1. Juni 2019

Ungerechtfertigte Entlassung: Stadt St. Gallen muss 300'000 Franken Schadenersatz bezahlen

Er will ein neues Leben beginnen, darum will er seinen Namen nicht in der Zeitung lesen. Der heute 51-jährige Lehrer bildet sich gegenwärtig weiter und hat in einem kleinen Pensum eine Anstellung. Nicht als Reallehrer. Als solcher war er 2015 von der Stadt St.Gallen fristlos entlassen worden, nachdem er 14 Jahre lang im Realschulhaus Buchental unterrichtet hatte.

Der in St. Gallen zu Unrecht entlassene Reallehrer wehrt sich: "Ich war das Bauernopfer des Schulamts", St. Galler Tagblatt, 29.5. von Daniel Wirth


Die fristlose Kündigung war nicht gerechtfertigt, wie das Verwaltungsgericht des Kantons St.Gallen Mitte Dezember entschieden hat. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig. Er wird von der Stadt akzeptiert. Der Lehrer, der nun vom Verwaltungsgericht recht bekommen hat, hadert mit seinem Schicksal; er sieht sich als «Bauernopfer» der Leiterin der Dienststelle Schule und Musik, Marlis Angehrn. Denn der interimistische Schulleiter, der Anfang September 2015 seine Arbeit im «Buchental» aufnahm, ist ein Bekannter von ihr.

Viele Diplome, aber kein ausgebildeter Schulleiter

Es handelt sich um den heute 59-jährigen diplomierten Heimleiter und Landwirt sowie ehemaligen Badmeister Daniel Schönenberger aus Wil. Er hält als Hobby Alpakas. Schönenberger bestätigt, dass er vor etwa vier Jahren von Marlis Angehrn persönlich angefragt worden sei, ob er vorübergehend die Leitung im Schulhaus Buchental übernehmen könne.

Schönenberger, der die SP der Stadt Wil präsidiert und Erziehungsrat ist, war kurze Zeit zuvor nach eigenen Aussagen Schulleiter in Ebnat-Kappel. Eine abgeschlossene Schulleiter-Ausbildung habe er nicht, sagt er. Er sei aber in Afrika als Lehrer in die Leitung einer Internatsschule involviert gewesen.


Der SP-Mann (früher Grüne) und CVP-Frau Marlis Angehrn kennen sich aus gemeinsamer Zeit in Wil. Schönenberger war von 2001 bis 2015 Mitglied des Schulrats in Wil, der zur gleichen Zeit von Stadträtin Angehrn präsidiert wurde. Ihr war bewusst, dass Daniel Schönenberger keine abgeschlossene Schulleiter-Ausbildung hatte, als sie ihn ins Buchental holte. «Ein Interimseinsatz in einer solchen Situation bemisst sich nach primär menschlichen Eigenschaften», sagt Angehrn.

Im Realschulhaus rumorte es gewaltig

Im Sommer 2015 rumorte es im Schulhaus Buchental nicht zum ersten Mal. Der langjährige Schulleiter wurde freigestellt. Eine Lehrerin übernahm zu Beginn des Schuljahres 2015/16 die Stellvertretung. Sie wurde abgelöst und versetzt, nachdem ihr Illoyalität vorgehalten worden war, weil sie hinter dem Rücken von Schönenberger einen Konvent einberufen haben soll.

An diesem Konvent habe er in einer kleinen Arbeitsgruppe an der Kompetenz Schönenbergers gezweifelt, indem er gesagt habe, er wisse nicht, wie ein Alpaka-Züchter das Buchental-Team aus seiner schwierigen Situation führen soll, sagt der später entlassene Lehrer.

Dieser Ausspruch sei danach von irgend jemandem an Angehrn herangetragen worden, was seine fristlose Entlassung nach sich gezogen habe, schildert der Lehrer die Vorkommnisse. Seine Schülerinnen und Schüler setzten sich danach mit einem Brief für ihn ein – ohne Erfolg.

Dienststellenleiterin hält Lehrer rüde Sprache vor

Die Dienststelle Schule und Musik verweigerte dem Reallehrer das rechtliche Gehör, wie das Verwaltungsgericht in seinem Urteil zum Fall festgestellt hat. Ihm wurde auch nach mehrmaligem Bitten nicht gesagt, wer aus dem Unterrichtsteam ihn «verpfiffen» und allenfalls den Sachverhalt überspitzt ins Amt an die Neugasse transportiert hatte.

Das Verwaltungsgericht rügt die Stadt dafür. Sie habe dem Lehrer die Akteneinsicht nicht gewährt. Der entlassene Lehrer habe einen Kollegen als «Ratte», einen anderen als «Pfeife» und eine Kollegin als «fette Schlampe» beschimpft, erwidert Marlis Angehrn. Er habe ihm unliebsame Lehrpersonen zuvor über Jahre drangsaliert, entwürdigt und auf perfide Art eingeschüchtert. «Lehrpersonen haben sich uns schliesslich in ihrer Not anvertraut», sagt die Leiterin der Dienststelle Schule und Musik.

Behörden verteidigen ihr Vorgehen

Diese Vorgeschichte müsse man kennen, um zu verstehen, weshalb interveniert worden sei. «Dass wir dabei die Namen der Lehrpersonen dem klagenden Lehrer verschwiegen, war rechtlich riskant, aber menschlich geboten», sagt Angehrn. Dank des Interimsschulleiters hätten die Lehrpersonen den Mut zu diesem wichtigen Schritt fassen und «wir umgehend die Fürsorgepflicht wahrnehmen können», sagt sie.

Stadtrat Markus Buschor, Vorsteher der Direktion Schule und Freizeit, ergänzt: «Der Kläger hatte Einsicht in sämtliche Akten. Nur beim Besprechungsprotokoll mit den Lehrpersonen waren die Namen der Lehrpersonen, die sich ans Schulamt wandten, anonymisiert.» Einzig die Verweigerung der Namensnennung habe die Gehörsverletzung ausgemacht.
Dies sagt das Verwaltungsgericht gemäss Buschor deutlich. Wäre der Sachverhalt im Protokoll überspitzt geschildert gewesen, hätte der Lehrer es dementieren können, habe er aber nicht getan, sagt Buschor.

Der Lehrer möchte die Kündigung nach dem Entscheid des Verwaltungsgerichts jetzt endlich hinter sich lassen. Er habe gekämpft für sein Recht und dieses bekommen. Allerdings: Kurz nach der Kündigung sei er krank geworden. Er musste sich in einer Klinik stationär behandeln lassen. Freunde hätten sich von ihm abgewandt, auch, weil er sich zurückgezogen habe. Er habe die Welt nicht mehr verstanden.

Haltung des Verbandes befremdet Schuldirektor

Der Vorstand des Verbandes Lehrpersonen St.Gallen (VLSG) schrieb in seinem Jahresbericht zuhanden der Hauptversammlung, die Rechtsberatung des Lehrerverbandes werde rege nachgefragt. Auch der Fall des Buchental-Reallehrers zeige: Es lohne sich, für sein Recht zu kämpfen. Es sei augenscheinlich nicht so, dass alles rechtens sei, was die Direktion Bildung und Freizeit sowie die Dienststelle Schule und Musik beschlössen.
Markus Buschor sagt, die Haltung des VLSG in Zusammenhang mit dem Fall befremde ihn sehr.

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