17. Oktober 2019

Stadt Luzern will Schreiben nach Gehör


Es ist ein Thema, das die Bildungspolitik schon länger beschäftigt: Das Schreiben nach Gehör. Gemäss dieser in den 1980er Jahren durch den Reformpädagogen Jürgen Reichen propagierten Methode werden Kinder, die das Schreiben lernen, nicht korrigiert, wenn sie Wörter falsch schreiben.
Luzerner Stadtrat unterstützt Schreiben nach Gehör, Luzerner Zeitung, 16.10. von Beatrice Vogel


Die Methode ist umstritten. So besteht die Befürchtung, dass sich Kinder die falsche Schreibweise einprägen und später als Erwachsene Mühe mit der Rechtschreibung haben. Die Kantone Nidwalden und Aargau haben deshalb «Schreiben nach Gehör» als Unterrichtsmethode ab der 2. Primarstufe verboten.

Auch in der Stadt Luzern wurde das Thema mit einem Postulat der bürgerlichen Parteien zum Politikum. In der städtischen Volksschule solle frühzeitig auf korrekte Schreibweise geachtet werden. Der Stadtrat lehnt das Postulat jedoch ab.

Stadtrat: Kinder lernen über das Hören
Das Rektorat der Volksschule habe eine Umfrage durchgeführt, an der 64 Lehrpersonen der 1. und 2. Klasse teilgenommen haben, schreibt der Stadtrat in seiner Antwort. 16 davon gaben an, sie würden die Methode «Schreiben nach Gehör» anwenden, doch lediglich vier Lehrpersonen erachten das lautgetreue Schreiben auch im zweiten Schuljahr noch als zentral. Rund die Hälfte vermitteln Rechtschreibnormen bereits im ersten Schuljahr, 27 starten damit konsequent im zweiten Jahr.

Der Stadtrat schliesst daraus, dass erste Rechtschreibnormen schon früh vermittelt werden – wie im Lehrplan vorgesehen. Trotzdem sei es wichtig, dem lautgetreuen Schreiben im 1. Schuljahr Raum zu geben, da dieses «eine Notwendigkeit zu Beginn des Schriftspracherwerbs sei». Bereits Kleinkinder lernen über das Hören und in der deutschen Sprache werden Wörter nach dem Klang geschrieben. Das Erwerben der Rechtschreibregeln erstrecke sich über die gesamte obligatorische Schulzeit. Deshalb findet der Stadtrat:

«Es ist Vertrauen in die professionelle Arbeit der Pädagogen zu setzen.»
Die Ursachen für die mangelhaften schriftlichen Kompetenzen von Schulabgängern seien nicht erforscht, heisst es weiter. Bekannt sei, dass Jugendliche heute wenig Zeit für private Lektüre aufwenden und statt Briefen nur Kurznachrichten oder kurze E-Mails schreiben. Zudem stünden dem Deutschunterricht im Schnitt nur vier Lektionen zur Verfügung, vor gut 20 Jahren waren es noch fünf bis sechs Lektionen pro Woche.

Zuguterletzt, so der Stadtrat, sei eine einzelne Gemeinde nicht dafür zuständig, Lehrmittel zuzulassen oder abzulehnen oder in den Lehrplan einzugreifen. Diese Hoheit liege beim Regierungsrat respektive beim kantonalen Bildungsdepartement.

Postulantinnen halten an Überweisung fest
«Es ist positiv, dass der Stadtrat bereits eine Umfrage bei den Lehrpersonen durchführen liess», sagt Postulantin Sandra Felder-Estermann (FDP). Diese zeige aber, dass es wenige Lehrpersonen gibt, die erst nach der zweiten Klasse damit beginnen, Fehler zu korrigieren. «Die Kinder prägen sich die Fehler ein, wenn sie nicht korrigiert werden», so Felder, «das muss unbedingt vermieden werden». Des Weiteren habe die Stadt durchaus die Möglichkeit, sich beim Kanton für diese Forderung einzusetzen. Die FDP-Fraktion will deshalb an der Überweisung des Postulats festhalten.

Ähnlich klingt es bei den Mitunterzeichnenden. Auch Lisa Zanolla (SVP) will die Überweisung tendenziell beibehalten, weil das Thema rechtzeitig angegangen werden müsse, bevor es zum Problem werde. Zanolla:

«Kinder schreiben oft lautgetreu in Mundart. Die Schule muss deshalb bei der Schriftsprache Gegensteuer geben.»

«Nur vier Lehrpersonen beginnen erst in der 3. Klasse mit dem Vermitteln von Rechtschreibnormen. Dies zeigt auf, dass die grosse Mehrheit der Lehrpersonen der Meinung ist, dass eine korrekte Schreibweise schon früh gelernt werden soll», sagt Mirjam Fries (CVP). Was ihre Fraktion vermisse, sei eine klare Haltung des Stadtrats und des Rektorats, weshalb sie am Postulat festhalte.

Die GLP-Fraktion – das Postulat unterzeichnet hat Judith Wyrsch – hat ihre Haltung zur Stadtratsantwort noch nicht besprochen.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen