Stolz präsentiert Aurelia (12) den Schmöker, den sie gerade gelesen hat;
fast 500 Seiten dick, in nur zwei Tagen geschafft. Aurelias Buchbesprechung ist
bereits im Kasten; nun will sie den Roman der Kundschaft im Bücherladen
Appenzell ans Herz legen. Mit zwölf weiteren Mädchen und Buben hat sie
teilgenommen am Projekt «Kinder empfehlen Ferienbücher»; sie hat Freundinnen
mitgebracht und sich gefreut, dass die Buchhändlerinen ein offenes Ohr für ihre
Meinung hatten.
Vielseitig auf Wortschatzsuche: Wie bei Ostschweizer Kindern Leselust gestiftet wird, St. Galler Tagblatt, 30.12. von Bettina Kugler
Die «Kinderverkaufstage» seien ein toller Erfolg gewesen, wird Maria
Riss, Buchhändlerin, Dozentin für Deutschdidaktik und Initiantin des Projekts,
später bilanzieren. Im Laden habe sich ein reger Austausch über Gelesenes
entwickelt. «Es waren vor allem die erwachsenen Kundinnen und Kunden, die auf
die Empfehlungen der Kinder vertrauten», sagt sie, «und die Kinder waren so
begeistert, dass sie nach Ladenschluss gar nicht mehr nach Hause wollten.»
Das Vorbild der Eltern prägt «Genussleser»
Ähnliches hat Annina Spirig in St.Gallen mit der «Bücherbande» erlebt:
acht Mädchen im Primarschulalter, die sich wöchentlich in der Bibliothek
getroffen haben. Sie haben sich ein Buch vorgelesen, dazu ein Klappenbuch
gestaltet mit Lesenotizen, Steckbriefen und Zeichnungen. Auch zu Hause lesen
sie gern, so wie die kleinen Buchhändler in Appenzell: Bücher wie «Lotta-Leben»
oder «Harry Potter», ausserdem Klassiker aus dem Kinderzimmer ihrer Eltern.
«Die Eltern spielen als Vorbilder eine wichtige Rolle», sagt
Jean-Philippe Gerber, Vorstandsmitglied des Vereins Kinder- und Jugendmedien
Ostschweiz KJM und Schulleiter in Weinfelden. Aus der Praxis weiss er, dass
beim Lesen gilt: Viel hilft viel. Kinder, die zu Hause früh in Kontakt mit
Büchern kommen, die ihre Eltern häufig als Leser und Vorleser erleben und mit
ihnen gemeinsam die Bibliothek besuchen, werden eher zu «Genusslesern». Bei
anderen Kindern versuchen Projekte von KJM Ostschweiz die Leselust und die
Neugier auf Bücher zu wecken, sei es in der Schule, sei es in Bibliotheken.
Da gibt es Kisten zu Sachthemen, Grosselternpakete, Hörgeschichten zum
Mitlesen oder das «Lesefieber»-Puzzle, bei dem Kinder für eine bestimmte Anzahl
gelesener Seiten Säckchen mit Puzzleteilen bekommen. Als Gruppe oder Klasse
wollen sie möglichst schnell das 1000-teilige Wimmelbild zusammensetzen. So
lesen sie wie die Weltmeister und steigern dabei ihr Lesetempo. Das Puzzle sei
an Schulen sehr beliebt, sagt Kurt Sallmann, ebenfalls seit langem engagiert
bei KJM Ostschweiz. Leseschwache Schüler gebe es auch noch auf der Oberstufe
viele: Ihnen liest er gern in der Bibliothek Gais zugkräftige Passagen aus
Titeln des Ostschweizer Verlags «da bux» vor, etwa «Krawallnacht» von Alice
Gabathuler. «Die Bücher sind kurz und leicht lesbar, zu aktuellen Themen, das
kommt gut an. Fast alle bekommen da Lust aufs Weiterlesen, oft leihen sie die
anderen Titel dann auch aus.»
«Lesen wird erst dann ein Genuss,
wenn das Tempo stimmt»
wenn das Tempo stimmt»
Nicht zu früh mit dem Vorlesen aufhören
Der erste «Leseknick», sagt Jean-Philippe Gerber, setze oft schon in der
Unterstufe ein – dann, wenn zu früh mit dem Vorlesen aufgehört werde, in der
Annahme, das Kind könne es ja nun selbst. «Man unterschätzt die Mühen des
Anfangs», sagt er. «Richtig Spass macht das Lesen Kindern aber erst ab einem
gewissen Tempo, wenn es flüssig genug geht.» In der Übergangszeit verlieren
Kinder oft die Motivation, weil die spannenden Bücher noch zu schwierig sind.
Wird in der Schule zu wenig trainiert, bleiben manche Kinder bis in die
Oberstufe hinein im Stadium von «Erstlesern» stecken. «Vernetztes», selektives Lesen
am Bildschirm stellt zudem andere Anforderungen als das lineare eines Buches –
und beides will geübt sein.
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