"Die
Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt."
Immanuel Kant (1724-1804) Nach diesem Motto handelt wohl der Lehrerverband,
wenn er den Kindergarten für obligatorisch erklären will. Doch der Reihe nach.
Im 2008 hat der Bünder Souverän den Beitritt zu HarmoS abgelehnt. Ein
Hauptgrund für das Nein war, dass der Kindergarten obligatorisch werden sollte.
«Das Nein zum HarmoS-Konkordat sei bedauerlich, aber in der Realität ohne
grosse Auswirkungen», schrieb die SP damals. Mit der Einführung des Lehrplanss
21 Graubünden (LP21GR) scheint sie nun am Ziel.
«Vollkasko-Mentalität und Abschieben von Verantwortung boomen.» Bündner Tagblatt, 17.9. von Markus Niederdorfer
Altregierungsrat Martin Jäger
sprach von einem historischen Moment. Vieles, ja beinahe alles verändert sich –
oder kein Stein bleibt auf dem andern. Da passt es, dass Sandra Locher, Präsidentin
des Lehrerverbandes und SP-Grossrätin die Freiwilligkeit des Kindergartens
abschaffen will. Und damit schliesst sich der Kreis. Ein Prozent der Eltern
nimmt sich heute das Recht heraus, ihr Kind nicht in den Kindergarten zu
schicken. Diese entscheiden bewusst und fördern ihr Kind nach bestem Wissen und
Gewissen. Auch diesen Müttern und Vätern liegt das Wohl ihres Kindes am Herzen.
Bedrängen sie mit ihrem Verhalten die Freiheit des anderen? Sind sie gar eine
Bedrohung für die Gesellschaft? Eines von hundert Kindern muss in die erste
Primarschulklasse integriert werden. Ist die Schule damit wirklich überfordert,
oder geht es um etwas anderes? Wie steht
es mit der Gleichheit?
Gerade im
Wahljahr sprechen alle Parteien von Chancengleichheit, der Bildung als einziger
Ressource und Nachhaltigkeit. Der
deutsche Philosoph Immanuel Kant ging vom mündigen Menschen aus. Die Würde des
Menschen steht dabei im Zentrum. Die Verantwortung für sein Handeln selber zu
tragen, ist von grösster Bedeutung. Dadurch erwirbt er die Kompetenzen, welche
den mündigen Menschen auszeichnen. Dieses Bewusstsein wurde zum Fundament der
modernen westlichen Demokratien. Mit dem Föderalismus erhielt die Schweiz einen
weiteren Grundpfeiler, auf dem ihre Erfolgsgeschichte fusst. Mit dem daraus
gestärkten Selbstbewusstsein hatte sie genügend Raum und Zeit, um sich gegen
totalitäre Strömungen zu wehren. Der gutschweizerische Kompromiss und der damit
einhergehende Pragmatismus formte den Begriff Swissness. Der Staat vertraut auf die Stärke der
Familien. Denn dadurch wächst die Solidarität, welche den Generationenvertrag
immer wieder erneuert.
Das traditionelle
Familienbild verblasst aber zusehends und verliert seine Akzeptanz in der
aufstrebenden Akademikerwelt. Diese fordert mehr Krippenplätze, staatliche
Unterstützung. Die Kinder sollen möglichst viel Halt im Korsett staatlicher
Förderprogramme finden. Diese Vollkaskomentalität und das Abschieben von
Verantwortung boomen. Sie werden zu Schlüsselkompetenzen in einer sich ständig
schneller verändernden Welt hochstilisiert. Die wenigen Familien, welche ihr
Kind erst mit sieben Jahren der staatlichen Bildung anvertrauen, gehören der
Minderheit an. Sie geniessen keinen Schutz. Wo die kleinen Freiheiten grundlos
auf dem Altar des Zeitgeistes und des Opportunismus geopfert werden, sind
totalitäre Entwicklungen am Horizont sichtbar. Kant wies darauf hin.Es ist
davon auszugehen, dass ein weiterer Stein aus dem alten Fundament umgeschichtet
wird, so wie es Alt Regierungsrat Jäger vorausgesagt hatte. Wird die
Gesellschaft dadurch wirklich gestärkt? Darüber nachzudenken lohnt sich.
Markus Niederdorfer ist Lehrer und
unterrichtet seit 30 Jahren Kinder und Jugendliche. Er wohnt in Innerferrera
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