Das Timing ist perfekt – oder perfekt fies, je nach Perspektive. Ausgerechnet
gestern Abend hat der Zürcher Gemeinderat beschlossen, für mehr
Chancengleichheit bei der Gymiprüfung zu sorgen. Wie ein Hohn muss das auf jene
Jugendlichen wirken, die nur Stunden zuvor noch Blut geschwitzt haben. Denn
gestern war auch der letzte Tag der Aufnahmeprüfungen.
Eine staatliche Gymivorbereitung für alle Stadtkinder, Tages Anzeiger, 14.3. von Marius Huber
Hunderte Schülerinnen und Schüler aus der ganzen Stadt haben unruhig
geschlafen, sind nervös aufgestanden, und manche haben sich später wohl
gefragt, ob der Nachbar so eifrig am Schreiben ist, weil ihm die Eltern eine
teure Prüfungsvorbereitung spendiert haben. Private Lernstudios melden stark steigende
Teilnehmerzahlen. Obwohl so ein Kurs, der von August bis Februar dauert, je
nach Anbieter bis zu 3500 Franken kostet.
Kurse sind teilweise «lausig»
Dieser Preis ist für Eltern mit wenig Geld zu hoch – das betonte im Rat
unter anderem der Grüne Balz Bürgisser, der jahrelang das Aufnahmeverfahren am
Rämibühl-Gymi und die Mathe-Aufnahmeprüfungen im Kanton verantwortete. Er
sprach von «dringendem Handlungsbedarf». Die Prüfungen seien so schwierig
geworden, dass es auch für begabte Kinder nicht ohne Vorbereitung gehe. Und es
sei erwiesen, dass zusätzliche private Kurse die Aufnahmechancen ans Gymi
steigern. Oder, wie Patrik Maillard von der AL sagte, dass heute das
Portemonnaie der Eltern statt die Begabung entscheide.
Die Vertreter sämtlicher Parteien waren sich einig, dass es mit der
Chancengleichheit nicht zum Besten steht, wenn es am Zürichberg über 40 Prozent
der Kinder ins Langgymnasium schaffen, während es in Schwamendingen unter 10
Prozent sind. Und mit Ausnahme der SVP unterstützten auch alle einen Vorstoss
der Juso, der ebendies ändern will. Inhalt: Der Stadtrat müsse dafür sorgen,
dass sämtliche Schulen der Stadt eine qualitativ hochwertige Prüfungsvorbereitung
anbieten.
Zwar ist Zürich diesbezüglich heute schon weiter als manch andere
Gemeinde im Kanton: Seit ein paar Jahren gibt es hier in allen 6. Klassen der
Primarstufe und in allen 2. Sekundarschulklassen zwei Lektionen
Prüfungsvorbereitung pro Woche. Aber erstens beginnen diese laut Bürgisser im
Vergleich mit den privaten Kursen relativ spät, und zweitens variiere die
Qualität von Schule zu Schule: «Zum Teil werden sie lausig durchgeführt.»
Sogar FDP mag dafür zahlen
Dass eine Verbesserung Geld kosten dürfte, nimmt nicht nur die Linke in
Kauf. Sogar Yasmine Bourgeois von der FDP sprach sich für den Einsatz
zusätzlicher Ressourcen aus, falls nötig. Dies, obwohl sie zuvor noch Bedenken
geäussert hatte, bessere öffentliche Kurse könnten das Bildungswettrüsten
weiter verschärfen, weil dann auch wohlhabende Eltern noch mehr investierten.
Isabel Garcia von der GLP hielt fest: «Wenn Kinder ans Gymi wollen und
die Fähigkeit dazu haben, sollen sie diesen Weg gehen können, ohne dass die
Eltern Geld in die Hand nehmen.» Gute Vorbereitungskurse müssten daher in der
Volksschule kostenfrei zugänglich sein. Nur der angehende Seklehrer Stefan
Urech von der SVP hielt dagegen: Man könne nicht alle Ungerechtigkeiten mit
staatlicher Intervention einebnen. «Denn man kommt so nicht in die Stuben jener
Familien, wo dauernd der TV läuft, und kann dort nicht den Stecker ziehen.»
Zudem solle der Staat den «übertriebenen Sturm aufs Gymi» nicht noch fördern,
sondern das Prestige von Sekundarschule und Berufslehre stärken.
Ähnlich argumentierte der für die Schule zuständige Stadtrat Filippo
Leutenegger (FDP). Er warnte davor, den Maturabschluss zum Königsweg zu
überhöhen. Er verwies aufs Beispiel von Genf, wo mehr als die Hälfte aller
jungen Leute ins Gymi gehen, aber viele wieder rausfallen. Diese Abbrecher
befänden sich danach zwischen Stuhl und Bank, hätten weder Matura noch
Berufslehre. Leutenegger zeigte sich zwar «motiviert», den Vorstoss aus dem
Parlament umzusetzen, um mehr Gerechtigkeit herzustellen. «Aber nicht zum Preis
von 40 Prozent Maturanden im ganzen Land.»
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