«No Outsiders», keine Aussenseiter. So nennt sich ein Programm, das an
englischen Schulen unterrichtet wird und die Kinder lehrt, dass
es nicht nur heterosexuelle Menschen gibt, sondern auch LBGTs, also homo- und
transsexuelle. Es geht folglich um die sexuelle Orientierung, Sex an sich ist
aber nicht das Thema. Vielmehr will man mit dem Unterrichtsprogramm Kindern die
Werte des «Equality Act», also des Gleichstellungsgesetzes, vermitteln: dass
alle Menschen gleichwertig sind, völlig unabhängig von ihrer sexuellen
Orientierung.
Es gibt nicht nur Heteros! Mamablog Tages Anzeiger, 22.8. von Jeanette Kuster
Um dies zu verbildlichen, arbeiten die Lehrer mit Büchern. Da gibt es
etwa das Bilderbuch über
zwei männliche Pinguine, die ein Pinguinbaby grossziehen. Oder
dasjenige über den Jungen,
der sich als Meerjungfrau verkleidet.
Unterrichtsstopp wegen Protests
Klingt harmlos? Das sehen viele Eltern ganz anders. Die Proteste gegen
«No Outsiders» begannen in einer Schule in Birmingham und weiteten sich bald
auf andere Schulhäuser aus. Prorektor Andrew Moffat, der selber homosexuell ist
und das Programm 2014 entwickelt hatte, wurde sogar persönlich bedroht, weshalb
einige Schulen den «No Outsiders»-Unterricht vorübergehend einstellten.
Dass die schulische Sexualerziehung für Aufregung sorgen kann, haben wir
auch hierzulande schon erlebt. Sicher erinnern Sie sich an die Diskussion um
die sogenannten «Sexkoffer» mit
den Plüschvaginas. Es wurde damals sogar eine Initiative lanciert,
die später aber wieder zurückgezogen wurde, um die Kleinen «vor der
Sexualisierung im Kindergarten und der Primarschule zu schützen».
Auch an der Schule meiner Kinder stösst die Sexualkunde auf grosses
elterliches Interesse. Als meine Tochter in die dritte Klasse kam und es eine
Elternveranstaltung zum Thema gab, war der Saal vollgepackt. Anders
als an anderen Info-Abenden sah man auch keine beinahe wegdösenden Eltern –
alle lauschten höchst aufmerksam. Was uns an dem Abend erzählt wurde, war
allerdings absolut harmlos: In der Unterstufe besteht die Sexualkunde
hauptsächlich daraus, mit den Kindern ganz allgemein über Gefühle zu reden.
«Schwul» ist immer noch ein
Schimpfwort
Ab der Mittelstufe kommen dann laut Lehrplan 21 auch die sexuelle
Entwicklung, die sexuelle Gesundheit oder eben die sexuelle Orientierung zur
Sprache. Wie die Lehrperson diese Themen umsetzt, bleibt allerdings ihr
überlassen. «Sehr oft kommt dann genau das Thema geschlechtliche Vielfalt zu
kurz», sagt Yasmin Reber, selber Sekundarlehrerin und Vorstandsmitglied bei
ABQ. Der Verein aus Bern setzt sich für einen
offeneren Umgang mit Homosexualität ein. Denn auch hierzulande ist «schwul»
immer noch ein Schimpfwort und sind gleichgeschlechtliche Beziehungen nach wie
vor ein Tabuthema. Das bestätigt auch Katja Hochstrasser, Sexualpädagogin der
Organisation SpiZ. Und doch beobachtet
sie, wie das Tabu allmählich bröckelt: «Fast jeder kennt jemanden, der schwul
oder lesbisch ist», so Hochstrasser. Ausserdem sei das Wissen über
Homosexualität dank den digitalen Medien viel breiter geworden.
Um weiter am Tabu zu rütteln, organisiert ABQ jährlich etwa 35
Schulbesuche, bei denen Nicht-Heteros die Klasse besuchen. Die ABQ-Mitglieder
reden über Geschlechterrollen, über die rechtliche Lage in der Schweiz und
erzählen auch sehr persönliche Coming-out-Geschichten. «Damit decken wir nicht
sehr viele Klassen ab», gibt Yasmin Reber zu, «dort, wo wir auftreten,
hinterlassen wir jedoch positive Spuren.» Wenn die ABQ-Mitglieder auf Ablehnung
stossen, dann meist bei Jugendlichen, die aus einem stark religiösen Umfeld
stammen.
Auch die Experten von SpiZ widmen sich bei ihren Schulbesuchen dem Thema
Homosexualität. «Wir gehen dabei jeweils auf das Gleichstellungsgesetz ein»,
sagt Hochstrasser. «Wenn wir Beispiele bringen, in welchen Menschen aufgrund
ihres Geschlechts oder ihrer Vielfalt benachteiligt sind, zum Beispiel beim
Heiraten oder Blutspenden, dann wird bei Jugendlichen sehr schnell der
Gerechtigkeitssinn aktiv, und sie finden diese ungleiche Behandlung überhaupt
nicht fair.»
Ein Aufsatz über Lesben?
Solche Schulbesuche scheinen also ein guter Weg zu sein, um Vorurteile
und Hemmungen abzubauen. Und doch gibt es da ein Aber. Denn erstens werden nie
alle Schüler solche Begegnungen erleben, da es schlicht nicht genügend Angebote
gibt und es vom einzelnen Lehrkörper abhängt, ob ABQ oder andere Organisationen
eingeladen werden. Zweitens wird Homosexualität durch eine einzige Begegnung
oder Unterrichtssequenz nicht «normal». Wichtig wäre deshalb, den Kindern ganz
nebenbei immer wieder zu zeigen, dass es nicht nur Hetero-, sondern auch
Homo-Paare gibt. Etwa indem man in der Schule ganz selbstverständlich auch
solche Beispiele in den Unterricht einbaut – beim Lesen oder auch bei
Rechenaufgaben. Meinetwegen schon in der Unterstufe. Je früher man den Kindern
erzählt, dass sich auch Männer in Männer verlieben und Frauen Frauen heiraten
können, desto selbstverständlicher gehen sie danach damit um.
An Andrew Moffats Schule in Birmingham scheinen die Kinder jedenfalls
ziemlich schnell begriffen zu haben, worum es bei «No Outsiders» eigentlich
geht. Während nämlich die Eltern vor den Schultoren immer noch Radau machten,
griffen viele Kinder zum Farbstift und malten Zeichnungen und Karten für ihren
Prorektor. Was darauf stand? «Keine Aussenseiter! Jeder ist bei uns
willkommen.»
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen