Ein
Konflikt an einer kleinen Volksschule im Kanton Thurgau ist zu einer
grundsätzlichen Auseinandersetzung um pädagogische Konzepte, Aufgaben von
Lehrpersonen sowie um die Ausrichtung der Volksschule ausgeartet.
Erbitterter Kampf um die Schule, NZZaS, 9.6. von Andreas Schmid
An der
Sekundarschule in Wigoltingen haben 7 von12 Lehrpersonen auf Ende Schuljahr
gekündigt, nachdem ein Streit mit den beiden Schulleitern und der
Schulpräsidentin eskaliert war.
Eine Interessengemeinschaft (IG) aus Eltern,
Einwohnern und Schulfachleuten konstituierte sich, besorgt über die Entwicklung
an der lokalen Sekundarschule. Seit einigen Wochen beschäftigen die
Auseinandersetzungen zudem das Thurgauer Erziehungsdepartement als Aufsichtsbehörde,
das nach einer Beschwerde aus Wigoltingen eine Untersuchung ankündigte.
Den
Bruch mit den Lehrern provozierten die neuen Schulleiter schon bald nach
Antrittsbeginn im letzten Sommer, als sie in forscher Gangart neue Lernkonzepte
verordnen wollten. Aus Lehrern sollten Coaches und Lernbegleiter werden, «die
Schulleiter fielen mit Privatschulideen ein», sagt Willi Ruoss von der IG
Schule Wigoltingen. Weil sich die Lehrpersonen skeptisch geäussert hätten,
seien sie von der Schulpräsidentin öffentlich desavouiert und als
rückwärtsorientiert und faul dargestellt worden. In einer Medienmitteilung
hatte die Schulpräsidentin den Lehrpersonen Anfang Mai vorgehalten, sie würden
nötige Entwicklungsschritte verhindern.
Lehrer brüskiert
Willi Ruoss kritisiert, die früher in Privatschulen tätigen Schulleiter
verfolgten die Ideologie eines Bildungsnetzwerks, das die Grundidee der
Volksschule gefährde. Der ehemalige Schulpsychologe warnt davor, dass die
öffentliche Schule übernommen werden könnte und verweist auf das Beispiel der
Gemeinde Häggenschwil im Kanton St. Gallen, die ihre Oberstufe privatisierte.
Weil die Schule 2010 vor der Schliessung stand, vertraute das Dorf die Führung der
Sekundarschule einem privaten Anbieter an–jenem, zu dessen Netzwerk laut Ruoss
die beiden Schulleiter in Wigoltingen gehören.
Die Schulpräsidentin Nathalie
Wasserfallen äussert sich nicht zu den Befürchtungen und zu Fragen, die sich
auf die verfahrene Situation an der Sekundarschule Wigoltingen beziehen: «Wir
befinden uns noch in der Phase der schulinternen Bewältigung des Konflikts.»
Aus diesem Grund gebe sie derzeit keine Stellungnahme ab, hält Wasserfallen
fest. Sie hat seit Ende 2017 das Amt als Schulpräsidentin inne. Da im Kanton
Thurgau die Schulgemeinden eigene Körperschaften sind, werden deren Präsidien
vom Volk gewählt.
Die Schulgemeinde Wigoltingen führt die Primar-und Sekundarschule
für die drei Dörfer Sonterswil, Raperswilen und Wigoltingen, wo gesamthaft rund
3500 Einwohner leben.
Die Lehrpersonen an der Sekundarschule, die sich den
Vorwurf der Bequemlichkeit und eine renitente Verweigerungshaltung gegenüber
Neuerungen gefallen lassen mussten, dürfen sich vorläufig nicht zum Streit mit
ihren Vorgesetzten äussern. Sie wurden vom Schulpräsidium auf ihre Treue- und
Schweigepflicht im Vertrag verwiesen.
Eine Lehrperson äussert sich dennoch zu
den internen Vorgängen: «Wir sind nicht grundsätzlich gegen Veränderungen, aber
wir wehrten uns gegen das Tempo und waren brüskiert, dass wir nie angehört
wurden.» Die Schulbehörde sei weit weg vom Alltagsbetrieb und habe sich von den
beiden Leitern blenden lassen, sagt die Person.
Beobachter monieren, dass die
vakanten Stellen teilweise mithilfe eines spezialisierten Personalvermittlungsbüros
besetzt worden seien. Zudem entstünden der Schulgemeinde und damit den
Steuerzahlern weitere Kosten, weil interimistisch ein dritter Schulleiter engagiert
worden sei. Auf diese Weise habe die Schulpräsidentin die zwei umstrittenen
Amtsträger aus dem Schussfeld genommen. Die beiden agierten nur noch im
Hintergrund.
Kanton greift ein
Der schwelende Konflikt liess beunruhigte Eltern Anfang Mai mit einer
Aufsichtsbeschwerde an den Kanton gelangen. Das zuständige Erziehungsdepartement
will nun die Situation in Wigoltingen in einem aufsichtsrechtlichen Verfahren
beurteilen. Wie Paul Roth, der Generalsekretär des Departements, festhält,
werde auch die Frage geprüft, «ob allenfalls zusätzliche Massnahmen nötig
sind». Offen lässt Roth, ob für die Untersuchung ein externes Gremium
eingesetzt wird. Dies fordert die IG Schule Wigoltingen mit der Begründung, die
Rolle des für die Aufsicht zuständigen Departements müsse ebenfalls Teil der
Begutachtung sein.
Die Schulgemeinde Wigoltingen hat den Sturm noch längst
nicht überstanden. Sie muss sich bald unangenehmen Fragen aus der Bevölkerung
stellen, denn auf den 25. Juni ist ihre ordentliche Versammlung angesetzt.
Dabei ist das Thema, das im Zentrum steht, gar nicht traktandiert: der Streit
an der Schule, der Wigoltingen weitherum unrühmliche Schlagzeilen beschert.
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