Es ist ein Thema, das die Bildungspolitik schon länger beschäftigt: Das
Schreiben nach Gehör. Gemäss dieser in den 1980er Jahren durch den
Reformpädagogen Jürgen Reichen propagierten Methode werden Kinder, die das
Schreiben lernen, nicht korrigiert, wenn sie Wörter falsch schreiben.
Luzerner Stadtrat unterstützt Schreiben nach Gehör, Luzerner Zeitung, 16.10. von Beatrice Vogel
Die Methode ist umstritten. So besteht die Befürchtung, dass sich Kinder
die falsche Schreibweise einprägen und später als Erwachsene Mühe mit der
Rechtschreibung haben. Die Kantone Nidwalden und Aargau
haben deshalb «Schreiben nach Gehör» als Unterrichtsmethode ab der 2.
Primarstufe verboten.
Auch in der Stadt Luzern wurde das Thema mit einem Postulat der
bürgerlichen Parteien zum Politikum. In der städtischen Volksschule solle
frühzeitig auf korrekte Schreibweise geachtet werden. Der Stadtrat lehnt das
Postulat jedoch ab.
Stadtrat: Kinder lernen über das
Hören
Das Rektorat der Volksschule habe eine Umfrage durchgeführt, an der 64
Lehrpersonen der 1. und 2. Klasse teilgenommen haben, schreibt der Stadtrat in
seiner Antwort. 16 davon gaben an, sie würden die Methode «Schreiben nach
Gehör» anwenden, doch lediglich vier Lehrpersonen erachten das lautgetreue
Schreiben auch im zweiten Schuljahr noch als zentral. Rund die Hälfte
vermitteln Rechtschreibnormen bereits im ersten Schuljahr, 27 starten damit
konsequent im zweiten Jahr.
Der Stadtrat schliesst daraus, dass erste Rechtschreibnormen schon früh
vermittelt werden – wie im Lehrplan vorgesehen. Trotzdem sei es wichtig, dem
lautgetreuen Schreiben im 1. Schuljahr Raum zu geben, da dieses «eine
Notwendigkeit zu Beginn des Schriftspracherwerbs sei». Bereits Kleinkinder
lernen über das Hören und in der deutschen Sprache werden Wörter nach dem Klang
geschrieben. Das Erwerben der Rechtschreibregeln erstrecke sich über die
gesamte obligatorische Schulzeit. Deshalb findet der Stadtrat:
«Es ist Vertrauen in die professionelle Arbeit der
Pädagogen zu setzen.»
Die Ursachen für die mangelhaften schriftlichen Kompetenzen von
Schulabgängern seien nicht erforscht, heisst es weiter. Bekannt sei, dass
Jugendliche heute wenig Zeit für private Lektüre aufwenden und statt Briefen
nur Kurznachrichten oder kurze E-Mails schreiben. Zudem stünden dem Deutschunterricht
im Schnitt nur vier Lektionen zur Verfügung, vor gut 20 Jahren waren es noch
fünf bis sechs Lektionen pro Woche.
Zuguterletzt, so der Stadtrat, sei eine einzelne Gemeinde nicht dafür
zuständig, Lehrmittel zuzulassen oder abzulehnen oder in den Lehrplan
einzugreifen. Diese Hoheit liege beim Regierungsrat respektive beim kantonalen
Bildungsdepartement.
Postulantinnen halten an Überweisung
fest
«Es ist positiv, dass der Stadtrat bereits eine Umfrage bei den
Lehrpersonen durchführen liess», sagt Postulantin Sandra Felder-Estermann
(FDP). Diese zeige aber, dass es wenige Lehrpersonen gibt, die erst nach der
zweiten Klasse damit beginnen, Fehler zu korrigieren. «Die Kinder prägen sich
die Fehler ein, wenn sie nicht korrigiert werden», so Felder, «das muss
unbedingt vermieden werden». Des Weiteren habe die Stadt durchaus die
Möglichkeit, sich beim Kanton für diese Forderung einzusetzen. Die FDP-Fraktion
will deshalb an der Überweisung des Postulats festhalten.
Ähnlich klingt es bei den Mitunterzeichnenden. Auch Lisa Zanolla (SVP)
will die Überweisung tendenziell beibehalten, weil das Thema rechtzeitig
angegangen werden müsse, bevor es zum Problem werde. Zanolla:
«Kinder schreiben oft lautgetreu in Mundart. Die
Schule muss deshalb bei der Schriftsprache Gegensteuer geben.»
«Nur vier Lehrpersonen beginnen erst in der 3. Klasse mit dem Vermitteln
von Rechtschreibnormen. Dies zeigt auf, dass die grosse Mehrheit der
Lehrpersonen der Meinung ist, dass eine korrekte Schreibweise schon früh
gelernt werden soll», sagt Mirjam Fries (CVP). Was ihre Fraktion vermisse, sei
eine klare Haltung des Stadtrats und des Rektorats, weshalb sie am Postulat
festhalte.
Die GLP-Fraktion – das Postulat unterzeichnet hat Judith Wyrsch – hat
ihre Haltung zur Stadtratsantwort noch nicht besprochen.
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