Am 17. Mai 2020 stimmt
die Aargauer Bevölkerung über die Vorlage «Führungsstrukturen der Aargauer
Volksschule» ab. Hinter diesem Titel verbirgt sich die Abschaffung der
Schulpflege. Dies wäre ein weiterer Schritt zur Zentralisierung und Steuerung
des Aargauer Schulwesens von oben. Dagegen wehrt sich das Bildungsforum Aargau
und nimmt dazu wie folgt Stellung:
Stellungnahme zur geplanten Abschaffung der Schulpflege, Bildungsforum Aargau, 18.12.
Bereits mit der
Einführung der Schulleitungen wurde im Jahr 2002 die Abschaffung der Schulpflege
angedacht. Bildungsdirektor Hürzeler unternahm im Jahr 2012 – mit praktisch
identischen Schlagworten wie heute – einen konkreten Schritt zur Abschaffung:
Es gehe darum, die Steuerung der Schule schlanker zu gestalten. Bei der
Ausgestaltung der Vorlage sei z. B. darauf zu achten, dass die keiner
direktdemokratischen Kontrolle unterstehenden Schulleitungen nicht zu mächtig
würden. Die Vorlage wurde 2014 aus taktischen bzw. Kostengründen sistiert und
die auf Herbst 2015 vorgesehene Volksabstimmung vorerst um eine Amtsperiode
verschoben. Nun geht es also um einen erneuten Anlauf. Unser Schulwesen, das
heisst die Ausbildung unserer Jugend, legt die Grundlagen für unsere
Gesellschaft. Die Bevölkerung ist bereit, viel dafür zu investieren: Das
Schulbudget macht oft bis zu 50% des Gemeindebudgets aus. Schulpflege und
Gemeinderat stimmen sich heute sorgfältig ab, bevor sie dem Souverän ein gut
begründetes Budget vorlegen. Mit Argumenten wie «Verschlankung» diese sinnvolle
Zusammenarbeit abzuschaffen, schadet der Volksschule und somit unseren Kindern.
Die beabsichtigte Zentralisierung durch Abschaffung der Schulpflege schwächt
die Mitsprache der Bevölkerung massiv und überlässt die Entscheidungen über die
Zukunft unserer Schule weitgehend der Verwaltung.
Demokratieabbau
Die
direkte Demokratie in Schulfragen muss erhalten werden. Der Stimmbürger soll
weiterhin in Wahlen direkt auf das Schulwesen Einfluss nehmen können, indem er
bestimmt, welche Personen sich um das Wohl der Schule kümmern. Die vielfältigen
Aufgaben der Schulpflege erfordern eine demokratisch breit abgestützte
Schulpflege. Zu den Aufgaben gehören unter anderem Personal- (bei Lehrern) und
Laufbahnentscheide (Schüler), Aufsicht über die Schulleitung, Vermittlung bei
Konflikten und Krisenintervention. Die Maxime «Stärkung der Schule vor Ort»
spricht für den Erhalt einer eigenständigen Behörde.
Die Abschaffung der
Schulpflege wäre eindeutig ein Demokratieabbau, da der Souverän die für die
Schule verantwortlichen Personen nicht mehr bestimmen könnte. Die Stimmbürger
würden zwar einen Gemeinderat wählen, wüssten dann aber nicht, wer für die
Schule verantwortlich wäre. Auch eine vom Gemeinderat bestimmte Schulkommission
wäre nicht vom Volk gewählt und müsste bezahlt werden.
Schulpflege als
bewährte Milizbehörde
Die Volksschule war von Beginn an und ist bis heute im
Volk verankert und ist daher breit abgestützt. Mit der Schulpflege übernahmen
und übernehmen engagierte Laien die Aufsicht mit dem Zweck, die Verbindung
zwischen Schule und den verschiedenen Volksschichten herzustellen und zu
erhalten. Die Laienaufsicht war stets ein wesentliches Merkmal der Schweizer
Volksschule. Sie macht es den schulspezifischen Volksvertretern zur Pflicht,
sich mit der Schule vor Ort und grundsätzlichen Schulfragen zu befassen und
sich über schulische Neuerungen zu orientieren.
Mit der Schulpflege – als
bewusst eigenständige und dem Gemeinderat gleichgestellte Behörde – wurde ein
Instrument geschaffen, das sich ausschliesslich um das Wohl der Schule und die
Interessen der Schüler kümmert. Wird die Schulpflege abgeschafft, besteht die
Gefahr, dass Sachfragen zu kurz kommen.
