Es mag
sein,dass für ein erfolgreiches Berufsleben Innovationsfähigkeit und
Kreativität wichtiger sind als ausreichende Mathematik-Kompetenzen. Doch dies ist
noch lange kein Grund, die schlechten Mathe-Resultate bei den
gesamtschweizerischen Vergleichstests auf die leichte Schulter zu
nehmen. Ungenügende Grundkompetenzen in Mathematik sind ein Handicap.
Volksschule darf nicht nur auf die Besten setzen, Basler Zeitung, 1.6. von Thomas Dähler
Die
national durchgeführten Tests dürfen selbstverständlich kritisiertwerden. Die
Mathe-Ambitionen der Aufgabenerfinder waren möglicherweise etwas hoch
angesetzt. Die Schülerinnen und Schüler waren möglicherweise zum Zeitpunkt
derTests vor den Ferien auch nicht besonders motiviert. Die studierten Pädagogen
haben zwar unzählige Kompetenzen in den Lehrplan geschrieben, aber möglicherweise
nicht überlegt, über welche Fähigkeiten Schülerinnen und Schüler beim
Schulabschluss verfügen sollten.
Doch wer immer auch in der Nordwestschweiz
die Tests kritisiert, setzt sich dem
Vorwurf
aus, nach Entschuldigungen für die eigenen schlechten Resultate zu
suchen. Entschuldigungen gibt es keine, Gründe vielleicht aber schon.
Generell
bessere Mathe-Resultate weisen die Westschweizer Kantone aus. Ihnen gemeinsam ist
ein anderer Lehrplan. Anders als die 21 Kantone der Deutschschweiz wurden die
Schulen in der Romandie nie von der Flut der unzähligen Kompetenzenbeschreibungen
des Lehrplans 21 heimgesucht. Zwar orientiert sich auch die Romandie an
Kompetenzen, aber im Fokus stehen das Wissen und die konkreten Schulstoffe. Die
Romands blicken in den Schulen stärker als die Deutschschweiz auf die Zeit nach
der Volksschule. Schliesslich geht es bei den viel diskutierten Grundkompetenzen
darum, den Schulstoff zu vermitteln, den es im Minimum für den späteren Erfolg
braucht.
Mit
ungenügenden Mathe-Kompetenzen konfrontiert sehen sich gemäss den Testergebnissen
alle vier Kantone des Nordwestschweizer Bildungsraums, nicht
nur die Stadt Basel. Bessere Resultate als die Nordwestschweizer
Kantone verzeichnen nicht nur viele ländliche Kantone, sondern auch Kantone mit
grösseren Agglomerationen wie Genf, dasTessin oder die Waadt. Ausführlich untersucht wurde
in derAnalyse auch der Einfluss der sozialen Struktur der Bevölkerung
oder der Anteil fremdsprachiger Schülerinnen und Schüler. «Das Gesamtbild an
über- und unterdurchschnittlich
abschneidenden Kantonen verändert sich trotzt dieser Adjustierung kaum», lautet
das brutale Fazit dieses Erklärungsversuchs.
Auffällig
ist, dass in den Nordwestschweizer Kantonen bei der Niveau-Einteilung in den
Sekundarschulen ein überdurchschnittlicher Trend nach oben feststellbar ist. In
Basel-Stadt drängt demnach mehrals die Hälfte ins progymnasiale Niveau. Die
ausgedünnten Klassen des Niveaus mit nur Grundansprüchen sind die Kehrseite
diesesTrends. Bei den Schülerinnen und Schülern des Schultyps mit
nur Grundanspüchen sind die Differenzen zu anderen Kantonen wesentlich grösser.
Sie haben in überdurchschnittlichem Mass zum schwachen Gesamtresultat
beigetragen.In Basel-Stadt liegt deren Mathe-Erfolgsquote nahe bei
null. Möglicherweise überfordert auch der Lehrplan 21 die weniger guten
Schülerinnen und Schüler.
Die
nationale Studie zu den Vergleichstests vermittelt keine
Patentrezepte. Empfehlungen
enthält
sie aber schon.So seien etwa die Unterrichtsbedingungen vertieft zu untersuchen:
die wahrgenommene Unterstützung, die Strukturierung des Unterrichts, die
Klassenführung. Es ist sicher nicht falsch, in den nächsten Jahren einen Blick
auf die Praxis in den erfolgreichen Kantonen zu werfen.Und: Die vier Kantone des
Bildungsraums Nordwestschweiz verfügen mit der Fachhochschule über eine
gemeinsame Bildungsinstitution, die logischerweise jetzt herausgefordert
ist, ihren Anteil zu künftig verbesserten Mathematik-Grundkenntnissen zu leisten.
Wer aus
den Vergleichstests gleich schliesst, dass die Nordwestschweizer Schulen
schlechte Schulen sind, liegt nicht richtig.Die Erfolgsquoten an den
Universitäten und bei den Berufsabschlüssen belegen das Gegenteil. Doch
offensichtlich reichen gute Spitzenresultate nicht, bei Vergleichstests auf allen
Niveaus akzeptabel abzuschliessen. Einfach zur Tagesordnung übergehen, wie dies
etwa die Basler
Erziehungsdirektion will,
genügt deshalb auf keinen Fall. Es braucht Verbesserungen, denn die Volksschule
darf nicht nur die Besten im Fokus haben. Minimale Mathematik-Kenntnisse sind
in vielen Berufen notwendig. Es ist deshalb richtig, dass in Baselland die
Bildungsdirektion Massnahmen angekündigt hat.
Die Verteilung
der Bildungsressourcen ist in der Nordwestschweiz stark auf die Erfolgreichen
ausgerichtet. Eine eigene Universität und eine eigene Fachhochschule belegen
dies auch. Doch die Ausbildung in den Hochschulen sollte nicht zulasten anderer Bildungsinstitutionen
gehen.Wenn ein Fazit aus denTests gezogenwerden kann, dann dieses: Gute Bildung
darf kein Privileg der Elite sein. Entsprechend darf auch die Volksschule nicht
einseitig auf die Besten setzen.
Merkwürdig ist, dass Herr Dähler die LVB-Initiative, die gefordert hat, die Bildungsressourcen gerecht zu verteilen, nun in einem Element verteidigt, nachdem er in seinen Kommentaren die Initiative als Ausspielen der Uni gegen die Volksschule taxiert hat. Wären die Ergebnisse der EKD letztes Jahr veröffentlicht worden, wäre wohl ein anderes Abstimmungsbild entstanden....
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