Alarmstimmung an den
Baselbieter Schulen: Kurz vor den Sommerferien waren noch immer Dutzende
Stellen ausgeschrieben. Auch wenn diese bis zum Schulstart im August mit Müh
und Not besetzt werden können: Der Lehrermangel wird sich in den kommenden
Jahren schweizweit verschärfen; Ursachen sind zunehmende Schülerzahlen und
ebenso zunehmende Lehrerpensionierungen. Zudem nimmt die Zahl der
Berufsaussteiger zu, weil sich die Rahmenbedingungen in den Augen vieler
laufend verschlechtern.
SVP-Landrätin lanciert neue Idee gegen den Lehrermangel, BZ Basel, 11.7. von Hans-Martin Jermann
Satz des Pythagoras mündlich herleiten
Was also tun
gegen den Lehrermangel? Die Reinacher SVP-Landrätin Caroline Mall bringt im
Baselbieter Parlament eine neue Idee ein: Demnach sollen die
Zulassungsbedingungen für die Studiengänge Kindergarten und Primarstufe an der
Pädagogischen Hochschule (PH) der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW)
gelockert werden. Insbesondere stört
sich Mall daran, dass heute Sekundarstufe-II-Abgänger mit Berufsmaturität vor
der Aufnahme eine Ergänzungsprüfung ablegen müssen. Kommt hinzu: Ohne
vorgängigen, einjährigen Vorkurs ist diese Prüfung für Berufsmaturanden kaum zu
schaffen. Im Rahmen der Mathematikprüfung müssten Anwärter zum Beispiel den
Satz des Pythagoras mündlich herleiten können, führt Mall aus und kritisiert:
«Das ist völlig überzogen, wenn man bedenkt, dass es um eine Ausbildung zur
Kindergarten- oder Primarlehrperson geht.»
Heute ist die Aufnahme an die PH für
die Studiengänge Kindergarten/Unterstufe und Primarstufe so geregelt: Inhaber
eines gymnasialen Maturitätszeugnisses haben einen prüfungsfreien Zugang,
ebenso Absolventen einer Fachmittelschule (FMS) mit Schwerpunkt Pädagogik. Für
Quereinsteiger mit Berufserfahrung, die mindestens 30 Jahre alt sind, ist vor
einigen Jahren ein spezielles Verfahren aufgebaut worden: Sie werden im
Rahmen eines zweitägigen Assessments auf kognitive Fähigkeiten und auf die Berufseignung geprüft.
Caroline Mall schüttelt den Kopf: Das Assessment für Quereinsteiger sei ein
Erfolgsmodell – doch weshalb lasse sich dieses nicht auf 20-Jährige mit
Berufsmaturität übertragen? Dass Letztere gegenüber Anwärtern mit gymnasialer
Maturität oder FMS-Abschluss in Pädagogik benachteiligt würden, sei nicht
korrekt: «Wer sagt denn, dass ein Schreiner mit Berufsmatur der schlechtere
angehende Pädagoge ist als ein Maturand mit Schwerpunkt Mathematik?» Für Mall
ist die heutige Regel ungerecht und widerspricht unserem auf Durchlässigkeit
angelegten Bildungssystem.
Fachwissen geniesst zu hohen Stellenwert
CVP-Landrat
Pascal Ryf warnt davor, die Hürden für die Zulassung zur PH zu senken. Er
fordert im Gegenteil strengere Selektionskriterien, damit die Ausbildung qualitativ
besser und der Lehrerberuf somit insgesamt attraktiver wird. «Es wäre geradezu
fatal, wenn wir wegen des Lehrermangels nun die
Anforderungen generell nach unten schrauben würden.» Dennoch unterstützt Ryf,
der lange als Schulleiter tätig war und seit dem 1. Juli als Präsident der
landrätlichen Bildungskommission amtet, den Vorstoss. «Es ist nötig, die
Zulassungsbedingungen unter die Lupe zu nehmen.»
Auch Ryf ist der Auffassung,
dass das Fachwissen einen zu grossen Stellenwert geniesst – sowohl bei der
Zulassung als auch später in der Ausbildung: «Punkto Stoff werden immer höhere
Anforderungen gestellt, die Ausbildung wird verakademisiert», kritisiert Ryf –
und plädiert für einen Paradigmenwechsel: Komplexes Fachwissen bringe im
Berufsalltag auf der Primarstufe oft sehr wenig; umso wichtiger seien Empathie
und die Fähigkeit, Wissen zu vermitteln. Seine Schlussfolgerung: Bei der
Zulassung sollten die Anwärter für eine PH-Ausbildung stärker auf ihre
pädagogische Eignung geprüft werden. Er könnte sich vorstellen, das bereits
heute für Quereinsteiger geltende Assessment auf alle
Studienanwärter auszudehnen.
Baselland kann nicht alleine entscheiden
Dass
Handlungsbedarf besteht, ist im Baselbiet wohl mehrheitsfähig. Allerdings
können die Kantone hier nicht in Eigenregie Änderungen vornehmen. Zu den
Zulassungsbedingungen fürs Lehrer-Studium hat die Konferenz der kantonalen
Erziehungsdirektoren kürzlich eine Vernehmlassung für ein neues, schweizweit
einheitliches Reglement durchgeführt. Eine Mehrheit der Kantone will an der
Prüfung für Berufsmaturanden festhalten. Die Baselbieter Bildungsdirektorin
Monica Gschwind hat sich hingegen für eine prüfungsfreie Zulassung
ausgesprochen. Zumindest sie müsste SVP-Landrätin Mall also nicht überzeugen.
Ob der durch einen Landratsentscheid herbeigeführte Druck ausreicht, um die
Diskussion auf nationaler Ebene neu zu lancieren, ist jedoch fraglich.
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