27. Dezember 2019

Lesestrategien


Werden Pisa-Bericht genau liest, kann ihm entnehmen, dass die Leseleistung der Schweizer Schüler/-innen etwas geringer ausfällt, dass die Differenz jedoch statistisch gesehen nicht signifikant ist. Das heisst also: Übers Ganze gesehen sind die Leistungen stabil geblieben. Was aber Anlass zur Sorge geben sollte: Der Anteil schwacher Leser/-innen ist höher: 2015 lag er bei 20 Prozent, 2018 bei rund 25 Prozent. Und dieser Anstieg ist signifikant.
Der Pisa-Test - einmal anders gelesen, BZ Basel, 27.12. von Afra Sturm

Schwache Leser/-innen können im Pisa-Test gerade einzelne Informationen in einfachen Texten ablesen, zum Teil nicht einmal das. Müssten sie zum Beispiel im Beipackzettel eines Medikaments nachlesen, was bei der Einnahme zu beachten ist, würden sie nicht immer eine (korrekte) Antwort finden. Das kann unangenehme Folgen haben. Zudem fällt es ihnen sehr schwer, Informationen kritisch zu lesen, sie auf ihren Wahrheitsgehalt hin einzuschätzen. Wer das nicht kann, ist leichter beeinflussbar. Auch das kann unangenehme Folgen haben.

Nicht erst seit Pisa weiss man, dass Lesefreude und Lesekompetenz zusammenhängen. Aber man weiss auch, dass sie sich gegenseitig bedingen, was im Schweizer Bericht nicht erwähnt wird. Vor allem aber zeigt sich in verschiedenen Studien immer wieder, dass Lesekompetenz stärker auf Motivation wirkt als umgekehrt, insbesondere wenn man die sogenannte Leseflüssigkeit einbezieht: Wer einen Text nicht sicher und flüssig liest, der verliest sich immer wieder und braucht deutlich mehr Zeit. Das wäre so, als ob man im Kino einen chinesischen Film im Original sieht und die Untertitel nicht lesen kann, weil das zu schnell geht. Und man versteht häufig die Dialoge nicht, weil man einzelne Stellen falsch gelesen hat.

Zum ersten Mal hat Pisa 2018 zusätzlich zum Textverstehen Leseflüssigkeit gemessen, die Ergebnisse dazu aber noch nicht veröffentlicht. Zieht man andere Studien bei, kann man davon ausgehen, dass ein Grossteil der schwachen Leser/-innen nicht genug sicher und flüssig lesen kann. Wer nicht flüssig lesen kann, kann keine Lesefreude aufbauen.
Warum ist das wichtig? Können Schüler/-innen nicht flüssig lesen, verstehen sie komplexe, aber auch einfachere Texte nicht: Sie können Sachtexte aus dem Fachunterricht–Physik, Biologie, Geschichte etc.–ebenfalls nicht verstehen. Nicht zuletzt lesen sie weniger. Sie können also ihr Wissen weniger gut ausbauen. Da man zudem weiss, dass ca. ab der 4.Klasse der Wortschatz zu einem grossen Teil über das Lesen erworben wird, öffnet sich die Schere auch beim Wortschatz. Ein Teufelskreis!

Schaut man über die Sekundarstufe I hinaus, zeigt sich, dass berufliche Lesekompetenzen enorm wichtig sind, und nicht nur in akademischen Berufen. Ein Schweizer Pharmabetrieb etwa stellt für die Produktion nur noch neue Mitarbeiter/-innen ein, wenn diese einen firmeninternen Lesetest bestehen: Damit will die Firma sicher stellen, dass die Hygienevorschriften von allen verstanden und befolgt werden.

Was kann die Schule tun? Leseanimation richtet sich an Schüler/-innen, die schon recht gut lesen. Für schwache Leser/-innenbraucht es andere Massnahmen. So lohnt es sich auch noch auf der SekundarstufeI, Leseflüssigkeit bei den schwächeren Lesern und Leserinnen zu fördern. Bewährt haben sich hierzu Lautlese-Verfahren: Ein Mitschüler kontrolliert eine Mitschülerin beim lauten Lesen und korrigiert sie, wenn sich diese verliest. Das alleine reicht aber noch nicht: Es braucht zudem eine Vermittlung von Lesestrategien, damit gerade auch Texte aus dem Fachunterricht «geknackt» werden können. Beides ist eine wichtige Aufgabe der Schule.

Vielleicht schaffen wir es nicht, dass alle eine Lesefreude aufbauen: Es müsste aber zu schaffen sein, dass alle über die grundlegenden Lesefähigkeiten verfügen, die eine Gesellschaft wie die unsere voraussetzt.

Afra Sturm Co-Leiterin Zentrum Lesen, Medien, Schrift an der FHNW.





2 Kommentare:

  1. Offenbar bedeutet Lesen für Frau Sturm noch immer vorwiegend lautes Aussprechen von Gedrucktem. Wie wir alle aus Erfahrung wissen, ist es gut möglich, einen Text perfekt vorzulesen und danach keine Ahnung von dessen Inhalt zu haben. Lesen geht weit über das laute Vorlesen hinaus, es bedeutet aus Gedrucktem Sinn zu entnehmen. Hier sehe ich das Hauptmanko an Schweizer Schulen.
    Dass es den PISA-Test brauchte, damit man im Zentrum Lesen von der Bedeutung des Lesetempos Kenntnis nahm, ist bedenklich. Noch immer legen junge Primarlehrer Wert auf «sorgfältiges», möglichst langsames und korrektes Lesen, damit man beim Vorlesen eine gute Note bekommt. So geht es eben gerade nicht!

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  2. Afra Sturm verwendet in ihrem kurzen Text mindestens sieben Mal inklusive gendergerechte Wortkonstruktionen. Damit erhöht sie unnötig den Schwierigkeitsgrad des Artikels. Ein erster Schritt zur besseren Verständlichkeit wäre der Verzicht auf gendergerechte Sprache. Damit geht man keine inhaltlichen Kompromisse ein. Der Text wird les- und hörbarer (vgl. dazu ihren Vorschlag für den Unterricht) und auch stilistisch besser.

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