Schulpflege ist
Ansprechpartner für Eltern und Lehrer
Die Schulpflege, die auch von Eltern
gewählt wird, hat das breit abgestützte Vertrauen in der Gemeinde. Sie ist
Ansprechpartner für Schulleitung, Lehrer und Eltern. Das heisst: Die
Schulpflege ist eigenständig, niederschwellig und subsidiär und arbeitet vor
Ort eng mit allen an der Schule Beteiligten zusammen.
Wenn die Schulpflege abgeschafft würde, ginge
diese direkte und bewährte Verbindung verloren. Bei Unstimmigkeiten gäbe es nur
den Rechtsweg, was für die Betroffenen teuer wäre und die übergeordneten
Instanzen belasten würde.
Machtkonzentration bei Schulleitung
Früher teilten
sich Schulpflege, Schulleitung und Lehrerkonferenz die Aufgaben und die
Verantwortung war sinnvoll verteilt. In den letzten Jahren wurden der
Schulleitung immer mehr Aufgaben aufgebürdet. Auch steht in ihrem
Pflichtenheft, die Reformen des Departementes Bildung, Kultur und Sport (BKS)
durchzusetzen. Bei einer Abschaffung der Schulpflege würden noch mehr Aufgaben
vom Gemeinderat an die Schulleitung delegiert. Dies würde eine übermässige
Machtkonzentration in den Händen der Schulleitung bedeuten.
Viele Schulleiter
stehen mit den anspruchsvollen Aufgaben in der Schule und der Verantwortung für
das Lehrerkollegium und die Schülerinnen allein. Schulleiter brauchen einen
Rückhalt in einer engagierten Behörde mit offenem Ohr: Profilierte und geerdete
Mitglieder der Schulpflege können die Schulleitung darin unterstützen, die
Probleme zu lösen.
Mehrkosten bei Abschaffung Schulpflege
Bei «Ersatz» der
Schulpflege durch den Gemeinderat (mit oder ohne Schulkommission) werden die
Schulleitungen mehr Aufgaben übernehmen müssen. Was dies kostenmässig bedeutet,
wird in der aktuellen Vorlage nicht beziffert. Im Oktober 2013 sprach
Bildungsdirektor Hürzeler für die geplanten Führungsstrukturen ohne
Schulpflegen noch von Mehrkosten bei den Schulleitungen von 6 Millionen. Das
wird auch noch 2020 so sein.
Die vom
Grossrat am 3. September 2019 für die Erhöhung der Schulleitungspensen
gesprochenen 4.76 Mio. pro Jahr (65 % Kanton, 35 % Gemeinden) sind
a)
unabhängig von der Abschaffung der Schulpflegen, dann wäre mit einer weiteren
Erhöhung der Pensen ab 2022 zu rechnen; oder
b) sie dienen dazu, die wahren Kosten für die Abschaffung zu
verschleiern.
Bei der aktuellen Vorlage argumentiert der Regierungsrat nun mit
6,5 Millionen Franken, welche bei der Abschaffung der Schulpflege frei würden.
Klar ist, dass kein Gemeinderat, keine Schulsekretärin und schon gar keine
professionelle Schulkommission, wie sie der Regierungsrat gerne hätte, zum Salär
einer Schulpflege arbeiten würde. Für die Gemeinden wären also Mehrkosten in
Millionenhöhe zu erwarten.
Die Stimme
der Betroffenen muss ernst genommen werden
Auch nach jahrelangem Lobbying
seitens des BKS, der Gemeindeammänner-Vereinigung und Exponenten der FDP
konnten die Direktbetroffenen nicht überzeugt werden: Bei der letzten Anhörung
zur Vorlage lehnten über 90 % der Schulpflegen, fast 50 % der Schulleitungen,
über 70 % der Bezirksschulräte sowie die Hälfte der befragten Einzelpersonen
die Abschaffung der Schulpflegen ab. Im Sinne des Milizsystem besteht nach wie
vor grosses Interesse in der Bevölkerung, als Mitglied dieser Laienbehörde
mitzuwirken.
Für die Grossratsdebatte im Juni 2019 hatte sich eine
überparteiliche Gruppe von Grossrätinnen und Grossräten formiert, welche die
Abschaffung der Schulpflege mit einem Nichteintretensantrag und fundierten
Argumenten verhindern wollten. Diese breite Allianz von Vertretern von sieben
Parteien stimmten für Nichteintreten auf die Vorlage.
Wer heutzutage Mitbestimmung abschaffen will,
muss sich die Frage gefallen lassen, wer dadurch an Einfluss gewinnt. Mit
dieser Vorlage soll ein begonnenes Projekt weitergeführt werden: die direkte
und ungestörte Lenkung der Schule von oben durch das BKS. Dies widerspricht unserer
im Volk verankerten Schultradition mit direkter Mitsprache von «unten». Nun ist
es am Volk, diese geplante Fehlentwicklung zu verhindern!
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