4. Dezember 2019

Basel hat Angst vor PISA


Jeder vierte 15-jährige Schüler versteht nicht, was er liest. Weder die Grundidee noch den Zweck einesTextes von mittlerer Länge. Das zeigt eine internationale Studie, bei der rund 600000 15-Jährige aus 79 Ländern, darunter 6000 Lernende aus über 200 Schweizer Schulen, geprüft wurden. Die Schweiz liegt dabei nur an 27. Stelle, nach China, Singapur oder Macau. Am Dienstag wurden die Resultate publik. Die Kantone müssen jetzt ausrechnen, wo sie durchschnittlich liegen. Das kann bis zu ein Jahr dauern. 
Basel verschliesst Augen vor Realität, Basler Zeitung, 4.12. von Franziska Laur


Basel muss gar nichts ausrechnen. Basel macht nämlich bei der Pisa-Studie seit dem fatalen Abschneiden beim ersten Mal gar nicht mehr mit. «Basel scheint sich aufgegeben zu haben und will keine störenden Fakten mehr», sagt Alain Pichard, Sekundarschullehrer in Biel und Basler Bürger. Allerdings hätten auch die ersten landesinternen Tests (ÜGK, März 2019), die Basel mitmachen musste, den Schülern ein miserables Zeugnis ausgestellt. «Kein Kanton gibt soviel Geld pro Schüler und Jahr aus, nämlich rund 20000 Franken, und trotzdem schneiden die Schüler aus Basel-Stadt stets ams chlechtesten ab», sagt Pichard. Und – als Treppenwitz der Geschichte – weise die Stadt auch noch die höchsten Maturitätsquoten aus. 

Weniger Geld und besser 
Der Kanton Freiburg beispielsweise gebe halb so viel aus wie Basel, und dort erreichen die Schülerinnen und Schüler (gemäss der ÜGK März 2019) einen Spitzenplatz in der Schweiz, sagt Pichard.In Basel schiebe man alles auf die Ausländer, als ob es die in den anderen Städten nicht gebe.«In Basel scheint der Lehrstand der Schüler keine Rolle zu spielen, man setzt auf Wunschprosa, Inklusion, Passepartout und Kompetenz-Orientierung.» 

Natürlich habe der Migrationsanteil einen Einfluss auf die Leistungen. So habe man in der Schweiz einen Migrationsanteil von 30 Prozent ,in Finnland sind es nur 2 Prozent. Das ist für Pichard aber kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. «Auch mit Migranten kann man erfolgreich arbeiten und muss sie nicht zu Sündenböcken machen.» 

Alain Pichard dürfte es wissen, schliesslich ist der kampf- und streiterprobte 63-Jährige neben seiner Tätigkeit in Politik, Gewerkschaft und Bildungsforschung ein leidenschaftlicher Lehrer, der mit packenden Methoden auch Querulanten zum Mitmachen bewegen kann. 

Vorsicht vor zu vielen Daten 
Doch er mahnt auch zur Vorsicht gegenüber Pisa-Daten: «Es liefert ein verengtes Bildungsverständnis, und die Länderrankings sind ein Blödsinn.» Doch die Zahlen zu den Lesekompetenzen seien nützlich und hätten sich auch nach Einführung des Lehrplans 21 sogar verschlechtert.«Wenn man bei so viel leseschwachen Schülern Millionen in ein völlig missratenes Frühfranzösisch-Konzept mit unsinnigem Lehrmittel steckt, muss man sich nicht wundern, wenn es mit der Lesekompetenz nicht vorwärtsgeht», sagt er. Aber Basel scheine dies nicht zu kümmern. Solange die Gelder aus der chemischen Industrie fliessen, könne man wohl auch die Sozialausgaben bezahlen. Dass diese chemische Industrie aber kaum mehr Basler Schüler anstellt, sondern sie aus den Nachbarkantonen rekrutiert, ist eben auch ein Fakt.

Das Nichtstun stellt Simon Thiriet, Pressesprecher des ErziehungsdepartementsBasel-Stadt, jedoch vehement in Abrede. Man tue eine ganze Menge, um die Lesekompetenz zu fördern. Er verweist auf das April-Schulblatt. 

Beim Durchstöbern stellt der interessierte Leser jedoch zunächst mal fest, dass ein Loblied auf das Vorlesen gesungen wird. Dieses fördere die Vorstellungskraft und die literarischen Kompetenzen. Es stärke die Beziehung und fördere das Textverständnis. Okay, schön und gut. Also, mehr Vorlesen. 

Um jedoch Basel-Stadt nicht ganz unrecht zu tun, sei erwähnt, dass zur Förderung der Sprachkompetenz bei Migrantenkindern ein schweizweit einmaliges Projekt läuft. Kinder, die zu wenig gut Deutsch können,werden in Basel bis zum Kindergarten gefördert. Der Bedarf ist hoch. Die «Frühe Deutschförderung Basel» ist ein ausgeklügeltes System: Jeweils im Januar werden alle Eltern von Kindern angeschrieben, die anderthalb Jahre vor dem Kindergarteneintritt stehen. So waren im Jahr 2018 rund 670 dreijährige Kinder zur Deutschförderung verpflichtet worden. Das Angebot war denn auch gut angenommen worden. Gut möglich, dass diese Förderung eine gute Langzeitwirkung haben wird. Allerdings warnen die Projektleiter selber vor allzu hohen Erwartungen.Doch es dürfte ein Tropfen auf den heissen Stein sein. 

Freude am Lesen nimmt ab 
Doch dass so viele Schüler nicht einmal über die Basisfähigkeiten für schulisches Lernenverfügen, ist dramatisch. Besonders, weil diese siebte Pisa-Studie zeigt, dass die Freude am Lesen abnimmt. Immerhin hatte der Kanton Basel-Landschaft genug Mut,um an der Studie teilzunehmen. Allerdings kann man dort noch nicht sagen, wie die Resultate ausgefallen sind. Die Pisa-Ergebnisse würden lediglich im schweizerischen Durchschnitt dargestellt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen