So lernt man besser büffeln, Sonntagszeitung, 1.9. von Nadja Pastega
Wie lernt man Vokabeln einer Fremdsprache am schnellsten?
Ein Patentrezept
gibt es nicht. Es gibt aber unterschiedlich gute Methoden. Das blosse
Wiederholen «Stuhl» gleich «chair» ist meist ineffizient. Am besten prägt man
sich Vokabeln ein, wenn man sie in einem Kontext lernt und verschiedene Zugänge
zu diesem Wort schafft. Bei «chair» stelle ich mir zum Beispiel kurz einen
Stuhl vor, spreche das Wort dann laut aus und bilde einen Satz mit dieser
Vokabel. Dann überlege ich mir, welche anderen Wörter oft zusammen mit diesem
Wort vorkommen, etwa «table». Wenn man Vokabeln so lernt, werden sie besser
abgespeichert und die Abrufwahrscheinlichkeit erhöht sich. Wenn ich immer nur
repetiere, «Stuhl» gleich «chair», kann ich das zwar perfekt wiedergeben, wenn
ich gefragt werde, was Stuhl auf Englisch heisst. Aber wenn ich dann in England
in ein Geschäft gehe, fällt mir das Wort «chair» plötzlich nicht mehr ein.
Lernt man abends vor dem Einschlafen am besten?
Der Vorteil beim
Lernen vor dem Einschlafen ist, dass nichts Neues mehr dazukommt, das im Gehirn
verarbeitet werden muss. Das Gelernte hat damit eine grössere Chance, sich zu
festigen. Wenn ich eine neue Vokabel lerne und drei Minuten später eine
weitere, ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass die zuvor gelernte Vokabel im
Chaos des Wissens verschwindet, weil ich keine Zeit habe, das ordentlich
abzuspeichern. Die positiven Effekte beim Lernen vor dem Einschlafen sind aber
minim. Es ist auch nicht praktikabel, den ganzen Stoff so zu lernen. Man sollte
sich hüten vor dem Tipp, dass man erst abends um acht Uhr anfangen sollte zu
lernen. Wichtig ist, dass Kinder ausreichend schlafen.
Soll man kurz vor der Prüfung lernen oder schon drei Wochen vorher?
Man darf sich nicht
darauf verlassen, dass man komplexe Dinge kurz vor der Prüfung lernen kann.
Entscheidend ist, früh genug anzufangen und das Gelernte kurz vor der Prüfung
noch einmal aufzufrischen. Es hat sich gezeigt, dass das aufgeteilte Lernen in
verschiedenen Segmenten am effizientesten ist. Wenn man sich drei Stunden
reserviert, um zu lernen, ist es nicht sinnvoll, drei Stunden lang direkt vor
der Prüfung zu pauken. Man prägt sich den Stoff besser ein, wenn man zum
Beispiel eine Woche lang jeden Tag eine halbe Stunde lernt. Das bringt viel
mehr als massiertes Lernen, weil sich das Gelernte im Gehirn setzen kann, bevor
Neues dazukommt.
Ist Mathematik eine Begabung, oder kann man das lernen?
Natürlich kann man
das lernen. Niemand kann Mathematik von Natur aus. Die beste Mathe-Lernmethode
besteht darin, mit Aufgaben zu arbeiten, herauszufinden, wie viele Lösungswege
es gibt, alle mal durchzuspielen und sich dann zu überlegen, welches der
sinnvollste Weg ist. Selbst die einfachsten Aufgaben in der Primarschule kann
man auf unterschiedliche Weise lösen. 18 plus 23 wird man anders lösen als 87
plus 29. Bei der ersten Rechenaufgabe kann ich zum Beispiel 18 und 3 addieren
plus 20, das macht 41. Die zweite Aufgabe löst man effizienter mit 80 + 20 + 9
+ 7.
Gibt es eine Technik, um logisches Denken zu trainieren?
Logisches Denken
ist eng an die Intelligenz geknüpft. Es gibt angeborene Intelligenzunterschiede.
Aber man kann in bestimmten Bereichen logisch denken lernen, etwa in der
Mathematik. Was nicht sinnvoll ist, sind Trockenübungen wie beim sogenannten
Hirnjogging, wo man dann übt, so schnell wie möglich Regeln in einer Abfolge
von Bildern zu erkennen. Damit wird man zwar deutlich besser im jeweiligen
Test, aber nicht wirklich intelligenter.
Wie paukt man am besten Physik und Chemie?
Man muss drei
Sachen können: Man muss die Formel kennen, den Sachverhalt sprachlich
ausdrücken und eine Skizze machen können. Das gilt im Prinzip für alle
Naturwissenschaften, abgesehen von der Biologie, die etwas weniger formal ist.
