Seit Monaten demonstrieren weltweit Jugendliche und Studenten freitags
für den Klimaschutz – und machen viele Erwachsene stutzig. Ist es nur ein
Zwergenaufstand verirrter Schulschwänzer? Wie viel Aufmüpfigkeit steckt noch
hinter Protesten, wenn diese selbst viele Politiker gutheissen? Klimatechnisch
mögen sie wenig bewirken, doch ein Signal setzen sie bereits jetzt: Protest
geht vor Schule. Dies zu unterschätzen, wäre ein Fehler.
Klimaproteste: Platzt gerade die Diplomblase? NZZ, 2.4. von Milosz Matuschek
Würden die Proteste am Sonntagnachmittag stattfinden, wären sie nur ein
putziger Spaziergang durch die Städte. Dadurch, dass sie am Freitag
stattfinden, beinhalten sie auch eine Botschaft an die Bildungspolitik, und
diese lautet: Welche Bildung verpassen wir eigentlich, wenn wir die Luft
weiterhin verpesten und natürliche Lebensgrundlagen vernichten? Das, wofür die
Millennials noch zu brav und strebsam waren, holt jetzt die Generation Z
nach und nimmt selbst schlechtere Noten in Kauf. Das ist von neuer Qualität. Es
liegt schon eine Weile zurück, dass junge Menschen sagten: «We don’t need no
education.»
Der Klimaprotest als Schulstreik offenbart damit noch mehr: Der Glaube
an den Generationen-Deal ist brüchig geworden. Kann es uns morgen tatsächlich
besser gehen als heute (und was heisst überhaupt «besser»), wenn wir so
weitermachen wie bisher? Ein Mehr an Diplomen scheint keine Antwort auf die
Frage bereitzuhalten, wie unendliches Wachstum in einer Welt endlicher
Ressourcen funktionieren soll. Gute Noten und Diplome sind gerade für junge
Leute zudem immer weniger wert, seitdem diese gefühlt fast jeder hat. Ein
weiteres Statussymbol der Mittelschicht könnte damit im Fallen begriffen sein.
Und die jungen Demonstranten dulden keinen Aufschub mehr, sie wollen
Veränderung jetzt statt Vertröstung auf später. Es ist an der Zeit,
anzuerkennen, dass eine neue Generation auf uns zukommt, die nicht von SUV,
Thermomix und einer Küche für 20 000 Franken träumt; die nicht in den
Konsumtempelanlagen der Innenstädte ihre Freizeit verbringen will; die einen
Generationen-Deal will, der nicht klingt wie «20 Prozent auf alles – ausser
Tiernahrung».
Ein Bildungsstreik junger Menschen ist stets ernst zu nehmen. Denn er
enthält immer auch Systemkritik. Es ist ein natürliches Phänomen, dass junge
Menschen in eine Welt hineingeboren werden, die sie sich nicht ausgesucht
haben. Und es ist ein natürliches Privileg der Jugend, die Frage zu stellen, ob
wir in der besten aller möglichen Welten leben. Der einzig wirksame Ort für
Protest ist nach wie vor die Strasse. Wo sollen sie auch hin? Politische
Parteien sind Frührentner-Vereinigungen, Aufsichtsräte sind Seniorenklubs, und
der Grossteil des Programms des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist
narkoleptisch darauf ausgerichtet, alte Menschen in den Schlaf zu wiegen, ohne
dass diese zuvor an den Ausschaltknopf der Fernbedienung kommen.
Im Kern ist der Protest ein Ausdruck über die Grenzen des Wachstums und
die Endlichkeit von Systemen. Was für das Ökosystem Erde gilt, gilt auch für
die Verheissung des Aufstiegs durch Bildung. Wenn man jedem ein
Universitätsdiplom in die Hand drückte, wäre dadurch erst einmal nur der Wert
der Diplome gesenkt und nicht schon automatisch die Aufstiegschance verbessert.
Oder wie es der Soziologe Heinz Bude einmal ausgedrückt hat: «Wenn im Theater
alle aufstehen, sieht keiner besser.» In Amerika belaufen sich die Schulden aus
Studienkrediten bereits auf über 1,5 Billionen Dollar – eine weitere Spekulationsblase?
Diplome sind Wertpapiere geworden, die sich rentieren sollen. Wenn sie es nicht
tun, ist das Systemvertrauen in Gefahr. Wo Versprechen platzen, kann keine
Zuversicht in eine bessere Zukunft entstehen.
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