Eine Mehrheit im Zürcher Kantonsrat möchte die Schulpflegen mit einer
zusätzlichen Hierarchiestufe entlasten. Die Debatte über die Aufgaben und
Kompetenzen dieser neuen Stelle sorgte aber für rote Köpfe.
Rettung des Milizsystems oder "rostiger Paragraf"? Der Zürcher Kantonsrat streitet über die Entlastung der Schulpflegen, NZZ, 20.1. von Nils Pfändler
Wer Silvia Steiner am Montag im Kantonsrat sprechen hörte, hätte meinen
können, die Zukunft des Zürcher Bildungsstandorts stehe auf dem Spiel. «Das ist
eine wichtige Weichenstellung für die Volksschule», sagte die
Bildungsdirektorin. Die Situation der Schulpflegen sei teilweise prekär, das
Milizsystem gefährdet.
Ganz so dramatisch war die Lage nicht. Der Kantonsrat befand lediglich
darüber, ob die Gemeinden bei der Organisation und Führung von Schulen künftig
eine neue Hierarchiestufe – eine sogenannte «Leitung Bildung» – zwischen den
Schulleitungen und der Schulpflege einfügen dürfen. Diese wäre vergleichbar mit
einer Geschäftsleitung und sollte die Schulpflegen bei Bedarf entlasten und
zwischen den einzelnen Schulleitungen und der Schulverwaltung koordinierend
wirken.
Die Idee ist weder neu noch unbekannt: Einige Gemeinden, so zum Beispiel
Wetzikon oder Wädenswil, haben eine solche Stelle bereits eingeführt. Es ging
deshalb eher um eine nachträgliche Gesetzesänderung für eine gängige Praxis als
um eine existenzielle Bedrohung der Zürcher Volksschule.
AL wittert «rostigen Paragrafen»
Die Frage nach den Aufgabenbereichen und Kompetenzen sorgte dennoch für
hitzige Diskussionen. Besonders skeptisch zeigten sich die Fraktionen der
Grünen und der Alternativen Liste, die beide gar nicht erst auf die geänderte
Gesetzesvorlage der Kommission für Bildung und Kultur (KBIK) eintreten wollten.
Karin Fehr (gp., Uster) gab zu bedenken, dass die Vorlage das Potenzial
berge, die demokratisch legitimierte Aufsicht über die Volksschule zu
schwächen. Dies, weil die vom Volk gewählte Schulpflege Aufgaben an die neue
«Leitung Bildung» abgäbe. Ausserdem würde eine neue Hierarchiestufe mehr
Bürokratie und mehr Kosten verursachen, so Fehr.
Noch dezidierter äusserte sich Judith Stofer (al., Zürich). «Müssten wir
einen rostigen Paragrafen für ein unnötiges Gesetz vergeben, dann wäre der für
diese Vorlage.» Sie befürchtete die Produktion von «unnötigen Statistiken und
Excel-Sheets am Laufmeter» und schloss deshalb, dass dieses Geld besser direkt
im Schulzimmer eingesetzt werden sollte.
Der KBIK-Präsident Christoph Ziegler war natürlich anderer Meinung. Es
sei wichtig, die Führung und Organisation von Schulen in mittelgrossen Gemeinden
zu erleichtern. Auch ein gesetzlich definierter Rahmen sei sinnvoll, um
Klarheit zu schaffen, welche Aufgaben von der Schulpflege übergeben werden
dürfen. Eine grosse Mehrheit (142 Ja- zu 27 Nein-Stimmen bei 0 Enthaltungen)
stimmte Ziegler schliesslich zu.
Nur für grössere Gemeinden
Die Crux lag allerdings in den Details, die in den Minderheitsanträgen
verhandelt wurden. Zunächst drehte sich die Debatte darum, für welche Gemeinden
überhaupt eine «Leitung Bildung» infrage käme. Die KBIK hatte sich dafür
entschieden, dass nur Gemeinden mit mindestens drei Schulen eine solche Stelle
in ihrer Gemeindeordnung festschreiben dürften.
Dies, weil es lediglich in grösseren Gemeinden einen Handlungsbedarf
gebe und der Passus verhindere, dass finanzkräftigere kleinere Gemeinden
unnötig Mittel in die Verwaltung und Leitung ihrer Schule pumpten.
Eine Allianz aus FDP, CVP und EVP widersprach. Marc Bourgeois (fdp.,
Zürich) argumentierte, dass die Gemeinden kaum ohne Not eine solche Stelle
einführen würden und eine Beschränkung deshalb hinfällig sei. Hanspeter
Hugentobler (evp., Pfäffikon) regte sich sichtlich über die Haltung der
Mehrheit im Saal auf. «Wieso haben Sie überhaupt so eine grosse Angst vor den
Gemeinden?», fragte er aufgebracht.
Rückendeckung erhielt er von Silvia Steiner. Auch die Bildungsdirektorin
bezeichnete die Beschränkung als «unnötige und nicht gerechtfertigte
Einschränkung der Gemeindeautonomie». Die Mehrheit sah dies jedoch anders und
lehnte den Minderheitsantrag mit 128 zu 42 Stimmen ab.
Kampf um die Kompetenzen
Zum «Kern» (Bourgeois) oder «Knackpunkt» (Monika Wicki, sp., Zürich) der
Vorlage wurde schliesslich die Frage, welche Kompetenzen der «Leitung Bildung»
übertragen werden dürfen. Der ursprüngliche Antrag des Regierungsrates sah vor,
dass die Stelle Aufgaben sowohl von der Schulpflege, der Schulverwaltung als
auch von den Schulleitungen übernehmen könne. Die KBIK strich die
Schulleitungen jedoch aus ihrem Antrag heraus.
Diesem Vorschlag folgten alle Parteien bis auf die CVP und die EVP, die
sich dafür umso vehementer gegen die Streichung wehrten. Hugentobler, der sich
während der gesamten Diskussion mehrfach negativ über die Arbeit der Kommission
äusserte, bezeichnete ihn als «Tiefpunkt der KBIK-Bastelarbeit». Wenn die neue
Stelle explizit keine Schulleiteraufgaben übernehmen dürfe, nehme man mutwillig
in Kauf, dass Schulleiter auch künftig frustriert das Handtuch werfen, weil sie
überarbeitet seien. «Kommen Sie endlich an in der Volksschule des
21. Jahrhunderts», rief er in den Saal.
Eine Mehrheit vermochte er trotz diesem emotionalen Ausbruch nicht zu
überzeugen. Marc Bourgeois brachte in seiner Wortmeldung das wichtigste
Gegenargument auf den Punkt. Könnte die «Leitung Bildung» auch
Schulleiteraufgaben übernehmen, verliehe ihr das eine ungeheure Machtfülle. Der
wilde Mix von Kompetenzen verschiedener Hierarchiestufen sei eine Gefahr, sagte
er und lieferte gleich ein Beispiel dafür: So könnte es dazu kommen, dass die
«Leitung Bildung» den Schulen finanzielle Mittel zuteilt, deren Verwendung
festlegt und diese auch selber kontrolliert. Das sei «völlig absurd», schloss
er. Hugentobler musste zusehen, wie sein Minderheitsantrag mit 156 zu 17
Stimmen abgeschmettert wurde.
Ganz durch ist das Thema trotzdem noch nicht. Die Schlussabstimmung
folgt erst nach der Redaktionslesung in rund vier Wochen.
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