8. Dezember 2019

Buch vor Computer


«Ein Buch zu lesen, gehört für viele Kinder nicht mehr zur normalen Freizeitbeschäftigung», wird die Zürcher Erziehungsdirektorin Silvia Steiner zitiert (NZZ 4. 12. 19). Als Massnahme gegen den durch die Pisa-Studie aufgedeckten Missstand aber fordert auch diese Zeitung eine verstärkte Förderung der «Medienkompetenz», sprich eine bessere Schulung im Umgang mit Tablets und Smartphones. Dabei ist es längst erwiesen, dass das Lesen von Büchern, das man mit dem Umsetzen einer Partitur mit der eigenen Phantasie und Intelligenz vergleichen könnte, während die elektronischen Geräte gerade diese beiden Bereiche weniger beanspruchen und benötigen, der Entwicklung einer selbständigen Denk- und Entscheidungsfähigkeit sehr viel förderlicher ist als jede noch so faszinierende Hingabe an die digitalen Wunderwerke. Der frühe und lebenslange Umgang mit dem gedruckten Buch kann und darf durch die Elektronik nicht abgelöst, sondern nur ergänzt werden. Nichts leistet einer Entwicklung, in der eine total vernetzte und kontrollierte Gesellschaft am Ende zum willfährigen Spielball wirtschaftlicher oder politischer Mächte wird, mehr Widerstand als das einfache, seit einem halben Jahrtausend für unsere kulturelle Identität zentrale Phänomen «gedrucktes Buch». Die Förderung der Kinder- und Jugendliteratur in gedruckter Form muss deshalb allem elektronischen Fortschritt zum Trotz ein zentrales Anliegen von Schule, Gesellschaft und Politik bleiben. Für das Vorschul- und Erstlesealter zum Beispiel sollte in dieser Hinsicht das Schweizerische Jugendschriftenwerk (SJW), das unter Mitwirkung von Autorinnen und Autoren der ganzen Schweiz Jahr für Jahr eine ganze Reihe von Leseheften in allen Landessprachen und in attraktiver Aufmachung zum Preis eines Znünibrots vorlegt, wieder vermehrt Beachtung finden. Die vom Verlag zur Verfügung gestellten gelben Boxen, mit denen Lehrerinnen und Lehrer ihren Klassen die jeweils neuen Hefte präsentieren können, müssten eigentlich ebenso zwingend zum Schulalltag gehören wie die Anschaffung von Tablets und Laptops, ohne die offenbar für viele ein erfolgreiches Unterrichten nicht mehr denkbar ist. 
NZZ, 6.12. Leserbrief von Charles Linsmayer

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