Will Kleinklassen verhindern: Erziehungschef Conradin Cramer, Bild: Pino Covino
Alle wollen die Kleinklassen zurück - ausser der Basler Regierung, Basler Zeitung, 29.1. von Katrin Hauser
Samuel Lerch,
früherer Kleinklassenlehrer aus Basel, erzählt: «In ersten Oberstufenklassen
kommt es häufig vor, dass ein Schülerden10erÜbergang(also 9 + 8
beispielsweise) noch nicht beherrscht, während andere bereits die ersten
algebraischen Gleichungen lösen.» Eine Spannweite, mit der es erst einmal umzugehen
gilt. Dazu kommt, dass es gemäss Aussagen der Lehrer viel schwieriger wurde,
verhaltensauffällige Kinder aus einer Regelklasse zu nehmen.
Therapie-Stafetten
Auch die Freiwillige Schulsynode BaselStadt kritisiert das jetzige System. Es
sei mittlerweile kein Ausnahmefall mehr, so Präsident JeanMichel Héritier, dass
manche Kinder in derselben Woche zur Logopädie, Psychomotorik und zur
Deutschförderung gehen müssen. «Mit solchen Therapiestafetten überfordert man
die Kinder, anstatt sie wirkungsvoll zu unterstützen.»
Nicht nur
Lehrer und Schulsynode wollen die Kleinklassen zurück: Politiker von den Grünen
bis zur SVP stehen hinter der Motion «Aufhebung des Kleinklassenverbots», die im
Juni 2019 von Martina Bernasconi (FDP) eingereicht und wenige Monate später mit
76 JaStimmen an die Regierung überwiesen wurde. Nur Erziehungsdirektor
Conradin Cramer und seine Partei, die LDP, wollen diesem Anliegen partout nicht
nachgeben. So stimmte die gesamte LDPFraktion als einzige gegen das Anliegen. Und
auch die Basler Regierung will die Motion nicht umsetzen. Dies liest sich aus einem
Schreiben des Regierungsrats, das Mitte Januar publiziert wurde.
Die Regierung
stellt sich darin auf den Standpunkt, Basel-Stadt würde die Aufgaben, die in
sämtlichen anderen Kantonen die Kleinklassen übernehmen, bereits abdecken. Schliesslich
gebe es Sonderschulen, in welche nicht normal beschulbare Kinder überwiesen werden
könnten. Diese bieten laut Regierung den Vorteil, dass auch ohne die
Einwilligung der Eltern eine Überweisung stattfinden kann. Weniger
schwerwiegende Fälle fange man mithilfe der Integrierten Schulförderung (ISF)
auf.
Unqualifizierte
Betreuer
Genau
dieses «Auffangen» bereitet den Lehrpersonen in Basel Mühe. Die Unterschiede
seien teilweise so gross, dass die ganze Klasse unter der Betreuung
lernschwacher Schüler zu leiden habe. Auch gehe es extrem lange, bis
Schülerinnen und Schüler, bei denen abzusehen ist, dass sie nicht normal
beschult werden können, aus einer Regelklasse genommen werden. «Ich erinnere
mich an ein Kind, das zwanghaft andere Schüler geplagt hat», erzählt eine
Lehrperson. Die Angriffe seien auch körperlicher Natur gewesen.
Genaueres
möchte sie zum Schutz des Kindes nicht erzählen. «Es vergingen Jahre, bis die
ganzen Abklärungen abgeschlossen waren und das Kind aus der normalen Schule
genommen wurde.» Gemäss JeanMichel Héritier sind vier bis fünf verhaltensauffällige
Kinder pro Klasse mittlerweile der Normalfall im Kanton BaselStadt. Eine
Lehrperson erzählt des Weiteren von einem autistischen Kind, das zwar innerhalb
der Klasse seine eigene Betreuungsperson hatte – diese sei jedoch nicht vom Fach
gewesen.«Es ist gut, dass uns zusätzliche Betreuungspersonen zur Seite gestellt
werden. Oftmals handelt es sich dabei jedoch um Personen ohne Qualifizierung.»
Das Erziehungsdepartement (ED) BaselStadt bestreitet diesen Vorfall: «Wir
haben vereinzelt Vorpraktikanten oder Zivildienstleistende, die die Kinder
begleiten»,schreibt Mediensprecherin Valerie Rhein. Diese würden jedoch
einfache Aufgaben übernehmen wie beispielsweise beim SchuheBinden helfen. In
den allermeisten Fällen handle es sich um «qualifizierte Assistenzen». Der
Vorwurf, die Abklärungen würden Jahre dauern, weist das ED ebenfalls zurück:
«Natürlich dauert es eine gewisse Zeit, weil wir die Abklärungen durch den Schulpsychologischen
Dienst seriös durchführen möchten und auch der anschliessende
Entscheidungsprozess Zeit braucht.» Ganz sicher nicht möglich sei jedoch eine über
drei Jahre dauernde Wartezeit.
Bestrafung
für Schüler
Fakt ist,
dass die Anzahl der Abklärungen auf dem Schulpsychologischen Dienst in den
letzten Jahren wieder zugenommen hat (siehe Grafik). 2018 wurden1853 Schüler dort
abgeklärt. 2017 waren es noch 1636 Kinder. Wie viele davon an Sonderschulen überwiesen
wurden, kann man den Daten nicht entnehmen. Gemäss Samuel Lerch liegt die
Schwelle, um in eine Kleinklasse überwiesen zu werden, wesentlich tiefer als bei
Sonderschulen. Dabei wäre eine solche Überweisung für viele Schüler besser:
«Wenn ich als ISFLehrperson einen Schüler aus dem Unterricht in ein separates Zimmer
nehmen wollte, nahm dieser Schüler das oft als Bestrafung wahr.» Damit würde
offensichtlich, dass er «anders» ist als die anderen. «Diese Kinder hängen dann
ab. Sieverlieren die Freude am Lernen und entwickeln nicht selten
Verhaltensauffälligkeiten.»
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