Kann man Kreativität für den Deutschaufsatz lernen?
Es ist sicher so,
dass man Kreativität abtöten kann, wenn der Lehrer zu klare Vorstellungen hat,
wie der Aufsatz aussehen muss. Kreativität bedeutet aber auch nicht «any-thing
goes». Das wird häufig verwechselt. Wenn man den Aufsatz am gestellten Thema
vorbei schreibt, ist das nicht kreativ, sondern man hat das Thema verfehlt.
Kreativ kann man zudem erst dann sein, wenn man etwas schon sehr gut beherrscht
und weiss, wie man Sachen neu kombinieren kann.
Was bedeutet «Schreiben nach Gehör» für den Lernprozess?
Das ist die grösste
Bildungskatastrophe der letzten Jahre. Ab der ersten Klasse schreiben die
Schüler, wie sie meinen, dass es richtig ist – meistens bis zur dritten Klasse.
Korrekturen sind nicht vorgesehen, um Frust zu vermeiden. So prägt man sich
Fehler ein. Das ist, wie wenn man einen Rechenfehler, den man gemacht hat, wiederholen
soll. Gerade die Buben, die oft mehr Probleme mit dem Schreibenlernen haben als
Mädchen, treibt man mit dieser Methode in die Lese-Rechtschreibe-Schwäche, die
sie ohne diese Methode nicht hätten. Beim Lernen der Rechtschreibung ist es
wichtig, dass Fehler korrigiert werden und man dann nachher das Wort oder den
Satz mehrmals richtig schreibt.
Was ist zu tun, damit das Gelernte im Langzeitgedächtnis landet?
Es landet sehr viel
im Langzeitgedächtnis. Entscheidend ist aber, ob ich es dort wieder finde und
abrufen kann. Bei manchen Leuten sieht es im Kopf aus wie in einer Schublade,
die man nicht aufräumt und in die man einfach alles hineinwirft. Da braucht man
länger, wenn man etwas sucht. Irgendwann ist das Chaos zu gross, und man wird
zum «Messie», wenn man das Wissen nicht ordnet. Man kann das auch mit einer
Bibliothek vergleichen: Wenn man Bücher einfach auf einem Haufen stapelt,
findet man irgendwann nichts mehr wieder. Deshalb ist nicht die Frage, ob das
Gelernte im Langzeitgedächtnis ist, sondern ich muss wissen, wo es dort ist,
damit ich es abrufen kann. Eine gute Methode ist, das Gelernte zu vernetzen.
Wenn ich wissen soll, wann die Französische Revolution war, dann ist es nicht
sinnvoll, sich nur die Jahreszahlen zu merken, sondern man kann sich überlegen,
wann die amerikanische Unabhängigkeitserklärung war, weil das alles
zusammenhängt. Dann habe ich einen Cluster von wichtigen Geschichtsereignissen
und kann das besser wieder abrufen.
Gibt es eine Technik, das Gedächtnis zu optimieren?
Grundsätzlich ist
es so, dass wir deshalb gut funktionieren, weil wir uns abschirmen können. Es
wäre also falsch, sich alles Mögliche einprägen zu wollen, auch wenn man es gar
nicht braucht. Je besser ich das Wissen, das bereits in meinem Kopf ist,
organisiert habe, umso besser kann ich das, was neu hinzukommt, sinnvoll
aufnehmen.
Lernt man besser, wenn man dabei Musik hört?
Das funktioniert
nur, wenn man etwas schon sehr gut beherrscht und zum Beispiel algebraische
Gleichungen problemlos auflösen kann. Dann kann man das auch mit Musik. Aber
sobald man gefordert ist, sollte man die Musik abstellen.
Wann ist die beste Zeit, um zu lernen?
Da gibt es grosse
individuelle Unterschiede. Deshalb ist es sinnvoll, die Schule etwas flexibel
zu gestalten. Es gibt Schüler, die können erst ab neun Uhr gut funktionieren,
andere schon ab fünf Uhr. Sinnvoll ist es, die Kernlernzeit auf den späten
Vormittag zu legen, da sind alle einigermassen gut drauf.
Kann man mit Audio-CDs oder Audio-Dateien im Schlaf lernen?
Nein. Das stört
höchstens den Schlaf.
Was bringen Zusammenfassungen für den Lerneffekt?
Sehr viel. Wenn man
aus Texten lernen muss, ist die übliche Methode, dass man ihn einmal, zweimal,
dreimal liest, und irgendwann versteht man was. Das ist aber nicht die
effizienteste Methode. Man verarbeitet und versteht einen Text viel schneller,
wenn man sich immer wieder zwischendurch die Frage stellt, was im gelesenen
Absatz stand, wie die Überschrift des Kapitels lautet, um was es geht. Wenn man
also reflektiert. Das bringt eindeutig viel mehr, als einen Text wiederholt zu
lesen.
