3. April 2019

Protest geht vor Schule

Seit Monaten demonstrieren weltweit Jugendliche und Studenten freitags für den Klimaschutz – und machen viele Erwachsene stutzig. Ist es nur ein Zwergenaufstand verirrter Schulschwänzer? Wie viel Aufmüpfigkeit steckt noch hinter Protesten, wenn diese selbst viele Politiker gutheissen? Klimatechnisch mögen sie wenig bewirken, doch ein Signal setzen sie bereits jetzt: Protest geht vor Schule. Dies zu unterschätzen, wäre ein Fehler.
Klimaproteste: Platzt gerade die Diplomblase? NZZ, 2.4. von Milosz Matuschek

Würden die Proteste am Sonntagnachmittag stattfinden, wären sie nur ein putziger Spaziergang durch die Städte. Dadurch, dass sie am Freitag stattfinden, beinhalten sie auch eine Botschaft an die Bildungspolitik, und diese lautet: Welche Bildung verpassen wir eigentlich, wenn wir die Luft weiterhin verpesten und natürliche Lebensgrundlagen vernichten? Das, wofür die Millennials noch zu brav und strebsam waren, holt jetzt die Generation Z nach und nimmt selbst schlechtere Noten in Kauf. Das ist von neuer Qualität. Es liegt schon eine Weile zurück, dass junge Menschen sagten: «We don’t need no education.»

Der Klimaprotest als Schulstreik offenbart damit noch mehr: Der Glaube an den Generationen-Deal ist brüchig geworden. Kann es uns morgen tatsächlich besser gehen als heute (und was heisst überhaupt «besser»), wenn wir so weitermachen wie bisher? Ein Mehr an Diplomen scheint keine Antwort auf die Frage bereitzuhalten, wie unendliches Wachstum in einer Welt endlicher Ressourcen funktionieren soll. Gute Noten und Diplome sind gerade für junge Leute zudem immer weniger wert, seitdem diese gefühlt fast jeder hat. Ein weiteres Statussymbol der Mittelschicht könnte damit im Fallen begriffen sein. Und die jungen Demonstranten dulden keinen Aufschub mehr, sie wollen Veränderung jetzt statt Vertröstung auf später. Es ist an der Zeit, anzuerkennen, dass eine neue Generation auf uns zukommt, die nicht von SUV, Thermomix und einer Küche für 20 000 Franken träumt; die nicht in den Konsumtempelanlagen der Innenstädte ihre Freizeit verbringen will; die einen Generationen-Deal will, der nicht klingt wie «20 Prozent auf alles – ausser Tiernahrung».

Ein Bildungsstreik junger Menschen ist stets ernst zu nehmen. Denn er enthält immer auch Systemkritik. Es ist ein natürliches Phänomen, dass junge Menschen in eine Welt hineingeboren werden, die sie sich nicht ausgesucht haben. Und es ist ein natürliches Privileg der Jugend, die Frage zu stellen, ob wir in der besten aller möglichen Welten leben. Der einzig wirksame Ort für Protest ist nach wie vor die Strasse. Wo sollen sie auch hin? Politische Parteien sind Frührentner-Vereinigungen, Aufsichtsräte sind Seniorenklubs, und der Grossteil des Programms des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist narkoleptisch darauf ausgerichtet, alte Menschen in den Schlaf zu wiegen, ohne dass diese zuvor an den Ausschaltknopf der Fernbedienung kommen.

Im Kern ist der Protest ein Ausdruck über die Grenzen des Wachstums und die Endlichkeit von Systemen. Was für das Ökosystem Erde gilt, gilt auch für die Verheissung des Aufstiegs durch Bildung. Wenn man jedem ein Universitätsdiplom in die Hand drückte, wäre dadurch erst einmal nur der Wert der Diplome gesenkt und nicht schon automatisch die Aufstiegschance verbessert. Oder wie es der Soziologe Heinz Bude einmal ausgedrückt hat: «Wenn im Theater alle aufstehen, sieht keiner besser.» In Amerika belaufen sich die Schulden aus Studienkrediten bereits auf über 1,5 Billionen Dollar – eine weitere Spekulationsblase? Diplome sind Wertpapiere geworden, die sich rentieren sollen. Wenn sie es nicht tun, ist das Systemvertrauen in Gefahr. Wo Versprechen platzen, kann keine Zuversicht in eine bessere Zukunft entstehen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen