8. November 2019

Bitte die Notbremse ziehen!


In drei Stunden und 45 Minuten von New York nach Paris - die Concorde war doppelt so schnell unterwegs wie ein normales Passagierflugzeug. 1969 startete das Prestigeobjekt zum Jungfernflug. Unterdessen sind die einstigen Überflieger nur noch im Museum zu bestaunen.
Kinder als Versuchskaninchen missbraucht, Basler Zeitung, 8.11. von Roland Stark

Der enorme Kerosinverbrauch, die begrenzte Reichweite und der ohrenbetäubende Lärm hatten potentielle Interessenten abgeschreckt. Das ehrgeizige Projekt entpuppte sich als Milliarden-Flop.

Der renommierte Pädagogik-Professor Roland Reichenbach hat den Begriff Concorde-Falle auf die Bildungspolitik übertragen. Je länger man einen schlechten Film schaue, umso eher halte man ihn bis zum Schluss durch. Je länger man auf einen Bus warte, desto unwahrscheinlicher rufe man ein Taxi, weil der Bus zwischenzeitlich doch noch eintreffen könnte. Irgendwann sei es zu spät, um aufzuhören. Genau so bei der Concorde: Schon früh war den Beteiligten klar, dass das Projekt ein finanzielles Desaster würde. Aber es steckte viel zu viel politisches Prestige drin, als dass die Verantwortlichen vernünftigerweise Übungsabbruch beschlossen hätten.

Reichenbach schreibt, „auch die zeitgenössische Reform des Schweizerischen Bildungswesens wird einmal ein Ende gefunden haben und von anderen - vielleicht weniger selbstsicher auftretenden und weniger effektvollen - Reformen verdrängt werden. Bis dahin wird sie aber noch Bewährtes und weniger Bewährtes zum Verschwinden gebracht haben, offiziell erfolgreich sein, inoffiziell aber scheitern.“

Unsinn Integrationskonzept. Im Oktober 2019 hat der Basler Grosse Rat mit 76:12  einen Vorstoss überwiesen, der die Wiedereinführung der Kleinklassen fordert. Damit könnte einer der grössten bildungspolitischen Fehlentscheide der letzten Jahrzehnte korrigiert werden. Man muss daran erinnern, dass ein erfolgreiches Förder- und Integrationsmodell existierte, bevor ihm von den politisch und pädagogisch zuständigen Amtsstellen ohne plausible Begründung das Grab geschaufelt wurde. Dabei wurden sämtliche schon frühzeitig geäusserten Bedenken in den Wind geschlagen.

Die Reformen wurden überfallartig von der Bildungsbürokratie über die Köpfe der Betroffenen hinweg durchgezwängt. Von Beginn an fehlten ausgereifte pädagogische Konzepte ebenso wie die notwendigen finanziellen Ressourcen. Unterdessen leiden an dem Flickwerk sowohl die „integrierten“ Kinder als auch die bisherigen Klassen und die Lehrkräfte. Stattdessen werden die Lehrer von einer Formularflut überschwemmt, die verbunden mit einer engmaschigen Kontrollmaschinerie die seriöse Erfüllung ihres schulischen Kernauftrags behindert.

Unsinn Fremdsprachenprojekt „Passepartout“. Das Projekt, angetreten mit dem Versprechen, ein besseres Verständnis und eine erfolgreichere Anwendung der französischen Sprache zu entwickeln, entwickelt sich immer mehr zu einem Debakel. Die dabei verwendeten Lehrmittelmittel „Mille feuilles“ und „Clin d’oeil“ wurden nie empirisch erprobt, sondern sofort flächendeckend eingeführt. Kombiniert noch mit der überstürzten Verlegung des Fremdsprachenunterrichts in die Unterstufe.

Eine beim Institut für Mehrsprachigkeit (IfM) der Universität Fribourg in Auftrag gegebene Studie bestätigt abermals, was Lehrkräfte seit der Einführung der erwähnten Lehrmittel immer wieder kritisierten: Mit „Mille feuilles“ und „Clin d’oeil“ werden die Lernziele weitgehend verfehlt. Obgleich es sich bei der Studie bereits um die vierte wissenschaftliche Untersuchung handelt, welche dem Passepartout-Konzept ein miserables Zeugnis ausstellt, marschieren die Erziehungsdirektoren, an deren Spitze Basel-Stadt, stur auf dem einmal eingeschlagenen Weg weiter. Augen zu und durch.

Die teuersten Lehrmittel, die es je gegeben hat (Projektkosten 100 Mio. Fr. plus x), führen zudem auch noch zu einer völlig unsinnigen Materialschlacht. Jahr für Jahr füllen sich Müllcontainer mit Tonnen von weggeworfenen Einweg-Plastik-Dossiers.

Unsinn Sammelfächer. Mit dem Lehrplan 21 wurden auch sogenannte Sammelfächer eingeführt. „Räume, Zeiten, Gesellschaften“ (RZG) und „Natur und Technik“ (NT). Geschichte, Geografie, Physik oder Chemie verschwanden aus dem Lehrplan. „Fächer sind als Wissenssysteme unerlässlich für kognitives Lernen. Es gibt überhaupt keinen Grund für einen heterogenen Fächer-Mischmasch“, moniert etwa der Entwicklungspsychologe Franz E. Weinert.

Vier Jahre nach Einführung der Sammelfächer und der Umstellung auf kompetenzorientiertes Lernen verfügen die Schulen noch immer nicht über passende Lehrmittel und auch nicht über genügend qualifizierte Lehrkräfte. Als billiger Ersatz darf dann Prof. Dr. h.c. Google einspringen.

Hoffentlich wird - ähnlich wie bei der Prestige- und Verlust-Concorde - endlich auch bei der Schulreformitis die Notbremse gezogen.

Bitte bald!

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