Kann man Handgeschriebenes besser behalten als Getipptes?
Ich hätte grösste
Bedenken, wenn die Handschrift abgeschafft würde. Wissenschaftler, die über das
Lesen forschen, haben kürzlich davor gewarnt, dass man alles digitalisiert
macht, weil das zu eindimensional ist. Wenn ich etwas noch mal von Hand
schreibe, habe ich das auch motorisch abgespeichert. Unser Gehirn ist auf die
Steuerung von Bewegungen spezialisiert. Wenn das sinnliche Erleben verloren
geht, geht damit auch eine Spur verloren. Mit der Handschrift hat man eine
Dimension mehr. Und sie braucht meistens auch mehr Zeit, als wenn man etwas
tippt. Auch das kann ein Grund sein, warum man sich Handgeschriebenes besser
einprägen kann. Damit ist man länger beschäftigt, und es kommt nicht sofort
etwas Neues dazu, das wieder aus dem Gedächtnis rauswirft, womit ich mich
vorher beschäftigt habe.
Hilft es, sich beim Lernen zu bewegen?
Wenn man das
Bedürfnis hat, sich zu bewegen und es nicht tut, ist man im Allgemeinen nicht
mehr sehr aufnahmefähig. Die Theorie, dass manche Kinder nur bei Bewegung
lernen können, stimmt aber nicht. Da muss man aufpassen, dass dann nicht einige
Eltern glauben, dass ihr hyperaktives Kind in der Klasse herumlaufen und die
anderen stören darf.
Stimmt es, dass es verschiedene Lerntypen gibt?
Es ist ein weit
verbreiteter Irrglaube, dass der eine besser über das Hören lernt, der andere,
wenn er etwas sieht. Das stimmt einfach nicht. Verschiedene Lerntypen gibt es
nur bei Blinden und Tauben. Blinde können tatsächlich besser lernen über das
Hören, bei Tauben muss man es sinnvollerweise eher visualisieren. Aber ansonsten
gilt: Jeder, der normal mit Augen und Ohren ausgestattet ist, kann über beides
lernen. Von Lerntypen zu reden, ist das gleiche Niveau wie Astrologie zu
betreiben und wie wenn der Lehrer sagen würde: Das kann der jetzt nicht lernen,
weil der Sternzeichen Löwe ist.
Lernt man besser, wenn man in guter Stimmung ist?
Nicht unbedingt. Am
besten ist ein mittleres Stimmungsniveau. Ich muss mich auf eine Sache
konzentrieren können, und wenn ich gut gelaunt bin, weil ich gerade irgendwo
einen Erfolg habe, dann sind meine Gedanken woanders. Dann lerne ich gerade
nicht besser. Ich lerne aber auch nicht gut, wenn ich mir die ganze Zeit Sorgen
über irgendetwas anderes mache. Man sollte also möglichst weder euphorisch noch
tieftraurig sein. Es hemmt das Lernen auch, wenn man Angst hat, durch die
Prüfung zu fallen und sein Lebensziel nicht zu erreichen. Diese Angst kann zwar
an sich schon sinnvoll sein, sie sollte aber dann vorbei sein, wenn man sich
zum Lernen hinsetzt.
Kann man Blackouts bei einer Prüfung verhindern?
Blackout heisst,
dass einen die Angst überkommt. Eine sinnvolle Strategie ist in solchen Fällen,
dass man sich sagt: Es geht nicht darum, die Höchstnote zu bekommen, sondern
nur, dass man die Prüfung besteht. Ein Blackout kann entstehen, wenn ich zu
hohe Ansprüche an mich stelle. Wenn Eltern ihr Kind aufs Gymnasium trimmen,
obwohl es die Intelligenz nicht mitbringt, hat es natürlich wahnsinnig Angst.
Wenn ein Blackout öfter vorkommt, sollte man sich die Unterstützung eines
Psychologen holen, um zu klären, ob es an überzogenen Ansprüchen liegt, die das
Kind nicht erfüllen kann.
Lernen Erwachsene anders als Kinder, etwa Fremdsprachen?
Für Erwachsene ist
es aufwendiger, weil sie ein viel grösseres Vorwissen in der Muttersprache
haben und es sich deshalb um ein Umlernen handelt. Gerade beim Lernen einer
Fremdsprache ist es tatsächlich so, dass das Vorwissen hinderlich ist, und
dieses Vorwissen ist hier die eigene Muttersprache. Wenn man als Erwachsener
eine Fremdsprache lernen will, muss man das intensiv machen, viel Zeit
investieren und sich am besten einen Partner suchen, der die Sprache gut
beherrscht.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen