29. Oktober 2019

Sprachwissenschaft bei Lehrerausbildung kaltgestellt

Dass das Französischlehrbuch «Mille feuilles» durchfällt, wundert mich überhaupt nicht (NZZ18. 10. 19). Aber wir hauenhier wieder einmal den Sack und meinen den Esel! Die Ursache des Debakels liegt nämlich nur scheinbar in diesem Lehrbuch (das ich noch nie gesehen habe), in Tat und Wahrheit liegt sie in uns allen, Fremdsprachenlernen war noch nie so unpopulär wie heute. Nicht einmal gutes Englisch zu lernen, wird mehr für nötig erachtet. Es gibt ja «Google Translate». Die Anfänge der Misere gehen in die 68er Zeit zurück. Seither findet die Bildungspolitikmit zunehmender Billigung auch durch die rechte Hälfte der Gesellschaft, Grammatik müsse aus dem Sprachunterricht verschwinden. Zu schwer. Etwas später kam die Forderung dazu, auch Wörterlernen müsse für unnötig erklärt werden. Zu mühsam.
Rudolf Wachter ist emeritierter Professor für vergleichende Sprachwissenschaft an der Universität Basel. Bild: Academy of Europe
NZZ, 28.10. Leserbrief von Rudolf Wachter


Willige Didaktiker, die den Zeitgeist erkannten, entwickelten daraufhin Konzepte, die die Bildungspolitiker im Glauben wiegten, ihre Forderungen seien umsetzbar. Die Sprachwissenschaft, die den Bluff von jeher durchschaut hat, wurde nicht gefragt, ja bei der Lehrerausbildung regelrecht kaltgestellt. Heute gibt es in den Schulen kaum mehr Sprachlehrkräfte, die Grammatik und Wortschatz, und überhaupt das Phänomen der menschlichen Sprache, so spannend und sprachübergreifend erklären können, wie ich es selber in der Schule – vor allem im Latein-, Englisch- und Deutschunterricht– erlebt und anschliessend ein Professorenleben lang weiterzugeben versucht habe.


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