Es kommt nicht oft vor, dass der Vatikan eine
Warnung an Schweizer Schulen schickt. Als allerdings 2013 der umstrittene
Lehrplan 21 in die Vernehmlassung ging, meldete sich Kardinal Kurt Koch aus Rom
zu Wort. Er beklagte, dass statt Jesus alle Weltreligionen ins Zentrum des
Unterrichts rückten. «Wenn sich Europa von den eigenen christlichen Wurzeln
abschneidet, verliert es seine Identität», sagte er. «Das ist gefährlich.»
Heute, sechs Jahre später, droht dem Religionsunterricht erneut ein
Bedeutungsverlust – ein grösserer als damals.
Kardinal Kurt Koch (rechts) im Gespräch mit Bischof Markus Büchel, Bild: CH Media
Zu wenig Zeit im Lehrplan 21: Der Religionsunterricht verschwindet aus der Schule, Südostschweiz, 21.12. von Yannick Nock
Der Glaube findet im dicht gefüllten Stundenplan
kaum noch Platz. Seit der Einführung des Lehrplans 21 verschwindet der
Religionsunterricht zunehmend aus den Klassenzimmern. Die Schlagzeilen, die in
den vergangenen Monaten vielerorts zu lesen waren, gleichen sich: «Religion
muss der Schule in Emmen fernbleiben», titelte die «Luzerner Zeitung».
«Sparprogramm mit Folgen: Religion fliegt aus dem Unterricht», hiess es
wiederum im Aargau. Fast wortgleich klang es im Kanton Schaffhausen. Und in Wil
(SG) sorgte ein Verbot von Weihnachtslieder für Empörung.
Weg vom Krippenspiel, hin
zu Buddha und Mohammed.
Das Muster ist fast überall das Gleiche: Die
Religion verliert ihren Platz in den Schulen, zerdrückt von dichten
Stundenplänen, geschwächt vom Mitgliederschwund einer sich abwendenden
Gesellschaft.
Das hat verschiedene Ursachen. Trotz der
Intervention aus Rom – und der daraufhin wieder explizit im Lehrplan erwähnten
christlichen Feste wie Weihnachten und Ostern – hat sich der Fokus klar zu
allen Weltreligionen verschoben. Weg vom Krippenspiel und der Arche Noah, hin
zu Buddha und Mohammed.
In Genf und Neuenburg sind Kirche und Schule
konsequent getrennt. Auch in Zürich und Bern organisiert der Staat einen
konfessionslosen Ethikunterricht. Kirchen müssen die Kinder ausserhalb der Schule
auf Firmung und Konfirmation vorbereiten. Einige Berner Kirchgemeinden erhalten
von den Schulbehörden nicht einmal mehr die Klassenlisten – wegen des Datenschutzes.
Zwar werden in Kantonen wie St. Gallen die Landeskirchen noch bis in die
Klassenzimmer geduldet. Doch das wird vermehrt zum Sonderfall.
Kein Platz mehr für den
Unterricht
Die demografische Entwicklung tut ihr übriges. Mit
den steigenden Schülerzahlen wird der Platz knapp. Früher stellten Schulen die
Räume für den konfessionellen Unterricht zur Verfügung. Das ist heute oft nicht
möglich. Zudem werden die Lektionen seit Jahren an den Rand des Stundenplans
gedrängt. Wenn überhaupt, finden die Lektionen am späten Nachmittag statt. Dort
muss die Glaubensstunde mit Freizeitangeboten, wie Musik oder Sport
konkurrieren.
Viele Schüler lassen sich dispensieren. «Noch vor
wenigen Jahren war es kein Problem, an den Abenden oder am Samstag zu
Unterrichten», sagt eine Aargauer Pfarrerin gegenüber dem «Portal der
Reformierten». Doch mittlerweile seien zwei bis drei Abende mit Training
belegt. «Auch die Wochenenden gehörten dem Sport», beklagt sie. König Fussball
macht Kirchen zu Bettlern.
Klassenstunde statt
Religion
Doch es sind längst nicht nur Bischöfe, Pfarrer und
Katecheten, die um den Religionsunterricht bangen. Auch jene, die sich für den
Religionswissenschaftlichen Ansatz im Lehrplan 21 stark gemacht haben, üben
Kritik. «Bei der Umsetzung hapert es», schreibt die interreligiöse Arbeitsgemeinschaft
«Iras Cotis» in einer Medienmitteilung. Auch sie beklagt, dass in vielen
Kantonen kaum Stunden für den Religionsunterricht zur Verfügung stehen würden.
Das liegt an der Zusammenführung verschiedener Fächer. Neu wird Religion im
Fachbereich «Natur, Mensch, Gesellschaft» oder unter dem Sammelbegriff «Ethik,
Religion und Gemeinschaft» unterrichtet.
Wie viel Zeit ein Lehrer wofür aufwendet, ist nicht
fixiert. Oft würden in den Lektionen andere Fächer wie «Berufliche
Orientierung» oder die «Klassenstunde» platziert, schreibt die
Arbeitsgemeinschaft. Dabei kommt das Fach «Natur, Menschen Gesellschaft» in den
Stundenplänen ohnehin zu kurz.
Eine Auswertung der Schweizer Erziehungsdirektoren
hat ergeben, dass lediglich 5 von 21 Kantonen genügend Zeit für das Fach
aufwenden. Wer soll da einen Überblick über Jesus, Buddha und Mohammed
bekommen? Schon Religionsexperte Hugo Stamm sagte: «Gott ist überflüssig
geworden.»
Das zeigen auch zahlen des Bundes. Jeder Vierte ist
heute konfessionslos, 30 Prozent besuchen nie einen Gottesdienst. Rund 40
Prozent gehen nur für Beerdigungen und Hochzeiten in die Kirche.
Radikalisierung auf dem
Pausenplatz
«In der Bildung lauert die Angst, sich an der
Religion die Finger zu verbrennen», sagt Simon Gaus Caprez von der interreligiösen
Arbeitsgemeinschaft. Doch Schulen kämen an Themen wie Radikalisierung,
Islamfeindlichkeit oder Antisemitismus nicht herum. Spätestens auf dem
Pausenplatz würden sie davon wieder eingeholt. «Es wächst eine Generation
heran, die ihren Schulabschluss macht, aber kaum etwas über Religion weiss»,
sagt er.
Das tiefe Bildungsniveau werde sich später
unweigerlich in der Gesellschaft bemerkbar machen. Im Religionsunterricht ginge
es um unterschiedliche Glaubensrichtungen, Kulturen und die Kompetenzen für ein
respektvolles Zusammenleben, sagt er. «Das sollte uns ein paar Lektionen wert
sein.»
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