Werden Pisa-Bericht
genau liest, kann ihm entnehmen, dass die Leseleistung der Schweizer
Schüler/-innen etwas geringer ausfällt, dass die Differenz jedoch statistisch gesehen
nicht signifikant ist. Das heisst also: Übers Ganze gesehen sind die Leistungen
stabil geblieben. Was aber Anlass zur Sorge geben sollte: Der Anteil schwacher Leser/-innen
ist höher: 2015 lag er bei 20 Prozent, 2018 bei rund 25 Prozent. Und dieser Anstieg
ist signifikant.
Der Pisa-Test - einmal anders gelesen, BZ Basel, 27.12. von Afra Sturm
Schwache Leser/-innen
können im Pisa-Test gerade einzelne Informationen in einfachen Texten ablesen, zum
Teil nicht einmal das. Müssten sie zum Beispiel im Beipackzettel eines
Medikaments nachlesen, was bei der Einnahme zu beachten ist, würden sie nicht immer
eine (korrekte) Antwort finden. Das kann unangenehme Folgen haben. Zudem fällt es
ihnen sehr schwer, Informationen kritisch zu lesen, sie auf ihren Wahrheitsgehalt
hin einzuschätzen. Wer das nicht kann, ist leichter beeinflussbar. Auch das kann
unangenehme Folgen haben.
Nicht erst
seit Pisa weiss man, dass Lesefreude und Lesekompetenz zusammenhängen. Aber man
weiss auch, dass sie sich gegenseitig bedingen, was im Schweizer Bericht nicht erwähnt
wird. Vor allem aber zeigt sich in verschiedenen Studien immer wieder, dass Lesekompetenz
stärker auf Motivation wirkt als umgekehrt, insbesondere wenn man die sogenannte
Leseflüssigkeit einbezieht: Wer einen Text nicht sicher und flüssig liest, der verliest
sich immer wieder und braucht deutlich mehr Zeit. Das wäre so, als ob man im Kino
einen chinesischen Film im Original sieht und die Untertitel nicht lesen kann, weil
das zu schnell geht. Und man versteht häufig die Dialoge nicht, weil man
einzelne Stellen falsch gelesen hat.
Zum ersten
Mal hat Pisa 2018 zusätzlich zum Textverstehen Leseflüssigkeit gemessen, die
Ergebnisse dazu aber noch nicht veröffentlicht. Zieht man andere Studien bei, kann
man davon ausgehen, dass ein Grossteil der schwachen Leser/-innen nicht genug sicher
und flüssig lesen kann. Wer nicht flüssig lesen kann, kann keine Lesefreude aufbauen.
Warum ist
das wichtig? Können Schüler/-innen nicht flüssig lesen, verstehen sie komplexe,
aber auch einfachere Texte nicht: Sie können Sachtexte aus dem Fachunterricht–Physik,
Biologie, Geschichte etc.–ebenfalls nicht verstehen. Nicht zuletzt lesen sie weniger.
Sie können also ihr Wissen weniger gut ausbauen. Da man zudem weiss, dass ca. ab
der 4.Klasse der Wortschatz zu einem grossen Teil über das Lesen erworben wird,
öffnet sich die Schere auch beim Wortschatz. Ein Teufelskreis!
Schaut man
über die Sekundarstufe I hinaus, zeigt sich, dass berufliche Lesekompetenzen
enorm wichtig sind, und nicht nur in akademischen Berufen. Ein Schweizer Pharmabetrieb
etwa stellt für die Produktion nur noch neue Mitarbeiter/-innen ein, wenn diese
einen firmeninternen Lesetest bestehen: Damit will die Firma sicher stellen, dass
die Hygienevorschriften von allen verstanden und befolgt werden.
Was kann die
Schule tun? Leseanimation richtet sich an Schüler/-innen, die schon recht gut
lesen. Für schwache Leser/-innenbraucht es andere Massnahmen. So lohnt es sich auch
noch auf der SekundarstufeI, Leseflüssigkeit bei den schwächeren Lesern und Leserinnen
zu fördern. Bewährt haben sich hierzu Lautlese-Verfahren: Ein Mitschüler kontrolliert
eine Mitschülerin beim lauten Lesen und korrigiert sie, wenn sich diese verliest.
Das alleine reicht aber noch nicht: Es braucht zudem eine Vermittlung von Lesestrategien,
damit gerade auch Texte aus dem Fachunterricht «geknackt» werden können. Beides
ist eine wichtige Aufgabe der Schule.
Vielleicht
schaffen wir es nicht, dass alle eine Lesefreude aufbauen: Es müsste aber zu schaffen
sein, dass alle über die grundlegenden Lesefähigkeiten verfügen, die eine Gesellschaft
wie die unsere voraussetzt.
Afra Sturm Co-Leiterin Zentrum Lesen, Medien, Schrift an der FHNW.
Afra Sturm Co-Leiterin Zentrum Lesen, Medien, Schrift an der FHNW.
Offenbar bedeutet Lesen für Frau Sturm noch immer vorwiegend lautes Aussprechen von Gedrucktem. Wie wir alle aus Erfahrung wissen, ist es gut möglich, einen Text perfekt vorzulesen und danach keine Ahnung von dessen Inhalt zu haben. Lesen geht weit über das laute Vorlesen hinaus, es bedeutet aus Gedrucktem Sinn zu entnehmen. Hier sehe ich das Hauptmanko an Schweizer Schulen.
AntwortenLöschenDass es den PISA-Test brauchte, damit man im Zentrum Lesen von der Bedeutung des Lesetempos Kenntnis nahm, ist bedenklich. Noch immer legen junge Primarlehrer Wert auf «sorgfältiges», möglichst langsames und korrektes Lesen, damit man beim Vorlesen eine gute Note bekommt. So geht es eben gerade nicht!
Afra Sturm verwendet in ihrem kurzen Text mindestens sieben Mal inklusive gendergerechte Wortkonstruktionen. Damit erhöht sie unnötig den Schwierigkeitsgrad des Artikels. Ein erster Schritt zur besseren Verständlichkeit wäre der Verzicht auf gendergerechte Sprache. Damit geht man keine inhaltlichen Kompromisse ein. Der Text wird les- und hörbarer (vgl. dazu ihren Vorschlag für den Unterricht) und auch stilistisch besser.
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