Viele
Basler Lehrer sind am Anschlag. «Störende Kinder sind das grösste Problem in
unserem Beruf», sagt Jean-Michel Héritier, Präsident der Freiwilligen
Schulsynode (FSS). Es sind nicht die Hochbegabten, es sind nicht die
Behinderten oder die Lernschwächsten. Nein, es sind die Kinder, welche die
Benimmregeln verletzen, die dreinschwatzen, die Schulmaterial durchs Zimmer
werfen oder die ganze Zeit aufs WC rennen.
Hilferuf aus dem Schulzimmer, BZ Basel, 2.8. von Leif Simonsen
Das Problem betrifft längst nicht
mehr nur die Sekundarschule. «Es beginnt bereits bei den kleinsten Schülern,
die nicht bereit sind für die Sozialisation», sagt Héritier. Schüler, die nicht
teilen können. Schülerinnen, die nichts aushalten. Schüler, die vom vielen
Gamen
sozial
abgestumpft sind. Héritier sieht die Gründe für die zunehmenden Probleme
einerseits in der Einführung der integrativen Volksschule und andererseits in
gesellschaftlichen Veränderungen wie der zunehmenden Individualisierung, «samt
Wertezerfall in der Erziehung oder digitalen statt persönlichen
Betreuungssituationen».
Schulinseln setzen sich durch
Die Leidtragenden sind
sowohl die Lehrer als auch die Schüler. Der Schweizerische Dachverband der
Lehrer konstatiert seit Jahren einen Zuwachs an Burnouts. Beim Basler
Schulpsychologischen Dienst und bei der Schulsozialarbeit ist die
Pendenzenliste lang – in den vergangenen Jahren ist die Zahl der Beratungen
stets gestiegen. Die
Mitarbeiter kämen nicht nach mit der Bearbeitung der Fälle, sagt Héritier.
Das
Erziehungsdepartement (ED) hat die Probleme erkannt. Im jüngsten Schulblatt
kündet es ein «SOS-Angebot» an. Die Schulleitungen sollen sich künftig
jederzeit per Mail an die Leitung der Schulsozialarbeit und den Schulpsychologischen
Dienst wenden können, woraufhin «innerhalb weniger Tage eine Besprechung
stattfindet». Mehr zu diesem SOS-Angebot könne noch nicht gesagt werden, sagt
ED-Sprecherin Yvonne Reck. Nur, dass nach einem solchen SOS-Ruf alle
Beteiligten innert Kürze die Situation analysieren würden. Geplant ist gemäss
Informationen der bz auch eine Aufstockung der Schulsozialarbeit.
Doch nicht
nur der Kanton hat Handlungsbedarf erkannt; die
Schulleitungen sind von sich aus aktiv geworden. Einige Schulen haben sogenannte
«Schulinseln» geschaffen. Zimmer, in die die Schüler sich zurückziehen und
austoben können. Dies sei nicht vergleichbar mit dem traditionellen
«Vor-die-Tür-gestellt-Werden», wie Héritier sagt. «Es ist keine Bestrafung,
sondern eher eine Erste-Hilfe-Massnahme.» Eine Möglichkeit, damit die Kinder
unter Aufsicht durchatmen könnten. Auch am Inselschulhaus, wo Héritier
unterrichtet, ist die Einrichtung einer solchen Schulinsel vorgesehen. Im
Wiederholungsfall müssten dann aber weitergehende Schritte erfolgen, schreibt
er im jüngsten «Schulblatt».
Offenbar hat, was das Ausmass der Störungen
angeht, auch im Erziehungsdepartement ein
Umdenken stattgefunden. Noch im vergangenen Jahr standen die Verantwortlichen
den Schulinseln skeptisch gegenüber. In einem Artikel der bz über gewalttätige
Schüler äusserte sich ED-Sprecherin Valérie Rhein zurückhaltend: «In
Einzelfällen kann ein kurzfristiges, temporäres Time-out durchaus notwendig
sein. Es ist jedoch nicht in jedem Fall die richtige Massnahme», sagte sie. In der
Zwischenzeit haben sich die Schulinseln an mehreren Schulstandorten etabliert,
etwa im Theobald-Baerwart Schulhaus im Kleinbasel oder bei den
Primar-Spezialangeboten im Ackermätteli. Weitere Schulen werden dem Beispiel
folgen.
Ob SOS-Angebote oder Schulinseln, in einem sind sich die Lehrer einig.
Es braucht Massnahmen.
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