20. Mai 2019

Unkluger Harmos-Entscheid wird korrigiert


Der Entscheid im Landrat des Kantons Baselland war deutlich: Eltern sollen ihr Kind ein Jahr später einschulen dürfen, wenn sie dies wollen. Mit 54 zu 21 Stimmen hat das Parlament diese Woche den Regierungsrat beauftragt, das Bildungsgesetz so zu revidieren, dass Eltern ihr Kind ohne eine ärztliche oder schulpsychologische Abklärung oder weitere Begründungen ein Jahr später in das erste Kindergartenjahreintreten lassen können. Damit korrigiert der Kanton eine Fehlentwicklung, die auf den Beitritt zum Harmos-Konkordat zurückgeht.
"Je früher" ist nicht "desto besser", Basler Zeitung, 18.5. von Thomas Dähler


Mit der Schulharmonisierung wurde im Kindergarten das Eintrittsalter vorverlegt. Heute werden im Normalfall Kinder eingeschult, die am Stichtag 31.Juli das vierte Altersjahr vollendet haben. Die Jüngsten sind im Kindergarten demzufolge knapp vierjährig; das Durchschnittsalter im Kindergarten wurde damit um drei Monate herabgesetzt, nachdem dies vor einigen Jahren schon einmal geschehen war. Doch der frühere Schulstart hat sich nicht für alle Kinder ausgezahlt. Lehrkräfte sagen, es gebe stets Kinder, die überfordert seien.

Im Parlament in Liestal gab vor allem zu reden, ob der Entscheid zugunsten einer späteren Einschulung eines Kindes den Eltern zugestanden werden soll. Bisher war dies die Aufgabe des Schulpsychologischen Dienstes oder der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Die kantonalen Institutionen haben selbstredend keine Freude, dass sie diese Aufgabe verlieren. Im Landrat setzte sich aber die Ansicht durch, dass niemand ein Kind so gut kenne wie dessen Eltern.

In den Kantonen Bern, Solothurn und Aargau liegt diese Kompetenz bereits heute bei den Eltern. Über negative Erfahrungen in diesen Kantonen ist nichts bekannt geworden. Im Baselbiet hingegen beklagen sich Lehrerinnen und Lehrerregelmässig darüber, dass einige der eingeschulten Kinder noch nicht für den Schulalltag bereit sind. Zurückzuführen ist dies auf die Praxis, im Zweifelsfall eher für die frühere Einschulung zu plädieren. Grundlos sollen Kinder nicht «ein Jahr verlieren», lautete bisher das Motto.

Der vom Landrat in der zwingenden Form einer Motion überwiesene Vorstoss wurde von Landrätin Claudia Brodbeck (CVP) eingebracht. Das Anliegen verfolgt die CVP landesweit. Die Partei empfiehlt ihren Parlamentariern in allen Kantonen, sich für die Kompetenz der Eltern einzusetzen, über den Zeitpunkt der Einschulung ihrer Kinder selber entscheiden zu können. Sie sollen sich dabei im Zweifelsfall durchaus auch beraten lassen können.
«Kinder sollen nicht nach einem starren Stichtag, sondern nach dem Entwicklungsstand eingeschult werden, sagt CVP-Landrätin Brodbeck. «Damit werden unnötige Pathologisierungen und kostspieligeTherapien des Kindes vermieden», heisst es in einem Positionspapier, das die CVP verabschiedet hat.

Der Grundsatz «je früher, desto besser» hat sich nicht als richtig herausgestellt. Dies bestätigen auch Unternehmen, die sich tendenziell mit immer jüngeren Absolvierenden einer Berufslehre konfrontiert sehen. Die generelle Vorverschiebung des Schuleintritts hat sich nicht positiv ausgewirkt.

Es dürfte mehr als nur eine Vermutung sein, dass die steigende Zahl derjenigen Kinder, die in der Primarschule ein Angebot der Speziellen Förderung in Anspruch nehmen müssen, auch damit zusammenhängt. Gemäss der aktuellen Regierungsvorlage zur Sonderpädagogik ist die Zahl dieser Schülerinnen und Schüler von 2013 bis 2017von 5044 Kindern auf 6383 Kinder gestiegen – mit entsprechender Kostensteigerung. Diese Förderungsmassnahmen finanzieren die Gemeinden.

Der vorverschobene Schuleintritt gemäss Harmos ist auch Teil einer Studie zum Bildungsverlauf, welche die Zürcher Bildungsdirektion publiziert hat. Der frühere Schuleintritt war im Kanton Zürich schon ab 2007 möglich, aber noch nicht vorgeschrieben. Gemäss der Studie ist im zweiten Kindergartenjahr die Repetitionsquote signifikant höher, was möglicherweise die Ursache im zu frühen Schuleintritt hat. Mehrere internationale Studienweisen auch nach, dass früh Eingeschulte während ihrer Schullaufbahn häufiger ein Schuljahr wiederholen.

Der Entscheid, mit Harmos den Schuleintritt generell vorzuverlegen, war nicht klug. Die Möglichkeit, den Einschulungszeitpunkt von den Eltern bestimmen zu lassen, kann dies korrigieren. In den Kantonen, welche diese Praxis bereits kennen, beläuft sich die Zahl jener, die den Schuleintritt hinausschieben, auf rund zehn Prozent, was die Schulplanung keineswegs überfordern dürfte. Der Landratsentscheid dürfte positiv aufgenommen werden: Den Familien und ihren Kindern ist damit geholfen.

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