«Ein Buch
zu lesen, gehört für viele Kinder nicht mehr zur normalen
Freizeitbeschäftigung», wird die Zürcher Erziehungsdirektorin Silvia Steiner
zitiert (NZZ 4. 12. 19). Als Massnahme gegen den durch die Pisa-Studie
aufgedeckten Missstand aber fordert auch diese Zeitung eine verstärkte
Förderung der «Medienkompetenz», sprich eine bessere Schulung im Umgang mit
Tablets und Smartphones. Dabei ist es längst erwiesen, dass das Lesen von
Büchern, das man mit dem Umsetzen einer Partitur mit der eigenen Phantasie und
Intelligenz vergleichen könnte, während die elektronischen Geräte gerade diese
beiden Bereiche weniger beanspruchen und benötigen, der Entwicklung einer
selbständigen Denk- und Entscheidungsfähigkeit sehr viel förderlicher ist als
jede noch so faszinierende Hingabe an die digitalen Wunderwerke. Der frühe und
lebenslange Umgang mit dem gedruckten Buch kann und darf durch die Elektronik
nicht abgelöst, sondern nur ergänzt werden. Nichts leistet einer Entwicklung,
in der eine total vernetzte und kontrollierte Gesellschaft am Ende zum
willfährigen Spielball wirtschaftlicher oder politischer Mächte wird, mehr
Widerstand als das einfache, seit einem halben Jahrtausend für unsere
kulturelle Identität zentrale Phänomen «gedrucktes Buch». Die Förderung der
Kinder- und Jugendliteratur in gedruckter Form muss deshalb allem
elektronischen Fortschritt zum Trotz ein zentrales Anliegen von Schule,
Gesellschaft und Politik bleiben. Für das Vorschul- und Erstlesealter zum
Beispiel sollte in dieser Hinsicht das Schweizerische Jugendschriftenwerk
(SJW), das unter Mitwirkung von Autorinnen und Autoren der ganzen Schweiz Jahr
für Jahr eine ganze Reihe von Leseheften in allen Landessprachen und in
attraktiver Aufmachung zum Preis eines Znünibrots vorlegt, wieder vermehrt
Beachtung finden. Die vom Verlag zur Verfügung gestellten gelben Boxen, mit
denen Lehrerinnen und Lehrer ihren Klassen die jeweils neuen Hefte präsentieren
können, müssten eigentlich ebenso zwingend zum Schulalltag gehören wie die
Anschaffung von Tablets und Laptops, ohne die offenbar für viele ein
erfolgreiches Unterrichten nicht mehr denkbar ist.
NZZ, 6.12. Leserbrief von Charles Linsmayer
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