8. November 2019

"Finanzen dürfen nicht die Hauptrolle spielen"


Integration oder Separation? Das Sonderpädagogikkonzept des Kantons St.Gallen liefert eine klare Antwort: Es braucht so viel Integration wie möglich und so wenig Separation wie nötig. Sprich, alles wird versucht, dass die Kinder ihre Schulzeit in der Regelklasse absolvieren können. Eine Einteilung in die Sprachheilschule St.Gallen soll der letzte Schritt sein.

Ist die Stadt St.Gallen bei Kindern mit Sprachstörungen auf dem richtigen Weg? Schule darf nicht Leidenszeit sein, St. Galler Tagblatt, 8.11. von Christoph Renn

Einteilung in Sprachheilschule dauert länger
Die Frage, ob die Stadt St.Gallen vor diesem Hintergrund mit der Integration von Sprachheilkindern auf dem richtigen Weg ist, war Thema an einer Podiumsdiskussion am Mittwochabend. Diese wurde von der CVP St.Gallen organisiert. Doch eine einfache Antwort auf die Frage konnten die drei Podiumsteilnehmerinnen nicht liefern.
Zwar ist für die drei Integration wichtig. Doch in einigen Fällen wäre eine frühe Separation die bessere Lösung für das betroffene Kind. Susan Christen Meier, Leiterin der Sprachheilschule St.Gallen, betonte an der Diskussion, dass es heute länger dauere, bis ein Kind mit Sprachstörung separiert werde.

Der Grund ist klar: «Heute werden alle Integrationsmassnahmen versucht, bevor über eine Einteilung in die Sprachheilschule nachgedacht wird», sagt Beatrice Manser, Schulische Heilpädagogin an der Primarschule Oberzil-Krontal.

Jeden Fall für sich neu beurteilen
Für Manser ist das auch der richtige Weg. «Es gibt nicht ein Rezept für alle Kinder.» Es müsse jeder einzelne Fall neu beurteilt werden. Susan Christen Meier widerspricht Beatrice Manser zwar nicht, doch fügt sie an: «Das Problem ist, dass die Kinder dadurch später zu in die Sprachheilschule uns kommen.»

Für einen Neunjährigen, der wegen den Abklärungen drei Jähre länger in der Regelklasse bleibe, könne dies zur Leidenszeit werden. Und es werde immer schwieriger, die Sprachprobleme zu bewältigen. Christen Meier belegt die Aussage mit Zahlen: Dauerte es vor zehn Jahren noch rund 2,7 Jahre bis Kinder von der Sprachheilschule wieder in «normale» Klassen integriert werden konnten, sind es heute rund vier Jahre. «Und das hat hängt nicht damit zusammen, dass wir unsere Arbeit schlechter machen», fügt sie an.
Diese Entwicklung zeige sich bei allen deutschsprachigen Sprachheilschulen. «Je später die Kinder oder Jugendliche zu uns kommen, desto länger bleiben sie.» Dabei bleibt das Ziel und die Aufgabe der Sprachheilschule immer noch dieselbe: Die Kinder so weit bringen, dass sie wieder in die Regelklasse integriert werden können.

Das Schulamt ist die letzte Instanz
Umso wichtiger ist es laut Nadine Itel, Dienststellenleiterin Schulgesundheit der Stadt St.Gallen, die Kinder mit Sprachproblemen möglichst früh zu erfassen. Deshalb beginnt das bereits im Spielgruppenalter. Im Kindergarten gibt es dann eine Ersterfassung.
Entdeckt ein Lehrerteam ein Kind mit Problemen, kontaktiert es die Logopädie. Diese führt erste Abklärungen und bei Bedarf eine Therapie durch. Reicht das nicht, wird der Schulpsychologische Dienst (SPD) eingeschaltet, der die Beschulungsmöglichkeiten des Kindes prüft. Wenn ein Sonderschulbedarf festgestellt wird, stellt der SPD einen Antrag ans Schulamt.

Die Kinder, nicht die Kosten müssen im Zentrum sein
In einem Punkt sind sich die Podiumsteilnehmerinnen einig. Bei allen Abklärungen und Massnahmen müssen die Kinder im Zentrum stehen. «Die Finanzen dürfen bei der Einteilung nicht die Hauptrolle spielen», sagt Susan Christen Meier. Doch ist das nicht immer möglich.

So hat die Stadt ein Kontingent bei den Lektionen, in denen Logopädinnen und Logopäden die Kinder in der Regelklasse unterstützen. Und auch die Sprachheilschule hat eine Planungsgrösse von fünf bis sieben Kindern pro Jahr. Immerhin ist es keine Quote. «Eine solche darf es nie geben», sagt Christen Meier.

Aber wie erkennt man eine Sprachstörung? Das sei nicht so einfach, sagt Michèle Sutter, Beraterin des Sprachheilpädagogischen Dienstes an der Sprachheilschule. «Man sieht es den Kindern nicht an.» Zudem entwickelten sie Strategien, um die Schwächen zu vertuschen.

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