Das muss
man sich auch erst einmal vorstellen: Am 24.Novemberwerden die Baselbieterinnen
und Baselbieter allen Ernstes an die Urne gerufen, um sich zur Frage zu
äussern, ob Fremdsprachenlehrpersonen ihre Unterrichtsmittel freiwählen dürfen.
Das ist eine direkte Einmischung des Souveräns ins Klassenzimmer. Und es kommt
noch besser: Das Volk wird auch gefragt, ob unsere Kinderwährend des
Fremdsprachenunterrichts im Lesen, Schreiben, Hören und Sprechen gefördert werden
sollen. «Ja wie denn sonst?», fragt man sich augenreibend und wundert sich,
weshalb derartige Selbstverständlichkeiten überhaupt diskutiert werden.
"Mille feuilles" endlich den Stecker ziehen! Basler Zeitung, 4.11. von Balz Stückelberger
Leiderbraucht
es diese Abstimmung aber dringend zur Korrektur einer bildungspolitischen
Fehlentwicklung gigantischen Ausmasses. Kurz gesagt geht es nämlich um die
Befreiung der Lehrpersonen und der Kinder von der «Mille feuilles»-Plage.
«Mille
feuilles» ist ein Französischlehrmittel, wobei schon die Bezeichnung Lehrmittel
zu hoch gegriffen ist. Das umstrittene Franzbuch steht als Reizfigur stellvertretend
für die ganze von den sogenannten Passepartout-Kantonen entwickelte
Mehrsprachigkeitsdidaktik. Dieses Konzept setzt auf eine völlig unstrukturierte
und konfuse Berieselung der Kinder. Am Ende soll dieses wirre Unterrichtsmodell
über das berühmte Sprachbad zum automatischen Spracherwerb via Immersion
führen. So zumindest die Theorie.
Die
Praxis sieht bekanntlich anders aus. Nach einem mehrjährigen und weltweit
einzigartigen Versuch an 120000 lebenden Probanden bleibt ein vernichtendes
Fazit: Die «Mille feuilles»-Didaktik führt zu Frust und roten Köpfen, aber sicher
nicht zum Spracherwerb. Die expertokratische Schulreform ging komplett in die
Hose.
Die
eklatanten Schwächen des neuen Konzepts stachen vielen Eltern von «Mille
feuilles»-betroffenen Kindern sofort ins Auge. Wer sich allerdings wagte, das
teuerste Lehrmittel aller Zeiten zu kritisieren oder gar infrage zu stellen, wurde
als pädagogischer Hinterwäldler abgetan und mit arroganten und süffisanten
Belehrungen belegt. Man solle das Urteil über Lehrmittel doch bitte den
gescheiten Profis im Elfenbeinturm der Bildungspädagogik überlassen und sich
nicht aus der Laienecke zu Wort melden. Heute wissen wir: Der gesunde
Menschenverstand von uns Eltern reicht durchaus aus, um einen
bildungspolitischen Quatsch rasch und zweifelsfrei als solchen zu
identifizieren.
Mittlerweile
liegt bereits die vierte Studie vor, die das Fremdsprachenkonzept kritisch würdigt.
Das Institut für Mehrsprachigkeit der Universität Freiburg kommt nach einem Assessment
von 4000 Schülerinnen und Schülern zu einem vernichtenden Urteil. Im
Schlussbericht finden sich Sätze wie: «Ein beachtlicher Teil der Schüler(innen)
erreicht am Ende der Primarschulzeit auch ein elementares Niveau (A1.2) bei den
Sprachkompetenzen nicht.»
In
Zahlen: Knapp 60 Prozent der Primarschülerverfügen nicht einmal über minimale
Grundkompetenzen im Sprechen. Bei den ambitionierten Zielsetzungen des
Passepartout-Projekts sieht es noch düsterer aus: Hier verfehlen knapp 90
Prozent die Erwartungen bei der Sprachkompetenz. Solche Resultate lassen sich
nicht schönreden, und die Zeit der Durchhalteparolen ist vorbei. Dem
untauglichen Passepartout-Konzept ist endlich der Stecker zu ziehen.
Die
Baselbieterinnen und Baselbieter haben es in der Hand, am 24. November dem
Landrat zu folgen und diesen Schritt zu machen. Damit wird «Mille feuilles» als
gewaltiger Irrtum in die Geschichtsbücher eingehen, der eine ganze Generation von
Schülerinnen und Schülern, Lehrpersonen und Elternvergrault hat.
Und was
auch zur ungeschminkten Wahrheit dieses Projekts gehört: Die beteiligten
Kantone haben in dieser Übung rund 50 Millionen Franken zum Fenster
hinausgeworfen.
Nun
könnte man auf die Idee kommen, dieses Geld zu retten, indem eine teure
Sanierung nachgeschoben wird. Dazu ist aber in aller Deutlichkeit festzuhalten:
Das «Mille feuilles»-Konzept leidet nicht an Kinderkrankheiten, sondern beruht
auf einem untauglichen Fundament.
Beim
Entscheid über das Schicksal von «Mille feuilles» und Co. gilt deshalb der Leitsatz
der Dakota-Indianer: Wenn du merkst, dass du ein totes Pferd reitest, steig ab!
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