Keine zweite
Chance. Ab dem neuen Schuljahr, das nächste Woche beginnt, werden an der Basler
Sekundarstufe die Schrauben angezogen. Künftig zählt jedes Semester. Ein
ungenügendes Zeugnis bedeutet direkt den Wechsel in ein niedrigeres
Leistungsniveau. Eine Möglichkeit, ein schlechteres Semester mit besseren
Leistungen wieder auszugleichen, entfällt. Mit dieser Massnahme, von der
ausserhalb der Lehrerzimmer kaum jemand wusste, soll die notorisch hohe
Maturitätsquote des Kantons gesenkt werden, vermuten Bildungspolitiker und
kritisieren die Neuerungen (bz von gestern).
"Schüler sollen auch Krisen haben dürfen", BZ Basel, 9.8. von Jonas Hoskyn
Auch Experten können den
Verschärfungen nicht viel abgewinnen. «Es wirkt, als hätte man sich nicht
überlegt, was das für die Jugendlichen und ihre Familien bedeutet», sagt der
Basler Jugendpsychologe Tobias Steiger. Bei Jugendlichen könne es diverse
Gründe für eine schulische Krise geben. «Ein externes Ereignis wie die Trennung
der Eltern, Krankheit oder ein Todesfall in der Familie kann zu Einbrüchen
führen, welche für die langfristige schulische Entwicklung nichts zu bedeuten
haben», sagt
Steiger. «Wenn sich ein Jugendlicher nicht erlauben kann, eine Krise zu haben,
ohne gleich fürchten zu müssen, dass er sich dann seine Zukunft verbaut: Was
gibt das dann für Erwachsene?», fragt Steiger.
Keine Möglichkeit mehr, schlecht
zu sein
Auch der Zürcher Jugendpsychologe Allan Guggenbühl sieht die
Verschärfungen der Basler Sekundarschule kritisch: «Wenn ein
Semesterzeugnis bereits zu einer Versetzung führt, ist dies problematisch»,
sagt er. «Die Schule ist in der Pubertät für viele Schüler sekundär und die
Folgen der Herabstufung sind ihnen nicht bewusst.» Während der Pubertät gäbe es
Phasen, in denen sich Jugendliche aus persönlichen und familiären Gründen aus
dem Unterricht ausklinken. In solchen Fällen könnten Vorwarnungen oder
Gespräche mit
Jugendlichen
und ihren Eltern sinnvoll sein. «Viele Eltern werden so mobilisiert und können
das Kind unterstützen», so Guggenbühl weiter. Er gibt zu bedenken: «Der
Leistungsdruck ist bereits durch die bisherige jährliche Versetzungsoption
hoch.» Ausserdem hätten die Schüler keine Möglichkeit mehr, auch mal in der
Schule «schlecht» zu sein. «Bei gewissen Schülern gehört es fast zu ihrem guten Ruf, dass
sie Phasen durchlebten, in denen sie der Unterricht nicht interessierte», so Guggenbühl.
«Es sind auch nicht einfach die faulen oder nicht leistungsbereiten Schüler,
die diese Verhaltensmuster zeigen», so der Jugendpsychologe.
Sekundarlehrer
wollen selber entscheiden können
Die Basler Lehrerschaft ist bei dem Thema
geteilter Meinung. Im Rahmen der Anpassung der sogenannten
Schullaufbahnverordnung wurde vergangenes Jahr eine grosse Befragung
durchgeführt. Die Mehrheit der Sekundarlehrer habe dabei die geplanten
Änderungen unterstützt, sagt Jean-Michel Héritier, Präsident der Freiwilligen
Schulsynode Basel-Stadt. Ausschlaggebend für den Entscheid der Lehrer sei
gewesen, dass sie im ersten Semester immer wieder Schüler hätten, die sie
anders einschätzen als der vorherige Primarlehrer, der für die Einteilung in
die Leistungszüge zuständig war. Es gebe unter den Lehrern aber auch ablehnende
Stimmen, sagt Héritier. «Wir werden die Neuerungen kritisch begleiten und die
Erfahrungen reflektieren. Wenn man merkt, dass es nicht funktioniert, ist das
nicht in Stein gemeisselt.»
Die Massnahme wird dazu führen, dass die Lehrer pro Semester deutlich mehr Tests durchführen werden. In Fächern wie Naturkunde, Geografie, Geschichte etc. werden zwei Semesternoten nicht mehr reichen, da sich die Situation nach jeder Prüfung vollkommen verändern kann.
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