Für Tanja Brodbeck und
Raphael Vanzella war es keine Frage. Als vor elf Jahren ihre Tochter Anna zur
Welt kam, wurden die Weichen für die Einschulung an einer Rudolf-Steiner-Schule
gestellt. Die Eltern, einst selber Steiner-Schüler, suchten ein neues Zuhause.
Dass sie in Gehdistanz zur Steiner-Schule in Winterthur ein Haus im
ehemaligen Arbeiterquartier Töss erstehen konnten, bezeichnet der Architekt als
unglaublichen Glücksfall. Auch die achtjährige Leonie und der fünfjährige Jonas
gehen dort zur Schule. Das Schulgeld orientiert sich am
Einkommen der Eltern und steigt bei mehreren Kindern nur unwesentlich an.
Tanja Brodbeck und Raphael Vanzella schicken ihre Kinder an eine Steiner-Schule - warum? NZZ, 6.6. von Natalie Avanzino
Brodbeck und Vanzella
identifizieren sich sehr mit dem Unterricht. Das zeigt sich auch im Gespräch.
«Diese Pädagogik müsste allen Kindern offenstehen», sagt Brodbeck. Gemeint sind
die Grundsätze der 1919 von Rudolf Steiner gegründeten Schule für die damalige
Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik in Stuttgart, die für die Arbeiterkinder
Bildung ermöglichen sollte.
Es sei heute aber
keineswegs so, dass alle Eltern vollumfänglich mit dem anthroposophischen
Weltbild Steiners und der Waldorfpädagogik übereinstimmten. Für die Ärztin
steht der konsequent auf die Entwicklungsbedürfnisse des Kindes abgestimmte
Lehrplan im Vordergrund. «Dies fördert ein kreatives, lebendiges Denken», sagt
die 43-Jährige. Dazu gehört auch, dass Primarschulkinder von Handy und Internet
lange ferngehalten werden müssen.
Ist das nicht
bevormundend? Brodbeck und Vanzella sind anderer Meinung. Die Vereinbarungen
zum Medienkonsum, die an Elternabenden festgelegt werden, sehen sie vielmehr
als Unterstützung im Umgang mit einem schwierigen Thema. Auch die Frage, ob
Steiner-Kinder nach den vielen musischen und gestalterischen Elementen im
Unterricht ausreichend gerüstet seien für ein Studium, können die beiden
Akademiker nicht nachvollziehen. «Gerade die ganzheitliche Förderung lässt die
Kinder ihr Potenzial richtig ausschöpfen», sagt Vanzella.
Er und seine Frau haben
sich vor 24 Jahren bei der Vorbereitung auf die eidgenössische Matur
kennengelernt. «Wir waren so wissbegierig, gerade weil wir in unserer Schulzeit
so viel anderes lernen und erleben durften – und nicht nur nach Schulbuch
gebüffelt haben», erzählen die beiden. Mittlerweile haben es die Schülerinnen
und Schüler der Privatschule einfacher, sie können an der angegliederten Atelierschule
in Zürich eine Hausmatur ablegen.
Ob die Kinder der Familie
Brodbeck-Vanzella dereinst den Weg einer akademischen Ausbildung gehen oder
nicht, sehen die Eltern gelassen. «Wesentlich ist für uns, dass sie darin
gestärkt werden, ihren eigenen Weg zu finden», sagt Brodbeck.
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