Seit rund acht Jahren lernen
Schülerinnen und Schüler aus sechs Schweizer Kantonen mit den Lehrmitteln
«Mille Feuilles» und «Clin d’œil» Französisch – doch die Resultate sind
niederschmetternd: Viele Kinder verstehen auch nach Jahren kaum Französisch und
sprechen es noch weniger. Im November riss den Baselbieter Stimmbürgerinnen und
Stimmbürgern deshalb der Geduldsfaden: Mit einer überdeutlichen Mehrheit von
fast 85 Prozent sprachen sie sich dafür aus, dass das umstrittene Lehrmittel
nicht mehr obligatorisch sein soll. Die Baselbieter Schulen sollen sich
künftig auch für andere Lehrbücher entscheiden können. Die wuchtige Annahme der
Volksinitiative wirkte wie ein Brandbeschleuniger: Inzwischen droht «Mille
Feuilles» auch in anderen Kantonen das Aus.
Dem Französischlehrmittel "Mille feuilles" droht das Aus, NZZ, 8.1. von Daniel Gerny
Grundkompetenzen fehlen
Nirgendwo zeigt sich das deutlicher als in Bern. Der zweisprachige
Kanton hat ein besonderes Interesse an einem guten Französischunterricht. Der
politische Druck ist dort seit November noch einmal gewaltig gestiegen. Im
Berner Kantonsparlament verlangen verschiedene Vorstösse den Ausstieg aus dem
Fremdsprachen-Konzept «Passepartout», auf welchem die Lehrmittel basieren. Am
Mittwoch wurde – passend dazu – ein Bericht publiziert, der die Mängel des
«Passepartout»-Konzepts erneut auflistet. Im Auftrag der Vereinigung «Bern
Bilingue», die sich für die Zweisprachigkeit im Kanton einsetzt, hat das
Institut für Mehrsprachigkeit Freiburg sämtliche bestehenden Studien
zusammengetragen und ausgewertet.
Die einzelnen Resultate sind zwar nicht neu. Doch weil die Erziehungsdirektionen
der sechs Passepartout-Kantone (Basel-Stadt, Baselland, Bern, Freiburg,
Solothurn und das Wallis) wenig Interesse an einer Verbreitung haben, sind sie
– obwohl bemerkenswert – kaum bekannt.
• So können nur 62 Prozent der Schüler, die mit «Mille
Feuilles» unterrichtet wurden, am Ende der Primarstufe einen sehr einfachen
Text lesen und nach mehrmaligem Lesen auch verstehen – vorausgesetzt, Thema und
Textsorte sind vertraut. Das zeigt die von den Passepartout-Kantonen in Auftrag
gegebene Studie aus dem letzten Jahr.
• Nur gerade 42,5 Prozent der Schüler verfügen nach Abschluss
der Primarschule im Bereich Sprechen über die von der
Erziehungsdirektorenkonferenz verlangten Grundkompetenzen. Gemessen an den
ambitiöseren Vorgaben der «Passepartout»-Kantone, erreichen sogar nur knapp 11
Prozent die Ziele.
• Wie viele Schülerinnen und Schüler die Lernziele im Bereich Schreiben
erreichen, wurde noch nie gemessen.
• In der Sekundarstufe sieht es kaum besser aus – obwohl auch hier
keine überkantonalen Zahlen vorliegen. Zwei Studien aus den Kantonen Bern und
Solothurn zeigen jedoch, dass Schülerinnen und Schüler, die mit anderen
Lehrmitteln arbeiteten, signifikant besser abschnitten als jene, die mit «Clin
d’œil» arbeiteten. So haben Ende der 8. Klasse lediglich 72 Prozent der Schüler
das für Passepartout formulierte Lernziel im Leseverstehen erreicht – während
es bei den Vergleichsklassen mit einem anderen Lehrmittel 89 Prozent waren.
• Auch bei den Lehrpersonen und den Schülern geniessen die
Lehrmittel nur bedingten Rückhalt. So zeigt eine Befragung, dass 27 Prozent
gerne und 40 eher gerne mit «Mille Feuilles» arbeiten – was aber auch heisst:
Jeder dritte Lehrer ist damit unzufrieden. Fast die Hälfte der Lehrer ist zudem
der Meinung, dass die Schüler mit dem Französischbuch überfordert sind. Bei
mehr als der Hälfte der Schülerinnen und Schüler fiel das Lehrmittel in einer
Befragung von 2019 ebenfalls durch.
Neue Bildungsdirektoren sorgen für Dynamik
Allerdings fallen nicht alle Resultate der
zusammengetragenen Studien für die Passepartout-Lehrmittel negativ aus – und
nicht alle negativen Ergebnisse scheinen wirklich aussagekräftig. Vertreter von
«Bern Bilingue», die selber Französisch unterrichtet haben, betonten deshalb,
die Kritik richte sich nicht nur gegen die Lehrmittel, sondern auch gegen das
Passepartout-Konzept als Ganzes. Schülerinnen und Schüler sollen die
Sprache dabei auf natürliche Weise erlernen, so wie sie es mit ihrer
Muttersprache getan haben. Sie sollen nicht in erster Linie Vokabeln und Grammatik
pauken, sondern die neue Sprache möglichst oft hören und so ein «Sprachbad
nehmen». Doch mit bloss 90 Minuten Französisch pro Woche sei kein «Sprachbad»
möglich, argumentieren die «Passepartout»-Kritiker. Wortschatz, Grammatik oder
Orthographie würden im Lehrplan ausserdem nur als Kompetenzbereich
erwähnt.
Dass das Baselbiet und Bern für eine Gegenbewegung sorgen, ist kein Zufall: In
beiden Kantonen hat ein Wechsel an der Spitze der Bildungsdirektion zu Dynamik
geführt. So hat die neue Berner Bildungsdirektorin Christine Häsler (gp.) auf
die Kritik reagiert und Gesprächsbereitschaft signalisiert. Im Baselbiet sorgte
Monica Gschwind (fdp.) nach ihrer Wahl für Bewegung. Im Januar will dort der
kantonale Bildungsrat bekanntmachen, welche Alternativen zu den
gegenwärtigen Lehrmitteln in die Liste aufgenommen werden. Auch das wird
Signalwirkung haben: Der Druck auf die sechs Passepartout-Kantone, den Umstieg
zu alternativen Lehrmitteln koordiniert vorzubereiten, steigt.
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