1. September 2019

Bologna verschult das Studium


Die Bologna-Reform der Hochschulausbildung wurde vor zwanzig Jahren von 29 Bildungsministern Europas beschlossen. In der Schweiz notabene ohne Zustimmung des Parlamentes oder gar einer Volksabstimmung. Es wurde kein entsprechendes Gesetz beschlossen, aber dennoch hat sich unser Bildungssystem auf der Hochschulebene grundlegend verändert.
Bologna-Reform: eine ernüchternde Bilanz, NZZ, 30.8. von Bruno S. Frey


Der Jahrestag wurde von europäischen und nationalen Politikern als «Meilenstein in der Bildungspolitik» gefeiert. Es fragt sich allerdings: Wie erfolgreich war denn nun diese grundlegende Reform?

Im Wesentlichen sind für Bologna zwei Massnahmen seit 2002 beschlossen worden: Erstens wurden das Lizenziat und das Diplom abgeschafft und stattdessen der B. A. als «direkter Einstieg in den Beruf» und der M. A. als wissenschaftliche Weiterbildung eingeführt. Zweitens wird die Leistung der Studierenden nach jeder einzelnen Veranstaltung mit Kreditpunkten bewertet, was als einheitliche Währung in Europa dienen soll. Diese Massnahmen sollen drei Ziele erreichen: die internationale Mobilität erhöhen, die Abbruchquote der Studierenden vermindern und die Studiendauer verkürzen.

Schaut man sich allerdings die Daten für die Schweiz an, fällt die Bilanz ernüchternd aus. Es sei dabei abgesehen, dass das Humboldtsche Ideal des Forschens und Lernens zugunsten der verschulten angelsächsischen Ausbildung geopfert wurde. Vielmehr soll anhand von Daten gezeigt werden, inwiefern die explizit postulierten Ziele erreicht wurden.
Die internationale Mobilität der Studierenden, die vor Bologna gering war (sie betrug 1990 nur 5 Prozent, im Jahr 2002 16 Prozent), hat sich auf rund 21 Prozent erhöht. Das kann als Erfolg gewertet werden. Allerdings sollte bedacht werden, dass dies wesentlich auch auf die Erasmus-Programme zurückzuführen ist, bei denen ein Studierender je nach Zielland zwischen 380 und 440 Franken pro Monat erhält.

An Universitäten und Fachhochschulen schaffen heute rund 60 Prozent der Studierenden ihre Ausbildung bis zum B. A. Zuvor (1975–2001) schlossen 70 Prozent mit einem Lizenziat oder Diplom ab. Beim M. A. beträgt die Abbruchquote 8 Prozent. In dieser Hinsicht ist der Erfolg der Bologna-Reform eher bescheiden.

Die Studiendauer hat sich nach Einführung von Bologna verlängert und nicht – wie postuliert – verkürzt. Die allermeisten Studierenden (89 Prozent) gehen nach dem B. A. keineswegs wie vorgesehen in die Praxis, sondern streben einen M. A. an. An den Universitäten beträgt für den B. A. die Regelstudienzeit 3 Jahre, aber in Wirklichkeit liegt der Durchschnitt bei rund 4 Jahren. Für den M. A. sind gemäss Bologna 1,5 bis 2 Jahre vorgesehen, in der Kohorte 2006–2010 wurden für diesen Abschluss im Durchschnitt 2,5 Jahre aufgewendet. Insgesamt beträgt somit die Studiendauer im Durchschnitt mindestens 6,5 Jahre, also wesentlich mehr als zuvor.

Nun könnte argumentiert werden, diese Zahlen seien auf die besondere Art des Studiums in der Schweiz zurückzuführen. Die Hochschulen seien schuld. Dies ist falsch, denn in Deutschland zeigen sich ähnliche Ergebnisse.

In einem soeben erschienenen Artikel in «Forschung und Lehre» zeigt der Bildungsforscher Peter Nex ebenfalls anhand offizieller Statistiken, dass der Erfolg der Bologna-Reform in Deutschland höchst fragwürdig ist: Insbesondere hat sich die Gesamtstudienzeit gegenüber durchschnittlich 6,9 Jahren im Jahr 1999 auf heute 7,5 Jahre erhöht. Nur wenige treten nach dem B. A. in die Praxis ein; nicht weniger als 83 Prozent streben einen M. A. an. Die Studienabbruchquote lag in den 1990er Jahren bei ungefähr 26 Prozent, heute sind es beim B. A. 28 und beim M. A. 19 Prozent. Auch in dieser Hinsicht wurde das Ziel somit verfehlt.
Die hier aufgeführten Zahlen sind nicht in Stein gemeisselt. Ausbildungsdaten sind schwer zu erfassen. Als Studienabbrecher zählt zum Beispiel, wer innerhalb von zwei Jahren das Studium nicht wiederaufnimmt. Die (wenigen) Personen, die dies erst später tun, werden somit vernachlässigt.

Angesichts der aufgeführten Evidenz kann es jedoch nicht mehr als selbstverständlich gelten, dass die Bologna-Reform erfolgreich war. Wer von deren Erfolg überzeugt ist, muss dazu überzeugende Daten liefern.

Dieser Beitrag richtet sich keineswegs gegen Anstrengungen zur Verbesserung der Hochschulausbildung. Vielmehr sollte nach zwanzig Jahren die Gelegenheit genutzt werden, neue Überlegungen anzustellen, um insbesondere der herrschenden Verschulung der Universitäten entgegenzutreten.

Bruno S. Frey ist ständiger Gastprofessor an der Universität Basel und Forschungsdirektor von Crema – Center for Research in Economics, Management and the Arts in Zürich.

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