23. Juni 2019

Privatschulen sind nicht besser


Die Nachfrage nach Plätzen an privaten Lehrinstituten steigt. Öffentliche Schulen bleiben aber ein wichtiger Pfeiler unserer demokratischen Gesellschaft, doch müssen sie in Zukunft auch wieder verstärkt ihrem Kernauftrag gerecht werden. 
Fluch und Segen der Privatschulen, St. Galler Tagblatt,  17.6. von Mario Andreotti


Privatschulen werden, nicht zuletzt durch den Pisa-Schock, immer beliebter. In den letzten Jahren sind private Institute wie Pilze aus dem Boden geschossen. Die Zahl privat unterrichteter Schüler hat stark zugenommen. Warum sind immer mehr Eltern bereit, für ihre Kinder auf die staatlichen, weitgehend kostenlosen Schulen zu verzichten und stattdessen auf zum Teil sehr teure Privatschulen zu setzen? Die Gründe dafür sind vielfältig, decken doch die Privatschulen ganz unterschiedliche pädagogische Konzepte und Weltanschauungen ab. Da finden sich konfessionelle Schulen, die – so ihr Leitbild – für christlich-humanistische Werte stehen, neben säkularen, besonders teuren Internaten. In diesen bleiben die Söhne und Töchter der Reichen unter sich. Oder es gibt Schulen, die, wie etwa die Montessori- und Rudolf-Steiner-Schulen, reformpädagogische Alternativen zur staatlichen Schule anbieten, oder gar solche für besonders begabte Jugendliche im musischen und sportlichen Bereich. 

Dass Privatschulen im Trend liegen, kommt nicht von ungefähr. Ein Grossteil des Wachstums erklärt sich damit, dass immer mehr Eltern glauben, ihre Kinder seien in den öffentlichen Schulen entweder unter- oder überfordert. Das Letztere betrifft vor allem die staatlichen Gymnasien, deren Druck viele Schüler nicht standhalten und die deshalb den Weg zur Matura über Privatschulen suchen, wo sie sich besser betreut fühlen und auch mehr Zeit für ihre Entwicklung haben. Dass Privatschulen oftmals auch Sammelbecken für Schulversager sind, wird niemand ernsthaft bestreiten wollen. Indessen darf auch gesagt werden, dass Schüler, die in den öffentlichen Schulen durch das Raster fallen, in privaten Einrichtungen bisweilen aufblühen. 

Ausdruck des Misstrauens 
Die steigende Nachfrage nach Privatschulen hat aber nicht nur mit Problemkindern zu tun. Sie ist auch Ausdruck des Misstrauens gegenüber einer staatlichen Schule, in der die Schüler, schon in der Unterstufe, vor Computer gesetzt und mehr oder weniger allein gelassen werden. Auf diese Weise spielt die für den Lernerfolg der jungen Menschen zentrale Beziehung zwischen der Lehrperson und den Schülern nur noch am Rande. Es sind oft die chaotischen Zustände an öffentlichen Schulen und damit die Verwirrungen innerhalb des Lehrkörpers durch ständig neue, pädagogisch fragwürdige Reformen, die Eltern dazu bringen, ihr Geld in die private Schulausbildung ihrer Kinder zu investieren. Hier werden die öffentlichen Schulen nicht darum herumkommen, sich erneut auf ihre pädagogischen Kernaufgaben zu besinnen. 

Organisationen wie die «elternlobby schweiz» fordern die freie Schulwahl für alle. Danach sollen auch staatlich bewilligte Privatschulen öffentlich finanziert werden, so dass das Schulgeld für die Eltern entfällt. Eine Idee, die auf den ersten Blick einleuchtet, die sich bei genauerem Hinsehen aber als problematisch erweist. Denn sie bedeutet im Grunde die Abschaffung der Volksschule, jener öffentlichen Schule, die für einen demokratischen Staat eine unabdingbare Voraussetzung bildet. Dank ihr konnte sich eine Gesellschaft entwickeln, die es schafft, dass Kinder über alle sozialen, kulturellen und religiösen Grenzen hinweg miteinander aufwachsen, lernen und kommunizieren können. Würde der Bildungsbereich vollständig privatisiert, so bestünde die Gefahr, dass Kinder in Parallelwelten aufwachsen, dass es zu Ausgrenzungen und Ghettoisierungen kommt und sich die soziale Ungleichheit in unserer Gesellschaft verstärkt. 

In der Öffentlichkeit herrscht die Meinung vor, Privatschulen seien prinzipiell besser als staatliche Schulen. Das entspricht nicht den Tatsachen. Zwar erzielen Privatschüler etwa bei Pisa ein höheres mittleres Leistungsniveau, das jedoch damit zu erklären ist, dass sie in der Regel aus bildungsnahen Elternhäusern kommen. Berücksichtigt man diese Herkunft, dann heben sich die Unterschiede weitgehend auf, dann schneiden unsere staatlichen Schulen, vor allem wenn sie ihren Kernauftrag ernst nehmen, ebenso gut oder sogar besser ab.

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