4. November 2019

Passepartout-Resultate lassen sich nicht schönreden


Das muss man sich auch erst einmal vorstellen: Am 24.Novemberwerden die Baselbieterinnen und Baselbieter allen Ernstes an die Urne gerufen, um sich zur Frage zu äussern, ob Fremdsprachenlehrpersonen ihre Unterrichtsmittel freiwählen dürfen. Das ist eine direkte Einmischung des Souveräns ins Klassenzimmer. Und es kommt noch besser: Das Volk wird auch gefragt, ob unsere Kinderwährend des Fremdsprachenunterrichts im Lesen, Schreiben, Hören und Sprechen gefördert werden sollen. «Ja wie denn sonst?», fragt man sich augenreibend und wundert sich, weshalb derartige Selbstverständlichkeiten überhaupt diskutiert werden.
"Mille feuilles" endlich den Stecker ziehen! Basler Zeitung, 4.11. von Balz Stückelberger


Leiderbraucht es diese Abstimmung aber dringend zur Korrektur einer bildungspolitischen Fehlentwicklung gigantischen Ausmasses. Kurz gesagt geht es nämlich um die Befreiung der Lehrpersonen und der Kinder von der «Mille feuilles»-Plage.

«Mille feuilles» ist ein Französischlehrmittel, wobei schon die Bezeichnung Lehrmittel zu hoch gegriffen ist. Das umstrittene Franzbuch steht als Reizfigur stellvertretend für die ganze von den sogenannten Passepartout-Kantonen entwickelte Mehrsprachigkeitsdidaktik. Dieses Konzept setzt auf eine völlig unstrukturierte und konfuse Berieselung der Kinder. Am Ende soll dieses wirre Unterrichtsmodell über das berühmte Sprachbad zum automatischen Spracherwerb via Immersion führen. So zumindest die Theorie.

Die Praxis sieht bekanntlich anders aus. Nach einem mehrjährigen und weltweit einzigartigen Versuch an 120000 lebenden Probanden bleibt ein vernichtendes Fazit: Die «Mille feuilles»-Didaktik führt zu Frust und roten Köpfen, aber sicher nicht zum Spracherwerb. Die expertokratische Schulreform ging komplett in die Hose.
Die eklatanten Schwächen des neuen Konzepts stachen vielen Eltern von «Mille feuilles»-betroffenen Kindern sofort ins Auge. Wer sich allerdings wagte, das teuerste Lehrmittel aller Zeiten zu kritisieren oder gar infrage zu stellen, wurde als pädagogischer Hinterwäldler abgetan und mit arroganten und süffisanten Belehrungen belegt. Man solle das Urteil über Lehrmittel doch bitte den gescheiten Profis im Elfenbeinturm der Bildungspädagogik überlassen und sich nicht aus der Laienecke zu Wort melden. Heute wissen wir: Der gesunde Menschenverstand von uns Eltern reicht durchaus aus, um einen bildungspolitischen Quatsch rasch und zweifelsfrei als solchen zu identifizieren.

Mittlerweile liegt bereits die vierte Studie vor, die das Fremdsprachenkonzept kritisch würdigt. Das Institut für Mehrsprachigkeit der Universität Freiburg kommt nach einem Assessment von 4000 Schülerinnen und Schülern zu einem vernichtenden Urteil. Im Schlussbericht finden sich Sätze wie: «Ein beachtlicher Teil der Schüler(innen) erreicht am Ende der Primarschulzeit auch ein elementares Niveau (A1.2) bei den Sprachkompetenzen nicht.»

In Zahlen: Knapp 60 Prozent der Primarschülerverfügen nicht einmal über minimale Grundkompetenzen im Sprechen. Bei den ambitionierten Zielsetzungen des Passepartout-Projekts sieht es noch düsterer aus: Hier verfehlen knapp 90 Prozent die Erwartungen bei der Sprachkompetenz. Solche Resultate lassen sich nicht schönreden, und die Zeit der Durchhalteparolen ist vorbei. Dem untauglichen Passepartout-Konzept ist endlich der Stecker zu ziehen.

Die Baselbieterinnen und Baselbieter haben es in der Hand, am 24. November dem Landrat zu folgen und diesen Schritt zu machen. Damit wird «Mille feuilles» als gewaltiger Irrtum in die Geschichtsbücher eingehen, der eine ganze Generation von Schülerinnen und Schülern, Lehrpersonen und Elternvergrault hat.

Und was auch zur ungeschminkten Wahrheit dieses Projekts gehört: Die beteiligten Kantone haben in dieser Übung rund 50 Millionen Franken zum Fenster hinausgeworfen.

Nun könnte man auf die Idee kommen, dieses Geld zu retten, indem eine teure Sanierung nachgeschoben wird. Dazu ist aber in aller Deutlichkeit festzuhalten: Das «Mille feuilles»-Konzept leidet nicht an Kinderkrankheiten, sondern beruht auf einem untauglichen Fundament.

Beim Entscheid über das Schicksal von «Mille feuilles» und Co. gilt deshalb der Leitsatz der Dakota-Indianer: Wenn du merkst, dass du ein totes Pferd reitest, steig ab!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen