Wer keine
Kinder hat, ist abgehängt. Der weiss nicht, was in den Schulen los ist. Was
wird gelehrt, wie sieht das Geschichtsbild aus, gibt es noch einen
Literaturkanon, gemeinsame Werte? Keine Ahnung. Die Medien berichten ja nicht
über den Lernstoff. Vermutlich sind Journalisten heilfroh, die Schule hinter
sich zu haben. Lehrer gelten als Weltfremde, die, kaum der Hochschule entronnen,
in die Schule zurück flüchten, statt sich in der freien Wirtschaft zu bewähren.
Noch am meisten berichtet wird über Patzer von Lehrpersonen. Dann gucken
Journalisten genau hin. So pingelig wie Oberlehrer. Oder wie Schüler, die sich
freuen, wenn der Lehrer einen Fehlermacht.
Kleines Lob des Lehrerberufs, Basler Zeitung, 9.10. von Christine Richard
In
Wirklichkeit ist Lehrer der wichtigste aller Berufe, schon allein deshalb, weil
jeder von uns einmal Lehrerinnen und Lehrer hatte. Untersuchungen ergaben:
Pädagogische Reformen, Didaktik und Methodik sind zweitrangig; das Wichtigste
ist die Persönlichkeit des Lehrers. Ob der Lehrer für sein Fach begeistern
kann, ob er alle gleichwertig und gerecht behandelt, ob er sich einfühlen kann
– und ob er authentisch ist.
Jugendlichewittern
schnell, wenn ein Lehrerkeine Substanz hat. Von Heinrich Manns «Professor Unrat»
(1905) bis zum
Film «Fack ju Göhte» (2013): Es zählt die Persönlichkeit der Lehrer.
Mein
erster Klassenlehrer war ein unscheinbarer Wicht. Aber weil uns dieses Männlein
vor den Prügel-Paukern an der Schule beschützte, liebten wir ihn und lernten
von ihm nebenbei das Recht auf Widerstand. Die Nulltypen, die nur ihren Job
machen, sind vergessen. Im Gedächtnis bleiben die hochsympathischen Käuze, die
Eigendenker und intellektuellen Überflieger, die uns in unbekannte Sphären
mitreissen.
Die
Volksschule brachte mir bei, mich mit Kindern zu befreunden ohne Ansehen ihrer Herkunft.
Schule war und ist die zentrale Spielstätte für Integration. Auf dem Gymnasium
habe ich vom Deutschlehrer die Lust am Text gelernt, von der Religionslehrerin Ideologiekritik,
von der Französischlehrerin den Existenzialismus – und vom Mathelehrer, dass
Mathematik zwar die reinste aller Geisteswissenschaften ist, aber meinen
eigenen Geist überfordert.
Wenn
Erwachsenwerden bedeutet, seine eigenen Fähigkeiten und Grenzen auszutarieren,
dann ist der Schutzraum Schule dafür genau der richtige Ort, danke, liebe
Lehrer.
Warum
wird eure Mühe so wenig geschätzt?
In China
sind Lehrer am meisten angesehen, in Israel am niedrigsten
(«GlobalTeacherStatus Index»). Bei der Missachtung des Lehrerberufs liegen die
Schweiz und Deutschland ganz vorne. Alle anderen europäischen Länderschätzen
den Lehrerberuf weitaus mehr, auch die USA, Ägypten, Neuseeland, Südkorea und die
Türkei.
Umfragen
des Berufsverbandes der Schweizer Lehrerinnen und Lehrer (LCH) ergaben: Drei Viertel
der Lehrpersonen fühlen sich von der Gesellschaft «eher weniger respektiert».
Und sie sind schlechter bezahlt als Leute in der freien Wirtschaft mit
vergleichbarem Anforderungsprofil.
Berufe, die
mit Schwachen zu tun haben, mit Kindern, Jugendlichen, Kranken oder Alten, werden
öffentlich gelobt und insgeheim missachtet. In Spanien und den USA würden immerhin
über 40 Prozent ihrem eigenen Kind raten, Lehrer zu werden; in der Schweiz sind
es nur knapp 30 Prozent. Gesellschaftliche Geringschätzung trägt Mitschuld am aktuellen
Lehrermangel.
Die
Nachwuchskrise ist nicht neu. Theodor W. Adorno stellte sie bereits 1977 fest. In
seinem überaus lesenswerten Essay «Tabus über dem Lehrberuf» gibt er umfassend Auskunft
über die Vorurteile. Lehrergelten als Akademiker zweiter Klasse, sie stellen
sich nicht der Konkurrenz. Sie werden beneidet wegen ihrer Sicherheit und
gleichzeitig deswegen verachtet. Sie sollen Kindern ihre Eigenarten austreiben
und werden dabei selber «starr, verkrampft, und ungeschickt». Der Lehrer wird
von Teenagern umschwärmt, ist aber ein «aus der erotischen Sphäre
ausgeschlossenes Wesen». Eingespannt in eine Kinderwelt, gelten Lehrer selber
als infantil.
Vor
allem: Lehrer als Vertreter des Geistigen gelten als Verliererin der
durchökonomisierten Welt. Man kann es jedoch auch umgekehrt sehen. Eine Gesellschaft,
die Lehrer und Ausbilder missachtet, wird Verliererin der auf Wissen und
Bildung basierenden Zukunftsgesellschaft.
Lehrer –
ein schöner, schwerer, unschätzbar wichtiger Beruf.
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