11. Oktober 2019

Französisch verliert an Bedeutung


Wenn Sie eine Liste der unbeliebtesten Schulfächer erstellen müssten, Französisch würde sicher auf dem unrühmlichen ersten Platz landen. Auch als Lehrer muss ich gestehen: Mein eigener Franzunterricht in den 80er-Jahren glich einer Kakofonie aus debilen Dialogen («Allô, allô, c’est toi, Simone?»), die ich zwar brav auswendig lernte, aber nur ansatzweise verstand. Dafür kann ich (wie die ganze «On y va»-Generation auch) diese vermeintlichen Alltagsdialoge heute noch aufsagen, als wäre es das Vaterunser. Ja, René, Simone und François waren trotz allem unsere heimlichen Stars aus dem «Welschland». Am Ende der Schulzeit konnte ich aber bloss ein paar Worte auf Französisch stottern, die nur für einen lausigen Party-Gag taugten.
Au revoir, Franzlektionen?!?, Tages Anzeiger Mamablog, 11.10. von Patrick Hersicky


Englisch dagegen, das wir notabene nur im letzten Schuljahr hatten, öffnete mir die sprachlichen Tore dieser Welt. Alles war plötzlich so easy: Keine Zungenbrecher und keine Buchstaben, die man nicht aussprechen durfte. Nach nur einem Jahr Englisch konnte ich im Spanienurlaub bereits mit minimalen Sprachkenntnissen einen einfachen Flirt bewältigen. Die französische Frauenwelt blieb mir dagegen verschlossen.

Widerstand von allen Seiten
30 Jahre später bin ich nun selber Franzlehrer und stelle fest: Die latente Frankophobie hat sich wacker gehalten. Sie ist inzwischen auch bei den Eltern – 30 Jahre «On y va» haben Spuren hinterlassen – angekommen. Ich behaupte sogar: Die Abneigung gegenüber der zweiten Landessprache hat zugenommen.

Der Lehrplan 21 – mit mehr Naturwissenschaften und Informatik auf dem Stundenplan – bedrängt das Französisch massiv. Auf der Zürcher Oberstufe gibt es nur noch drei statt vier Wochenlektionen Französisch. Gewiss, diese Lektionen sind nicht gestrichen worden, aber man hat sie auf die Primarstufe verlegt. Bei allem Respekt, aber die französischen Vorkenntnisse meiner Sekundarschüler waren schon vorher eher bescheiden. Die Primarschüler hatten bereits vor dem Lehrplan 21 zwei Jahre lang zwei Wochenlektionen Franzunterricht. Verstehen Sie mich richtig: Schuld an dieser Misere sind nicht die Primarlehrpersonen. Ich frage aber: Ist frühes Fremdsprachenlernen wirklich sinnvoll? Nein, denn man hat nur falsche Erwartungen geweckt. Tatsächlich sollen die Primarschüler nämlich nicht unbedingt die Sprache erlernen, sondern ein Gefühl dafür entwickeln. Damit hat man aber vielleicht mehr Ressentiments gegenüber diesem Fach geschürt. Und mit Verlaub: Mit Emotionen lernen die wenigsten eine Fremdsprache – sieht man von den Verliebten dieser Welt ab.

Ich will meine Franzlektionen zurück!
Sehr bedenklich ist zudem, dass die jetzigen Sekundarschüler im ersten Jahr wegen der nicht zeitgleichen Umstellung des Lehrplans 21 rund 200 Lektionen weniger Französisch haben. Zum Vergleich: Das ist mehr als ein ganzes Jahr Franzunterricht. Solange jedoch Französisch an den Mittelschulen noch geprüft wird, hat es einen gewissen Stellenwert. Doch auch an dieser bildungspolitischen Front bröckelt es: Ab 2021 wird Französisch an der Gymiprüfung nicht mehr geprüft. Dann zählen zwar wieder die Vornoten der Sekundarschule, aber Französisch versinkt mit einem Anteil von 8 Prozent in der Bedeutungslosigkeit. Übrigens: Die Verhaltenskreuze, also Pünktlichkeit und Konzentration, haben neben anderen Fächern die gleiche Wertung in der Vornote.

Klammheimlich verschwindet da ein Fach in den pädagogischen Niederungen des Schulalltags – und keinen kümmerts. Als engagierter Franzlehrer bin ich aber besorgt und fordere deshalb: Ich will meine Franzlektionen zurück. Bis die lethargische Bildungsbürokratie aber reagiert, bleibt mir wohl nur eines: tagtäglich meine Schüler zu dieser wunderschönen Sprache zu motivieren.


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