30. Januar 2020

Cramer zur Wiedereinführung von Kleinklassen


Lehrer und Politiker wollen die Wiedereinführung von Kleinklassen in Basel. Doch die Regierung stellt auf stur. Jetzt nimmt Erziehungsdirektor Conradin Cramer Stellung.
«Stört ein Kind massiv, kann es nicht in der Regelklasse bleiben» Basler Zeitung, 30.1. von Nina Jeker


Herr Cramer, ob Politiker, Lehrer, oder die Schulsynode – von allen Seiten kommt die Forderung nach Kleinklassen, aber Sie wollen nicht. Weshalb?
Ich bin sehr dafür, dass wir in ­allen Schulstufen kleine Klassen anbieten. Und genau das tun wir mit unseren Spezialangeboten.
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Laut Kritikern sind diese kein Ersatz für die Kleinklassen von früher. Sie entsprächen vielmehr den damaligen IV-Klassen. Benötigt werde aber ein Angebot für verhaltensauffällige Kinder, die randalieren und stören. Wo sind diese Ihrer Meinung nach richtig aufgehoben?
Diese Kritik kann ich nachvollziehen. Wir arbeiten derzeit intensiv daran, die bestehenden Angebote zu verbessern und auch bedarfsorientierte Angebote für genau diese Kinder zu schaffen. Es stimmt aber nicht, dass die Spezialangebote den damaligen IV-Klassen entsprechen. Die meisten kleinen Klassen in den Spezialangeboten bestehen für Schülerinnen und Schüler mit Verhaltensauffälligkeiten.

Wenn eine Lehrperson meldet, dass ein Kind in der Regelklasse heillos überfordert ist, dauert es oft ein Jahr, bis im Erziehungsdepartement ein Entscheid gefällt wird – das beschleunigte Verfahren von sechs Monaten kommt selten zur Anwendung. Weshalb dauert das so lange?
Das stimmt nicht. Braucht ein Kind zusätzliche Unterstützung, kann die Schulleitung diese jederzeit beantragen. Die Abklärung des Schulpsychologischen Dienstes und der Entscheid, was für das Kind am besten ist, brauchen natürlich etwas Zeit. Es ist im Interesse des Kindes, dass sorgfältig entschieden wird! Es geht aber bei weitem nicht ein Jahr. Und bei speziell belastenden Fällen mit ganz dringendem Bedarf handelt die Volksschul­leitung natürlich umgehend.

Viele Lehrer klagen, dass die Kinder, die in einer Regelklasse kaum Erfolg haben, aber nicht in ein Spezialangebot kommen, untergehen. Macht Ihnen so etwas nicht Bauchschmerzen?
Der richtige Umgang mit Kindern, die besondere Förderung benötigen, ist eine der grössten Herausforderungen für jede Schule und jedes Schulsystem. In den Schulen und im Erziehungsdepartement arbeiten alle daran, dass alle Schülerinnen und Schüler gut gefördert werden. Die Schulleitungen verfügen über Ressourcen, die sie in besonderen Situationen direkt für die Unterstützung einer Klasse oder eines Kindes einsetzen können. Immer kann auch die Schulsozialarbeit oder die Kriseninterventionsstelle beigezogen werden, die unsere Lehrpersonen in schwierigen Situationen unterstützen.

Früher entschieden Lehrer und Schulleiter über einen Klassenwechsel, heute tut das der Leiter Volksschule im Erziehungsdepartement. Trauen Sie solche Entscheide den Lehrpersonen nicht zu?
Das stimmt so nicht. Früher entschieden das Rektorat einer Schule und nicht die Lehrpersonen über einen Eintritt in die Kleinklassen. Heute entscheidet der Leiter Volksschulen zusammen mit dem Leiter Zusätzliche Unterstützung. Es sind aber immer die Lehrpersonen, die bei ihren Schulleitungen die Massnahmen beantragen. Über 90 Prozent aller von den Schulleitungen eingereichten Anträge werden bewilligt.

Sind Sie grundsätzlich der Meinung, es brauche keine Zwischenstufe zwischen ­Regelklassen mit Förderangebot und den kleinen Klassen auf IV-Niveau?
Doch, da besteht Handlungs­bedarf. Wir sind intensiv daran, die Angebote zu optimieren, um genau diese Kinder besser zu unterstützen.

Wie können Sie sicherstellen, dass durch die jetzige Situation die Kinder nicht mit ­schlechteren Chancen ins Berufsleben starten müssen als ihre Vorgänger? Studien zeigen, dass stärkere Schüler durch die Integration ­Schwächerer gebremst werden.
Die Bildungsforschung weiss heute, dass auch die leistungsstärkeren Schülerinnen und Schüler von der Heterogenität und der individuellen Förderung in ihren Klassen profitieren können und nicht benachteiligt sind. Das gilt aber nur, solange der Unterricht normal und gut stattfinden kann – wenn ein Kind den Unterricht immer wieder massiv stört, kann es nicht mehr in der Regelklasse unterrichtet werden.

Ihr Vorgänger Christoph Eymann hat auch während den heftigsten Kritik-Stürmen immer gesagt, die Integrative Schule sei auf Kurs. Sehen Sie das genauso?
Wir sind daran, die integrativen und separativen Angebote weiterzuentwickeln und zu ver­bessern. Das ist eine Aufgabe, die uns auch in den nächsten Jahren beschäftigen wird. Das schulische Angebot muss sich immer wieder an den gesellschaftlichen Entwicklungen orientieren. Der Umgang mit ganz unterschiedlichen Bedürfnissen bleibt eine riesige Herausforderung für die Schule – und für die Ge­sellschaft.


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