Ungerechtfertigte Entlassung: Stadt St. Gallen muss 300'000 Franken Schadenersatz bezahlen
Er will ein neues Leben beginnen, darum will er seinen Namen
nicht in der Zeitung lesen. Der heute 51-jährige Lehrer bildet sich gegenwärtig
weiter und hat in einem kleinen Pensum eine Anstellung. Nicht als Reallehrer.
Als solcher war er 2015 von der Stadt St.Gallen fristlos entlassen worden,
nachdem er 14 Jahre lang im Realschulhaus Buchental unterrichtet hatte.
Der in St. Gallen zu Unrecht entlassene Reallehrer wehrt sich: "Ich war das Bauernopfer des Schulamts", St. Galler Tagblatt, 29.5. von Daniel Wirth
Die fristlose Kündigung war nicht gerechtfertigt, wie das
Verwaltungsgericht des Kantons St.Gallen Mitte Dezember entschieden hat. Der
Entscheid des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig. Er wird von der Stadt
akzeptiert. Der Lehrer, der nun vom Verwaltungsgericht recht bekommen hat,
hadert mit seinem Schicksal; er sieht sich als «Bauernopfer» der Leiterin der
Dienststelle Schule und Musik, Marlis Angehrn. Denn der interimistische
Schulleiter, der Anfang September 2015 seine Arbeit im «Buchental» aufnahm, ist
ein Bekannter von ihr.
Viele Diplome, aber kein ausgebildeter
Schulleiter
Es handelt sich um den heute 59-jährigen diplomierten Heimleiter
und Landwirt sowie ehemaligen Badmeister Daniel Schönenberger aus Wil. Er hält
als Hobby Alpakas. Schönenberger bestätigt, dass er vor etwa vier Jahren von
Marlis Angehrn persönlich angefragt worden sei, ob er vorübergehend die Leitung
im Schulhaus Buchental übernehmen könne.
Schönenberger, der die SP der Stadt Wil präsidiert und
Erziehungsrat ist, war kurze Zeit zuvor nach eigenen Aussagen Schulleiter in
Ebnat-Kappel. Eine abgeschlossene Schulleiter-Ausbildung habe er nicht, sagt
er. Er sei aber in Afrika als Lehrer in die Leitung einer Internatsschule
involviert gewesen.
Der SP-Mann (früher Grüne) und CVP-Frau Marlis Angehrn kennen
sich aus gemeinsamer Zeit in Wil. Schönenberger war von 2001 bis 2015 Mitglied des
Schulrats in Wil, der zur gleichen Zeit von Stadträtin Angehrn präsidiert
wurde. Ihr war bewusst, dass Daniel Schönenberger keine abgeschlossene
Schulleiter-Ausbildung hatte, als sie ihn ins Buchental holte. «Ein
Interimseinsatz in einer solchen Situation bemisst sich nach primär
menschlichen Eigenschaften», sagt Angehrn.
Im Realschulhaus rumorte es gewaltig
Im Sommer 2015 rumorte es im Schulhaus Buchental nicht zum
ersten Mal. Der langjährige Schulleiter wurde freigestellt. Eine Lehrerin
übernahm zu Beginn des Schuljahres 2015/16 die Stellvertretung. Sie wurde
abgelöst und versetzt, nachdem ihr Illoyalität vorgehalten worden war, weil sie
hinter dem Rücken von Schönenberger einen Konvent einberufen haben soll.
An diesem Konvent habe er in einer kleinen Arbeitsgruppe an der
Kompetenz Schönenbergers gezweifelt, indem er gesagt habe, er wisse nicht, wie
ein Alpaka-Züchter das Buchental-Team aus seiner schwierigen Situation führen
soll, sagt der später entlassene Lehrer.
Dieser Ausspruch sei danach von irgend jemandem an Angehrn
herangetragen worden, was seine fristlose Entlassung nach sich gezogen habe,
schildert der Lehrer die Vorkommnisse. Seine Schülerinnen und Schüler setzten
sich danach mit einem Brief für ihn ein – ohne Erfolg.
Dienststellenleiterin hält Lehrer rüde
Sprache vor
Die Dienststelle Schule und Musik verweigerte dem Reallehrer das
rechtliche Gehör, wie das Verwaltungsgericht in seinem Urteil zum Fall
festgestellt hat. Ihm wurde auch nach mehrmaligem Bitten nicht gesagt, wer aus
dem Unterrichtsteam ihn «verpfiffen» und allenfalls den Sachverhalt überspitzt
ins Amt an die Neugasse transportiert hatte.
Das Verwaltungsgericht rügt die Stadt dafür. Sie habe dem Lehrer
die Akteneinsicht nicht gewährt. Der entlassene Lehrer habe einen Kollegen als
«Ratte», einen anderen als «Pfeife» und eine Kollegin als «fette Schlampe»
beschimpft, erwidert Marlis Angehrn. Er habe ihm unliebsame Lehrpersonen zuvor
über Jahre drangsaliert, entwürdigt und auf perfide Art eingeschüchtert.
«Lehrpersonen haben sich uns schliesslich in ihrer Not anvertraut», sagt die
Leiterin der Dienststelle Schule und Musik.
Behörden verteidigen ihr Vorgehen
Diese Vorgeschichte müsse man kennen, um zu verstehen, weshalb
interveniert worden sei. «Dass wir dabei die Namen der Lehrpersonen dem
klagenden Lehrer verschwiegen, war rechtlich riskant, aber menschlich geboten»,
sagt Angehrn. Dank des Interimsschulleiters hätten die Lehrpersonen den Mut zu
diesem wichtigen Schritt fassen und «wir umgehend die Fürsorgepflicht
wahrnehmen können», sagt sie.
Stadtrat Markus Buschor, Vorsteher der Direktion Schule und
Freizeit, ergänzt: «Der Kläger hatte Einsicht in sämtliche Akten. Nur beim
Besprechungsprotokoll mit den Lehrpersonen waren die Namen der Lehrpersonen,
die sich ans Schulamt wandten, anonymisiert.» Einzig die Verweigerung der
Namensnennung habe die Gehörsverletzung ausgemacht.
Dies sagt das Verwaltungsgericht gemäss Buschor deutlich. Wäre
der Sachverhalt im Protokoll überspitzt geschildert gewesen, hätte der Lehrer
es dementieren können, habe er aber nicht getan, sagt Buschor.
Der Lehrer möchte die Kündigung nach dem Entscheid des
Verwaltungsgerichts jetzt endlich hinter sich lassen. Er habe gekämpft für sein
Recht und dieses bekommen. Allerdings: Kurz nach der Kündigung sei er krank
geworden. Er musste sich in einer Klinik stationär behandeln lassen. Freunde
hätten sich von ihm abgewandt, auch, weil er sich zurückgezogen habe. Er habe
die Welt nicht mehr verstanden.
Haltung des Verbandes befremdet Schuldirektor
Der Vorstand des Verbandes Lehrpersonen St.Gallen (VLSG) schrieb
in seinem Jahresbericht zuhanden der Hauptversammlung, die Rechtsberatung des
Lehrerverbandes werde rege nachgefragt. Auch der Fall des Buchental-Reallehrers
zeige: Es lohne sich, für sein Recht zu kämpfen. Es sei augenscheinlich nicht
so, dass alles rechtens sei, was die Direktion Bildung und Freizeit sowie die
Dienststelle Schule und Musik beschlössen.
Markus Buschor sagt, die Haltung des VLSG in Zusammenhang mit
dem Fall befremde ihn sehr.
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