Der Kanton Graubünden setzt auf interne Schulen in
den Asylzentren. Die geflüchteten Kinder sollen zuerst erste Worte Deutsch
lernen und das Schulsystem kennenlernen, bevor sie an die Volksschule wechseln.
Doch manche Kinder besuchen jahrelang die Heimschule. Jetzt schlagen
Flüchtlingseltern Alarm.
"Separate Beschulung ist nicht förderlich für den Schulerfolg", SRF Regional, 26.6. von Stefanie Hablützel
Für Bettina Looser von der pädagogischen Hochschule
Schaffhausen ist das Bündner Schulmodell für Flüchtlingskinder veraltet und
missachte Kinderrechte. Es müsse überdacht werden.
SRF News: Bettina Looser, das Bündner Amt für
Migration ist zufrieden mit dem Schulsystem in den Asylzentren. Wie beurteilen
Sie das Bündner Modell?
Bettina Looser: Ich kenne es nicht im Detail, aber
einiges gefällt mir eigentlich an diesem Modell. Kleine Klassen sind zum
Beispiel immer gut – und zwar sowohl für die Kinder als auch für die
Lehrpersonen. Ich finde auch gut, dass diese altersdurchmischt sind. Und ich
habe den Eindruck, dass es in Graubünden kompetente Lehrpersonen mit einem
grossen Wissen gibt.
Die Eltern in den Asylzentren haben eine ganz
andere Einschätzung. Können Sie das nachvollziehen?
Ja. Wenn man von der Theorie ausgeht, gibt es ein
grosses «Aber» bezüglich dieser separierten Heimbeschulung. Studien zeigen,
dass gemeinsames Lernen mit einheimischen Kindern für den Spracherwerb
langfristig am besten ist.
Was ist da der grosse Vorteil?
Die Kinder lernen so eben nicht nur von der
Lehrperson, sondern sie lernen in ganz verschiedenen Situationen: Durch
gemeinsames Spiel, durchs Abschauen und Ausprobieren. Und über die Sprache
hinaus lernen sie ganz viel Wichtiges – wie man sich zum Beispiel richtig
verhält. Wichtig ist auch: Für das Kind ist es nicht relevant, welchen
Aufenthaltsstatus es hat. Für das Kind ist es zentral, dass es dazu gehört, zum
Beispiel auf dem Fussballplatz nach der Schule.
Graubünden setzt auf Asylschulen. Grundsätzlich wird
frühestens nach eineinhalb Jahren ein Übertritt in die Regelklasse geprüft. Was
wäre sinnvoll?
Sinnvoll wäre eine viel schnellere Integration in
die Regelklasse. Separate Beschulung ist nicht förderlich für die Integration,
für den Schulerfolg und damit für die Chancengerechtigkeit. Es ist eigentlich
auch eine Missachtung eines der wichtigsten Kinderrechte, nämlich dem Recht auf
Gleichheit und Teilhabe. Der Unesco-Weltbildungsbericht von diesem Jahr sagt,
es brauche dringend Anstrengungen für die Inklusion von geflüchteten Kindern -
auch in der Schweiz.
Würden Sie Graubünden empfehlen, auf die
heiminternen Schulen zu verzichten?
Nein, ich würde nicht von einem Tag auf den andern
darauf verzichten. Aber ich würde das aktuelle Modell unbedingt anpassen und
Innovationen vorantreiben. Man könnte zum Beispiel einführen, dass die Kinder
nach einigen Wochen für einen Teil ihrer Schulzeit in die Regelklasse
integriert und an der Heimschule weiter bezüglich Deutsch gefördert werden. Je
nach Fall könnte ein Kind bereits nach drei Wochen in der Volksschule
einsteigen, andere jedoch erst nach sieben Monaten. Was es braucht, ist eine
klare Limite. Spätestens nach einem Jahr sollten alle Kinder in der Volksschule
integriert sein.
Ein wichtiges Argument in Graubünden für eine
längere Heimbeschulung ist, dass manche Kinder Analphabeten sind.
Das ist sicher keine einfache Aufgabe, ein solches
Kind zu integrieren. Es braucht natürlich Support. Wenn ich mit Schulen
zusammenarbeite, sage ich, dass alle Bedürfnisse betrachtet werden müssen. Zum
Beispiel: Was brauchen Kinder, wenn sie traumatisiert sind. Es ist unbedingt
darauf zu achten, dass sie sich zugehörig fühlen, dass sie ihre Fähigkeiten
zeigen können und Erfolgserlebnisse haben. Auf der anderen Seite gilt es zu
beachten, was die Lehrpersonen benötigen. Sie brauchen mehr Wissen, mehr
Methoden, mehr Handlungsideen. Das bedeutet für die Gemeinden aber auch für den
Kanton, dass sie die nötigen Ressourcen bereitstellen müssen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen