Die
Bologna-Reform der Hochschulausbildung wurde vor zwanzig Jahren von 29
Bildungsministern Europas beschlossen. In der Schweiz notabene ohne Zustimmung
des Parlamentes oder gar einer Volksabstimmung. Es wurde kein entsprechendes
Gesetz beschlossen, aber dennoch hat sich unser Bildungssystem auf der
Hochschulebene grundlegend verändert.
Bologna-Reform: eine ernüchternde Bilanz, NZZ, 30.8. von Bruno S. Frey
Der
Jahrestag wurde von europäischen und nationalen Politikern als «Meilenstein in
der Bildungspolitik» gefeiert. Es fragt sich allerdings: Wie erfolgreich war
denn nun diese grundlegende Reform?
Im
Wesentlichen sind für Bologna zwei Massnahmen seit 2002 beschlossen worden:
Erstens wurden das Lizenziat und das Diplom abgeschafft und stattdessen der B.
A. als «direkter Einstieg in den Beruf» und der M. A. als wissenschaftliche
Weiterbildung eingeführt. Zweitens wird die Leistung der Studierenden nach
jeder einzelnen Veranstaltung mit Kreditpunkten bewertet, was als einheitliche
Währung in Europa dienen soll. Diese Massnahmen sollen drei Ziele erreichen:
die internationale Mobilität erhöhen, die Abbruchquote der Studierenden
vermindern und die Studiendauer verkürzen.
Schaut
man sich allerdings die Daten für die Schweiz an, fällt die Bilanz ernüchternd
aus. Es sei dabei abgesehen, dass das Humboldtsche Ideal des Forschens und
Lernens zugunsten der verschulten angelsächsischen Ausbildung geopfert wurde.
Vielmehr soll anhand von Daten gezeigt werden, inwiefern die explizit
postulierten Ziele erreicht wurden.
Die
internationale Mobilität der Studierenden, die vor Bologna gering war (sie
betrug 1990 nur 5 Prozent, im Jahr 2002 16 Prozent), hat sich auf rund 21
Prozent erhöht. Das kann als Erfolg gewertet werden. Allerdings sollte bedacht
werden, dass dies wesentlich auch auf die Erasmus-Programme zurückzuführen ist,
bei denen ein Studierender je nach Zielland zwischen 380 und 440 Franken pro
Monat erhält.
An
Universitäten und Fachhochschulen schaffen heute rund 60 Prozent der
Studierenden ihre Ausbildung bis zum B. A. Zuvor (1975–2001) schlossen 70
Prozent mit einem Lizenziat oder Diplom ab. Beim M. A. beträgt die Abbruchquote
8 Prozent. In dieser Hinsicht ist der Erfolg der Bologna-Reform eher
bescheiden.
Die
Studiendauer hat sich nach Einführung von Bologna verlängert und nicht – wie
postuliert – verkürzt. Die allermeisten Studierenden (89 Prozent) gehen nach
dem B. A. keineswegs wie vorgesehen in die Praxis, sondern streben einen M. A.
an. An den Universitäten beträgt für den B. A. die Regelstudienzeit 3 Jahre,
aber in Wirklichkeit liegt der Durchschnitt bei rund 4 Jahren. Für den M. A.
sind gemäss Bologna 1,5 bis 2 Jahre vorgesehen, in der Kohorte 2006–2010 wurden
für diesen Abschluss im Durchschnitt 2,5 Jahre aufgewendet. Insgesamt beträgt
somit die Studiendauer im Durchschnitt mindestens 6,5 Jahre, also wesentlich
mehr als zuvor.
Nun
könnte argumentiert werden, diese Zahlen seien auf die besondere Art des
Studiums in der Schweiz zurückzuführen. Die Hochschulen seien schuld. Dies ist
falsch, denn in Deutschland zeigen sich ähnliche Ergebnisse.
In
einem soeben erschienenen Artikel in «Forschung und Lehre» zeigt der
Bildungsforscher Peter Nex ebenfalls anhand offizieller Statistiken, dass der
Erfolg der Bologna-Reform in Deutschland höchst fragwürdig ist: Insbesondere
hat sich die Gesamtstudienzeit gegenüber durchschnittlich 6,9 Jahren im Jahr
1999 auf heute 7,5 Jahre erhöht. Nur wenige treten nach dem B. A. in die Praxis
ein; nicht weniger als 83 Prozent streben einen M. A. an. Die
Studienabbruchquote lag in den 1990er Jahren bei ungefähr 26 Prozent, heute
sind es beim B. A. 28 und beim M. A. 19 Prozent. Auch in dieser Hinsicht wurde
das Ziel somit verfehlt.
Die
hier aufgeführten Zahlen sind nicht in Stein gemeisselt. Ausbildungsdaten sind
schwer zu erfassen. Als Studienabbrecher zählt zum Beispiel, wer innerhalb von
zwei Jahren das Studium nicht wiederaufnimmt. Die (wenigen) Personen, die dies
erst später tun, werden somit vernachlässigt.
Angesichts
der aufgeführten Evidenz kann es jedoch nicht mehr als selbstverständlich
gelten, dass die Bologna-Reform erfolgreich war. Wer von deren Erfolg überzeugt
ist, muss dazu überzeugende Daten liefern.
Dieser
Beitrag richtet sich keineswegs gegen Anstrengungen zur Verbesserung der
Hochschulausbildung. Vielmehr sollte nach zwanzig Jahren die Gelegenheit
genutzt werden, neue Überlegungen anzustellen, um insbesondere der herrschenden
Verschulung der Universitäten entgegenzutreten.
Bruno
S. Frey ist
ständiger Gastprofessor an der Universität Basel und Forschungsdirektor von
Crema – Center for Research in Economics, Management and the Arts in Zürich.
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