Der Entscheid
im Landrat des Kantons Baselland war deutlich: Eltern sollen ihr Kind ein Jahr später
einschulen dürfen, wenn sie dies wollen. Mit 54 zu 21 Stimmen hat das Parlament
diese Woche den Regierungsrat beauftragt, das Bildungsgesetz so zu revidieren, dass
Eltern ihr Kind ohne eine ärztliche oder schulpsychologische Abklärung oder weitere
Begründungen ein Jahr später in das erste Kindergartenjahreintreten lassen
können. Damit korrigiert der Kanton eine Fehlentwicklung, die auf den Beitritt
zum Harmos-Konkordat zurückgeht.
"Je früher" ist nicht "desto besser", Basler Zeitung, 18.5. von Thomas Dähler
Mit der Schulharmonisierung
wurde im Kindergarten das Eintrittsalter vorverlegt. Heute werden im Normalfall
Kinder eingeschult, die am Stichtag 31.Juli das vierte Altersjahr vollendet
haben. Die Jüngsten sind im Kindergarten demzufolge knapp vierjährig; das
Durchschnittsalter im Kindergarten wurde damit um drei Monate herabgesetzt, nachdem
dies vor einigen Jahren schon einmal geschehen war. Doch der frühere Schulstart
hat sich nicht für alle Kinder ausgezahlt. Lehrkräfte sagen, es gebe stets
Kinder, die überfordert seien.
Im Parlament in
Liestal gab vor allem zu reden, ob der Entscheid zugunsten einer späteren
Einschulung eines Kindes den Eltern zugestanden werden soll. Bisher war dies
die Aufgabe des Schulpsychologischen Dienstes oder der Kinder- und
Jugendpsychiatrie. Die kantonalen Institutionen haben selbstredend keine
Freude, dass sie diese Aufgabe verlieren. Im Landrat setzte sich aber die Ansicht
durch, dass niemand ein Kind so gut kenne wie dessen Eltern.
In den Kantonen
Bern, Solothurn und Aargau liegt diese Kompetenz
bereits heute bei den Eltern. Über negative Erfahrungen in diesen Kantonen ist
nichts bekannt geworden. Im Baselbiet hingegen beklagen sich Lehrerinnen und
Lehrerregelmässig darüber, dass einige der eingeschulten Kinder noch nicht für
den Schulalltag bereit sind. Zurückzuführen ist dies auf die Praxis, im
Zweifelsfall eher für die frühere Einschulung zu plädieren. Grundlos sollen
Kinder nicht «ein Jahr verlieren», lautete bisher das Motto.
Der vom Landrat
in der zwingenden Form einer Motion überwiesene Vorstoss wurde von Landrätin
Claudia Brodbeck (CVP) eingebracht. Das Anliegen verfolgt die CVP landesweit. Die
Partei empfiehlt ihren Parlamentariern in allen Kantonen, sich für die
Kompetenz der Eltern einzusetzen, über den Zeitpunkt der Einschulung ihrer
Kinder selber entscheiden zu können. Sie sollen sich dabei im Zweifelsfall
durchaus auch beraten lassen können.
«Kinder sollen
nicht nach einem starren Stichtag, sondern nach dem Entwicklungsstand
eingeschult werden, sagt CVP-Landrätin Brodbeck. «Damit werden unnötige
Pathologisierungen und kostspieligeTherapien des Kindes vermieden», heisst es
in einem Positionspapier, das die CVP verabschiedet hat.
Der Grundsatz
«je früher, desto besser» hat sich nicht als richtig herausgestellt. Dies bestätigen
auch Unternehmen, die sich tendenziell mit immer jüngeren Absolvierenden einer
Berufslehre konfrontiert sehen. Die generelle Vorverschiebung des
Schuleintritts hat sich nicht positiv ausgewirkt.
Es dürfte mehr als
nur eine Vermutung sein, dass die steigende Zahl derjenigen Kinder, die in der Primarschule
ein Angebot der Speziellen Förderung in Anspruch nehmen müssen, auch damit
zusammenhängt. Gemäss der aktuellen Regierungsvorlage zur Sonderpädagogik ist
die Zahl dieser Schülerinnen und Schüler von 2013 bis 2017von 5044 Kindern auf
6383 Kinder gestiegen – mit entsprechender Kostensteigerung. Diese
Förderungsmassnahmen finanzieren die Gemeinden.
Der vorverschobene
Schuleintritt gemäss Harmos ist auch Teil einer Studie zum Bildungsverlauf, welche
die Zürcher Bildungsdirektion publiziert hat. Der frühere Schuleintritt war im
Kanton Zürich schon ab 2007 möglich, aber noch nicht vorgeschrieben. Gemäss der
Studie ist im zweiten Kindergartenjahr die Repetitionsquote signifikant höher, was
möglicherweise die Ursache im zu frühen Schuleintritt hat. Mehrere
internationale Studienweisen auch nach, dass früh Eingeschulte während ihrer Schullaufbahn
häufiger ein Schuljahr wiederholen.
Der Entscheid, mit
Harmos den Schuleintritt generell vorzuverlegen, war nicht klug. Die
Möglichkeit, den Einschulungszeitpunkt von den Eltern bestimmen zu lassen, kann
dies korrigieren. In den Kantonen, welche diese Praxis bereits kennen, beläuft
sich die Zahl jener, die den Schuleintritt hinausschieben, auf rund zehn
Prozent, was die Schulplanung keineswegs überfordern dürfte. Der Landratsentscheid
dürfte positiv aufgenommen werden: Den Familien und ihren Kindern ist damit
geholfen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen