Was war das für eine Aufregung! Vor drei Jahren sackten die Schweizer
Schüler beim Pisa-Test im Lesen ab – und für die Bildungsverantwortlichen im
ganzen Land war klar: Das muss an der neuen computerbasierten Methode liegen.
Bund und Kantone richteten ungewöhnlich harsche Worte an die OECD, die
Lehrerschaft forderte gar den Austritt aus dem internationalen
Schülervergleich.
Der falsche Reformeifer rächt sich, Tages Anzeiger, 3.12. von Raphaela Birrer
Jetzt fällt das Resultat noch alarmierender aus als damals. (Lesen Sie hier, wie schlecht
Schweizer Schüler abschneiden.) Jeder vierte 15-Jährige
versteht Texte zu schlecht, um Herausforderungen des Alltags oder des künftigen
Berufslebens bewältigen zu können. Vor drei Jahren war es noch jeder fünfte
gewesen. Asiatische und osteuropäische Schüler hingegen ziehen an der Schweizer
Jugend vorbei.
Damit verdichtet sich der negative Trend. Eine Schmach für ein Land, das
sich seines herausragenden Bildungssystems rühmt. Entsprechend ruhig sind die
Methodenkritiker plötzlich geworden. Zu Recht: Anstatt die Schuldigen in
der OECD zu suchen, sollten wir uns fragen, was hier in der Schweiz in den
Schulzimmern nicht richtig läuft.
Die Antwort lautet: falsch gelagerte Reformen. Lernschwache Schüler sind
heute in die Regelklassen integriert, Klassen werden vergrössert, Lektionen
für «Deutsch als Zweitsprache» abgebaut, mehrere Fremdsprachen parallel
unterrichtet. Das bringt die Schulen vielerorts an ihre Belastungsgrenzen.
In der Konsequenz leidet die individuelle Förderung, gerade im komplexer zu
begleitenden sprachlichen Bereich. Das wiederum hat für jene Schülerinnen und
Schüler verheerendere Folgen, die auch zuhause nicht die nötige Unterstützung
erhalten.
In scharfem Kontrast zum übersteigerten Reformeifer in der Schule steht
die Tatenlosigkeit im Vorschulalter. Die Schweiz ist im internationalen
Vergleich eine Wüste, was die Frühförderung betrifft. Dabei werden in dieser
Zeit die Weichen für die Sprach- und Lesekompetenz gestellt. Studien zeigen:
Kinder aus bildungsfernen oder fremdsprachigen Familien können ihre Defizite
später in der schulischen Laufbahn nicht mehr vollständig aufholen.
Anfang der 2000er-Jahre hatten die schlechten Lese-Resultate der Pisa-Studie in
der Schweiz einen heilsamen Schock ausgelöst. Es ist zu hoffen, dass die
jüngsten Ergebnisse wieder einen solchen Effekt haben werden – damit sprachlich
schwache Kinder früh gefördert und in der Schule nicht überfordert werden.
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