einer störungsarmen und lernanregenden Umgebung mit individueller Unterstützung». So gehört auch für Kühne der Frontalunterricht, bei dem alle am gleichen Ort zur gleichen Zeit mit der gleichen Methode arbeiten, der Vergangenheit an.

Dementsprechend werden die Schüler in der Fricker Oberstufe in einer viergliedrigen Struktur unterrichtet. Zum einen gibt es sogenannte Lernateliers, in denen die Schüler selbstorganisiert und individuell Arbeiten können.

Aber auch Gruppenarbeitsplätze, an denen sich die Schüler austauschen können «und voneinander profitieren», wie Kühne sagt. Zudem kommen Orte für den dialogischen Austausch und Zimmer für lehrerzentrierte Inputphasen dazu. «Ohne klare Einweisung ist kein wirksames Lernen möglich», so Kühne.

Frühe Förderung als Investition in die Zukunft
Saskia Misteli, Projektleiterin der Fachstelle Alter und Familie beim Departement Gesundheit und Soziales beim Kanton, führte aus, warum die Förderung von Kindern in den ersten vier Lebensjahren ein wichtiges Thema ist. Unter anderem trage sie dazu bei, dass die Kinder zu Beginn ihrer Bildungsbiografie bessere Startbedingungen hätten.

Jean Frey, Gemeinderat in Kaiseraugst, wollte wissen, ob es für die frühe Förderung eine gesetzliche Grundlage gibt, hapere es doch bei so manch einem Kind im Kindergarten mit der deutschen Sprache. Diese gebe es bisher nicht. Es gebe jedoch politische Vorstösse, denen sich der Kanton annehmen werde, so Misteli.


1 Kommentar:

  1. https://condorcet.ch/2020/01/ex-pisa-sieger-finnland-und-der-klassenunterricht/

    Lange Zeit glaubte man, Finnland würde seinen “Pisa-Sieg” der 1990 erfolgten Umstellung auf die “zeitgemässe” Kompetenzorientierung verdanken. Erst als der Pisa-Absturz nach 2006 begann, dämmerte es langsam, dass Finnlands Erfolg hauptsächlich auf den traditionellen Klassenunterricht zurückzuführen ist.

    Die Frankfurter Allgemeine Zeitung stellte schon früher fest: “Der Unterricht ist fast durchgehend ein Lehrer geleiteter Unterricht, nur in der Oberstufe wird zuweilen Gruppenarbeit eingesetzt. Methodisch sind finnische Lehrer ihren deutschen Kollegen sicher nicht überlegen. (…) In Wahrheit ist finnischer Unterricht in der Regel ‘solides Handwerk’ in ganz traditionellem lehrerzentriertem Stil, nicht mehr und nicht weniger.” (FAZ, 21.2.2002)


    Zitat Hattie: “Jedes Jahr halte ich Vorträge vor angehenden Lehrern und stelle fest, dass sie schon mit dem Mantra: ‘Konstruktivismus ist gut, direktes Unterrichten (Direkte Instruktion) ist schlecht’ indoktriniert sind. Wenn ich ihnen die Resultate dieser Meta-Analysen zeige, sind sie fassungslos und werden oft ärgerlich, weil man ihnen einen Set von Wahrheiten und Geboten gegen das direkte Unterrichten vorgesetzt hat.” (Visible Learning, S. 204)

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