Sie
bringen ihre Kinder morgens bis in den Klassenraum und gehen gegen schlechte
Noten vor. Helikoptereltern werden überfürsorgliche Mütter und Väter genannt,
die sich ständig in die Angelegenheiten ihrer Kinder einmischen. Folgerichtig
kämpfen sie auch an Schulen für die Interessen ihrer Schützlinge. Dadurch
häufen sich Konflikte zwischen Schulleitern und Eltern.
Frau
Waterstradt, was stört Sie am Begriff Helikoptereltern?
Es geht
bei diesen Schmähworten immer auch um die Klärung von Machtfragen: Der Begriff
ist ja das Gegenstück zu dem der Rabeneltern, der schon im Mittelalter aufkam.
Aber wer hat denn die Autorität, zu entscheiden, wie viel Fürsorge für das Kind
angemessen ist? Das sind in diesem Moment offenbar nicht die Eltern – sondern
die Sprecher, die diesen Begriff benutzen: Nachbarn, Lehrer, Erzieher und so
weiter.
Wer
«Helikoptereltern» sagt, masst sich Autorität an, die ihm nicht zusteht?
Ich
glaube nicht, dass böswillige Motive dahinter stecken. Das erste Mal wurde das
Sprachbild 1967 vom Autor eines amerikanischen Ratgeberbuchs benutzt, der einen
Jugendlichen zitierte. Danach ist es immer mal wieder aufgetaucht, um das Jahr
2000 herum wurde ein prägnanter Begriff daraus, der rasend schnell um die Welt
ging. Dieser Mechanismus der Abwertung greift offenbar in vielen
Gesellschaften.
Warum
ist das so?
Wir haben
eine immer komplexere Organisation rund ums Kind. Mit dem Aufkommen der
Nationalstaaten wuchs auch das Interesse am Kind: Der Staat brauchte es für die
Zukunft der Nation, und es entstanden entsprechende Institutionen –
Kindergärten, Schulen, Jugendämter, Kinderärzte und so weiter. Seit den 1970erJahren
gilt das Kind als Zentrum der Familie. In diesem Prozess entstand eine
Konkurrenz: Wer bestimmt, was gut ist für das Kind? Welche Sprachen soll es zum
Beispiel in der Schule lernen? Da prallen Interessen und Ansprüche aufeinander.
Welche
Rolle spielen die Lehrer dabei?
Interessant
ist, dass nicht etwa für Lehrer ein neuer Schmähbegriff entstanden ist, sondern
für Eltern. Das erste deutschsprachige Buch über Helikoptereltern wurde vom
damaligen Präsidenten des Deutschen Lehrerverbands geschrieben. Vieles spricht
dafür, dass die Dynamik von Expertenseite beziehungsweise Lehrerseite ausgeht.
Gesellschaftlich werden Eltern und Experten gegeneinander in Stellung gebracht
– und das führt zu Konflikten. Eltern sind persönlich auf das Wohl des Kindes
verpflichtet. Lehrer dagegen sind dazu verpflichtet, dass die gesamte Klasse in
einem Schuljahr den Lernstoff bewältigt. In Unternehmen würde man hier von
einem Zielkonflikt sprechen.
Offenbar
greifen Eltern verstärkt ins schulische Leben ihrer Kinder ein. Warum?
Studien
spiegeln wider, dass das Engagement der Eltern für den Schulerfolg der Kinder
eine grosse Rolle spielt. Für Lehrer ist das natürlich nicht sehr befriedigend:
Obwohl sie sich in ihrem Beruf engagieren, machen Eltern letztlich den
Unterschied. Das ist für die Gesellschaft fatal, hat sich aber leider nur wenig
geändert. Doch sollen gebildete Eltern sich deshalb nicht für die eigenen
Kinder einsetzen? Es ist kein Zufall, dass sich der Begriff Helikoptereltern
nach dem Pisa-Schock verbreitet hat: Eltern, die die Ressourcen haben, werden
zunehmend aktiv, zahlen Nachhilfe, werden in der Schule vorstellig und auch mal
unangenehm.
