Als ich damals in den Kindergarten eingezogen wurde, war ich sechs Jahre
alt. Ein Jahr hätte es dauern sollen. Doch die bleichsten und ängstlichsten
Kinder durften ein weiteres Jahr bleiben. Ich kam also erst mit acht Jahren in
die Schule.
Heute müssen Kinder ab vier Jahren in den Kindergarten, und das
verursacht vielen Eltern Ausschlag: «Amedeus ist doch noch so ein Zarter!»
Wieso das Kind später einschulen? Tages Anzeiger, Mamablog, 14.3. von Markus Tschannen
Der Brecht war in unseren Augen grobschlächtig genug für den
Kindergarten. Und so schritt er drei Monate nach seinem vierten Geburtstag in
Leuchtweste gehüllt den Bildungsweg ab. Als Nicht-Kitakind war es für ihn
höchste Zeit, endlich in einem Rudel unterzukommen, fanden wir. Dieses «fanden
wir» ist ziemlich entscheidend, denn der Kanton Bern erlaubt das freiwillige Zurückstellen
des Kindes um ein Jahr. Ohne ärztlichen Bericht, ohne Gespräch mit der
Bildungsdirektorin und ohne dass ein Schamane den Entscheid auspendeln muss. Im
Anmeldeformular hats einfach so eine Taste wie bei Windows: «Update nicht jetzt
installieren. In einem Jahr erinnern.»
Der Windeljoker sticht immer
Entsprechend viele Eltern machen davon Gebrauch, und so kreisen halbe
Jahrgänge in der Warteschlaufe. Das wiederum verunsichert Eltern, die
eigentlich nicht zurückstellen wollten. «Huch Patrick, Stämpflis
Abigail-Madison geht auch erst nächstes Jahr. Ob wir mit Käthi doch noch warten
sollen?» Ein Teufelskreis. Oder eher ein Satansbratenkreis.
Klar, es gibt gute Gründe fürs Zurückstellen – gerade wenn der Stichtag
kurz nach dem vierten Geburtstag liegt. Da füllt Belle-Amandine noch täglich
vier Windeln, und Sebastian hängt nicht nur am Rockzipfel, er hat sich dort
gleich mit einem Veloschloss angekettet.
«Z Hülf, der Staat raubt mir mein
Kind!»
Doch neben Belle und Sebastian gibt es auch noch Buolf. Er wäre mit fast
fünf Jahren eigentlich bereit für den Kindergarten, aber seine Eltern nicht.
Also stellen sie ihn zurück. Mit dem Resultat, dass im nächsten
Kindergartenjahr wieder alles von vier bis sechs eingetopft wird. Von frisch
aus der Windel bis kurz vor Bartwuchs.
Im Prinzip ist das unproblematisch. Zumindest in Brechts Klasse kommen
Kinder und Lehrerinnen gut mit dem Altersunterschied zurecht. Er geht in eine
Basisstufe, und da tummelt sich sowieso alles, was irgendwie unter die
Definition «Kind» fällt.
Ein Argument fürs Zurückstellen werde ich dennoch nie ganz verstehen. Es
lautet etwa so: «Was die sich da in Bern oben erlauben. Mit vier ist
Maximilian-Jason noch viel zu jung für den Ernst des Lebens!»
Ernst des Lebens? Srsly? Was denken Aeschlimanns, was ihr Sohn im
Kindergarten machen wird? Eine Steuererklärung ausfüllen, die Darmkrebsvorsorge
üben oder im Nahostkonflikt vermitteln?
The great Kindsgi
Die Kinder erhalten mit vier Jahren tatsächlich ein Mathe-Lernbuch. Das
mag manche abschrecken. Manche Eltern. Der Brecht hat sich bisher nicht
beklagt. Wir haben ihn früh geschickt und bereuen es nicht. Wobei, was heisst
eigentlich früh? Halt so, wie es das Gesetz vorsieht.
Gekriegt haben wir genau das, was man von einem Kindergarten erwarten
darf, den Kinder ab vier Jahren besuchen sollten: Ein Ort, an dem Spielen und
Lernen ineinander übergehen – wo sich Kinder gleichzeitig individuell entfalten
können und in eine grössere Gemeinschaft einfügen müssen.
Auch Maximilian-Jasons Eltern sind inzwischen ganz glücklich, dass ihr
Spross im Kindergarten gut gedeiht. Am ersten Tag nach den Ferien gibt es zwar
jedes Mal Tränen, aber Herr und Frau Aeschlimann lassen sich amigs rasch wieder
trösten.
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