8. Januar 2020

"Niederschmetternde" Bilanz der Passepartout-Lehrmittel


Seit rund acht Jahren lernen Schülerinnen und Schüler aus sechs Schweizer Kantonen mit den Lehrmitteln «Mille Feuilles» und «Clin d’œil» Französisch – doch die Resultate sind niederschmetternd: Viele Kinder verstehen auch nach Jahren kaum Französisch und sprechen es noch weniger. Im November riss den Baselbieter Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern deshalb der Geduldsfaden: Mit einer überdeutlichen Mehrheit von fast 85 Prozent sprachen sie sich dafür aus, dass das umstrittene Lehrmittel nicht mehr obligatorisch sein soll. Die Baselbieter Schulen sollen sich künftig auch für andere Lehrbücher entscheiden können. Die wuchtige Annahme der Volksinitiative wirkte wie ein Brandbeschleuniger: Inzwischen droht «Mille Feuilles» auch in anderen Kantonen das Aus.
Dem Französischlehrmittel "Mille feuilles" droht das Aus, NZZ, 8.1. von Daniel Gerny


Grundkompetenzen fehlen

Nirgendwo zeigt sich das deutlicher als in Bern. Der zweisprachige Kanton hat ein besonderes Interesse an einem guten Französischunterricht. Der politische Druck ist dort seit November noch einmal gewaltig gestiegen. Im Berner Kantonsparlament verlangen verschiedene Vorstösse den Ausstieg aus dem Fremdsprachen-Konzept «Passepartout», auf welchem die Lehrmittel basieren. Am Mittwoch wurde – passend dazu – ein Bericht publiziert, der die Mängel des «Passepartout»-Konzepts erneut auflistet. Im Auftrag der Vereinigung «Bern Bilingue», die sich für die Zweisprachigkeit im Kanton einsetzt, hat das Institut für Mehrsprachigkeit Freiburg sämtliche bestehenden Studien zusammengetragen und ausgewertet.

Die einzelnen Resultate sind zwar nicht neu. Doch weil die Erziehungsdirektionen der sechs Passepartout-Kantone (Basel-Stadt, Baselland, Bern, Freiburg, Solothurn und das Wallis) wenig Interesse an einer Verbreitung haben, sind sie – obwohl bemerkenswert – kaum bekannt.

• So können nur 62 Prozent der Schüler, die mit «Mille Feuilles» unterrichtet wurden, am Ende der Primarstufe einen sehr einfachen Text lesen und nach mehrmaligem Lesen auch verstehen – vorausgesetzt, Thema und Textsorte sind vertraut. Das zeigt die von den Passepartout-Kantonen in Auftrag gegebene Studie aus dem letzten Jahr.

• Nur gerade 42,5 Prozent der Schüler verfügen nach Abschluss der Primarschule im Bereich Sprechen über die von der Erziehungsdirektorenkonferenz verlangten Grundkompetenzen. Gemessen an den ambitiöseren Vorgaben der «Passepartout»-Kantone, erreichen sogar nur knapp 11 Prozent die Ziele.

• Wie viele Schülerinnen und Schüler die Lernziele im Bereich Schreiben erreichen, wurde noch nie gemessen.

• In der Sekundarstufe sieht es kaum besser aus – obwohl auch hier keine überkantonalen Zahlen vorliegen. Zwei Studien aus den Kantonen Bern und Solothurn zeigen jedoch, dass Schülerinnen und Schüler, die mit anderen Lehrmitteln arbeiteten, signifikant besser abschnitten als jene, die mit «Clin d’œil» arbeiteten. So haben Ende der 8. Klasse lediglich 72 Prozent der Schüler das für Passepartout formulierte Lernziel im Leseverstehen erreicht – während es bei den Vergleichsklassen mit einem anderen Lehrmittel 89 Prozent waren.

• Auch bei den Lehrpersonen und den Schülern geniessen die Lehrmittel nur bedingten Rückhalt. So zeigt eine Befragung, dass 27 Prozent gerne und 40 eher gerne mit «Mille Feuilles» arbeiten – was aber auch heisst: Jeder dritte Lehrer ist damit unzufrieden. Fast die Hälfte der Lehrer ist zudem der Meinung, dass die Schüler mit dem Französischbuch überfordert sind. Bei mehr als der Hälfte der Schülerinnen und Schüler fiel das Lehrmittel in einer Befragung von 2019 ebenfalls durch.

Neue Bildungsdirektoren sorgen für Dynamik

Allerdings fallen nicht alle Resultate der zusammengetragenen Studien für die Passepartout-Lehrmittel negativ aus – und nicht alle negativen Ergebnisse scheinen wirklich aussagekräftig. Vertreter von «Bern Bilingue», die selber Französisch unterrichtet haben, betonten deshalb, die Kritik richte sich nicht nur gegen die Lehrmittel, sondern auch gegen das Passepartout-Konzept als Ganzes. Schülerinnen und Schüler sollen die Sprache dabei auf natürliche Weise erlernen, so wie sie es mit ihrer Muttersprache getan haben. Sie sollen nicht in erster Linie Vokabeln und Grammatik pauken, sondern die neue Sprache möglichst oft hören und so ein «Sprachbad nehmen». Doch mit bloss 90 Minuten Französisch pro Woche sei kein «Sprachbad» möglich, argumentieren die «Passepartout»-Kritiker. Wortschatz, Grammatik oder Orthographie würden im Lehrplan ausserdem nur als Kompetenzbereich erwähnt.

Dass das Baselbiet und Bern für eine Gegenbewegung sorgen, ist kein Zufall: In beiden Kantonen hat ein Wechsel an der Spitze der Bildungsdirektion zu Dynamik geführt. So hat die neue Berner Bildungsdirektorin Christine Häsler (gp.) auf die Kritik reagiert und Gesprächsbereitschaft signalisiert. Im Baselbiet sorgte Monica Gschwind (fdp.) nach ihrer Wahl für Bewegung. Im Januar will dort der kantonale Bildungsrat bekanntmachen, welche Alternativen zu den gegenwärtigen Lehrmitteln in die Liste aufgenommen werden. Auch das wird Signalwirkung haben: Der Druck auf die sechs Passepartout-Kantone, den Umstieg zu alternativen Lehrmitteln koordiniert vorzubereiten, steigt.


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