16. Dezember 2019

Franz per Videokonferenz


Fast 30 Jahre war Beat Zemp der oberste Lehrer der Schweiz. Was er allerdings vergangenen Sommer erlebte, war einzigartig: «Das Schlimmste, was ich angetroffen habe, war, dass man einen Lehrer suchte mit einem ‹Flair für Französisch›»,sagte er gegenüber dem SRF. «Offenbar ist es aussichtslos, einen Französischlehrer zu finden.» 
Wenn der Lehrer per Video kommt, BZ Basel, 16.12. von Yannick Nock


Tatsächlich haben die meisten Schulen Mühe, Fachlehrer für Französisch einzustellen. Das geht aus einer aktuellen Umfrage unter Schweizer Schulleitern hervor. Fast drei Viertel aller Deutschschweizer Schulen bekräftigen, dass es schwierig sei, geeignete Pädagogen zu finden.Oft müssten sie auf stufen- und fächerfremde Lehrer zurückgreifen. Nun soll eine technische Entwicklung Abhilfe im Klassenzimmerschaffen. DieIT-Firma Cisco sucht derzeit Schulen, um ein Pilotprojekt zu starten. Schüler ab der vierten Klasse sollen per Videokonferenz von einem speziell zugeschalteten Lehrer unterrichtet werden. Dies berichtet die Lehrerzeitschrift «Bildung Schweiz» in ihrer jüngsten Ausgabe. Der Vorteil der Videoschaltung: Geeignete Pädagogen müssen keinen langen Arbeitsweg auf sich nehmen und können auch aus anderen Kantonen oder Landesteilen zugeschaltet werden. So gelingt es ihnen, in kurzer Zeit vor mehreren Klassen zu sprechen.Es ist ein neues Mittel im Kampf gegen den Lehrermangel. Allein im Unterricht sind die Schüler aber nicht. Ein Klassenlehrer wird die Kinder weiterhin betreuen. Er muss allerdings im Fach kein Experte sein. 

Uruguay als Vorbild für die Schweiz 
Was neu in der Schweiz sein wird,hat sich im Ausland bereits bewährt. Uruguay nimmt dabei eine Vorreiterrolle ein. Das Land im Osten Südamerikas hatte vor einigen Jahren mit einem ähnlichen Problem zu kämpfen. Die Schulen fanden keine Englischlehrer–konnten aber dank des Videounterrichts Pädagogen in Nachbarländern rekrutieren. Aktuell werden über 3300 Primarschulklassen pro Woche per Videokonferenzen unterrichtet. Das könne auch in der Schweizfunktionieren,sagt Garif Yalak von Cisco Schweiz, der das Projekt vorantreibt. Das Beispiel Uruguay habe gezeigt, dass Probleme wie der Lehrermangel dank neuerTechnologien behoben werden könnten. Auch Schüler, die langfristig krank seien, hätten so die Möglichkeit, am Unterricht teilzunehmen. Lehrer und Schulleiter stehen der Idee allerdings kritisch gegenüber. DerVideounterricht könne als Ergänzung eingesetzt werden,sei aber nie ein Ersatz für eine qualifizierte Fachlehrperson im Klassenzimmer, sagen viele. Reagieren müssen die Schulen trotzdem. Dass die Französischlehrer ausgehen, haben die Kantone selbst zu verantworten. In Zürich, Nidwalden oder dem Thurgau wurde bis vor wenigen Jahren diskutiert, Französisch aus der Primarstufe zu verbannen. Zwar machte damals Bundesrat Alain Berset schnell klar, dass die Regierung die Kantone notfalls zum Frühfranzösisch zwingen werde, doch erst 2017 verabschiedete sich der letzte Kanton von der Idee. 

Doch viele Studenten an den Pädagogischen Hochschulen waren da längst abgeschreckt. Sie wählten andere Spezialisierungen. Die Folgen sind bis heute spürbar. Probleme, geeignete Französischlehrer zu finden, haben vor allem Nidwalden, Baselland, Solothurn und Zürich. Besser ist die Situation an den Sprachgrenzen wie beispielsweise dem Kanton Freiburg. «Dort ist dasVerständnis für die anderen Landessprachen grösser», sagt Thomas Minder, Präsident des Schweizer Schulleiterverbandes. Hinzu käme, dass das Interesse für Englisch heutzutage ungleich höher sei. «Wer eine Fremdsprache unterrichten will, wählt eher Englisch.» 

Wann der Lehrer per Video kommt, hängt davon ab, wie schnell Schulen für das Projekt gefunden werden. Konkrete Gespräche gibt es bereits, allerdings steht dort eine andere Landessprache im Zentrum: Eine deutschsprachige und eine italienischsprachige Schule im Kanton Graubünden möchten sich durch eine Videokonferenz vernetzen – und sich so die jeweilige Sprache gegenseitig beibringen.

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