Manche
kündigen sogar rechtliche Schritte an, wenn eine schlechte Note droht. Autoritätspersonen sind
eben nicht mehr so unantastbar wie früher. Das gilt nicht nur für Eltern und
Lehrer, sondern auch für Ärzte oder Pfarrer. Deswegen trauen sich Eltern auch,
zu den Mitteln des Rechtsstaats zu greifen, wenn sie die Interessen des Kindes
wahren wollen.
Und
das macht das Miteinander von Schule und Eltern nicht einfacher?
Nein, die
Lehrer nehmen das richtigerweise so wahr – wie übrigens auch die Eltern: Die
Konflikte nehmen zu. Wir sind aber auf dem Holzweg, wenn wir bestimmte Eltern
mit abwertenden Begriffen versehen. Man erspart sich damit die Mühe, genauer
hinzuschauen.
Warum
wäre das nötig?
Weil wir
zu wenig über Elternschaft wissen. Es gibt in der deutschen Sprache zwar eine
ganze Reihe von wertenden Begriffen: Glucke, Haustyrann,
Latte-macchiato-Mutter, Supermutter, neuer Vater. Viele kommen aber aus Alltagssprache
und Ratgeberliteratur. Bei einem Blick in die wissenschaftliche Literatur
stellt man dagegen fest: Elternschaft wird dort gar nicht definiert und
diskutiert. Wenn wir jedoch nur mit Alltagswissen über Eltern reden, bleiben wir
bei diesen Wertungen stecken. Es gibt bisher keine Geschichte,
Entwicklungspsychologie oder Soziologie der Elternschaft – es fehlt an
Basiswissen.
Und
solange das so ist, sollte man sich das Wort Helikoptereltern verkneifen?
Das ist
ein bisschen wie mit dem Rotzbengel: Auch dieser Begriff ist ein emotionales
Ventil, ein Machtinstrument. Und er baut nicht gerade das Selbstbewusstsein des
angesprochenen Kindes auf. Genau wie bei den Helikoptereltern: Die Bezeichnung
dient dazu, Eltern auf den Platz zu verweisen. Und das funktioniert ja leider
auch.
Inwiefern?
Diese
Wertungen machen den Kern von Elternschaft – die Fürsorge fürs eigene Kind –
zum unentrinnbaren Drahtseilakt zwischen «zu wenig» und «zu viel». Das lähmt
und steht wie ein Schandmal im Eltern- und vor allem Mütterbild unserer Gesellschaft.
Diese Machtdynamik stärkt zwar die Kindzentrierung, die Expertenautorität und
die Ratgeberindustrie. Doch sie schwächt Eltern, beschädigt vor allem das Ansehen
und die Identität von Müttern, bei denen bis heute die Hauptverantwortung für
Kinder liegt.
Werden
angehende Pädagogen während ihrer Ausbildung auf die Elternarbeit gut genug
vorbereitet?
Ich denke
nicht. Wer einen Beruf rund um Familie und Kinder erlernt, ist meist im Jugend-
oder im jungen Erwachsenenalter. Eltern sind jedoch in der Phase des mittleren
Erwachsenenalters: Sie müssen nicht nur für sich selbst in Beruf und
Privatleben sorgen, sondern – quasi nebenbei – auch für das Aufwachsen der
nächsten Generation. Da es aber kein fundiertes Wissen über Elternschaft gibt, wird
dieser grundlegende Aspekt bislang übersehen – als wäre Elternsein eine
Kleinigkeit. Schon Einsteiger in Erziehungs- oder Lehrberufen spüren, dass das
nicht stimmt. Doch sie lernen, ihre Unsicherheit abzuwehren, indem sie sich von
Eltern distanzieren und sie abwerten – etwa als Helikoptereltern. Das
verschärft die Konkurrenz rund ums Kindeswohl immer weiter. Nach der Kindheit
müssen wir endlich auch Elternschaft wissenschaftlich entdecken und dieses
fundierte Wissen in der Berufsausbildung vermitteln.
Désirée Waterstradt erforscht Familienstrukturen an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe.
Désirée Waterstradt erforscht Familienstrukturen an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe.
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