27. März 2019

"Schulfach Politik ist gute Sache"

Schüler demonstrieren fürs Klima und grüne Parteien im Wahljahr danken es ihnen. Auch wir Journalisten gewähren diesen friedlichen Demos eine überwiegend wohlwollende Berichterstattung und wohl auch eine zu grosse Plattform. In der Sache kamen bisher nur symbolische Gesten wie der Klimanotstand zustande.
Während Kinder Parolen und deren Eltern «Jöö» rufen, haben die Jungfreisinnigen weniger spektakuläre, aber dafür konkrete und äusserst wichtige politische Arbeit geleistet: Der Grosse Rat empfiehlt, im Gegensatz zur Regierung, ihre Initiative für ein Schulfach Politik zur Annahme. Welch ein Erfolg für die bürgerliche Jungpartei, die sich mit Rückenwind in den Abstimmungskampf werfen kann. Mit dieser Initiative, die relativ bescheiden eine Stunde pro Woche Staatskundeunterricht einführen will, erweisen diese Jungpolitiker der Demokratie einen Dienst.
Ein Schulfach Politik stärkt die Demokratie, Basler Zeitung, 27.3. von Joël Hoffmann


Die Klimastreiks erwecken den Eindruck, dass die Jugend politisch ist, doch das sehe ich nicht so. Mit Demonstrationen hat die Jugend der miefigen älteren Generation eingeheizt und politisch-emanzipatorische Themen aufs Tapet gebracht. Diese Schüler jedoch demonstrieren für ein Thema, das seit Jahren die politische Agenda füllt. Ihr grundsätzliches Anliegen ist in weiten Teilen der Elterngeneration Konsens, oder diese hält die Demos der Jungen für harmlos, ja geradezu süss und lobenswert. Das sind sie ja auch – aber eine Demo, die verzückt? Das ist ziemlich uncool und zeigt, wie angepasst die Jugend in weiten Teilen ist.

Orientierung gesucht
Die mediale Wortschöpfung Klimajugend ist das spiessige Pendant zur Turbojugend, den weltweiten Anhängern der norwegischen Schweinerockband Turbonegro. Also: Diese Klimajugend ist im Grunde ziemlich apolitisch. Ich meine, nicht nur weil im Rahmen der demokratischen Prozesse bereits um die richtige Klimapolitik gerungen wird, sondern auch weil deren Fokus etwas gar beschränkt ist: Die Sorgen etwa der Menschen im Jemen oder in Venezuela dürften ganz andere sein als das Klima. Auch in Basel gibt es Menschen, deren Hauptsorge es ist, den Alltag zu meistern, weil trotz Festanstellung das Geld nicht zum Leben reicht. Oder: Wer sich nicht mal einen Kaffee mit Freunden leisten kann, den kümmert kein Flugverbot. Ferien sind für viele Familien sowieso ein kaum erschwinglicher Luxus.

Mir scheinen selbst klassische linke Jugend-Demos weniger einfältig zu sein: Diese protestieren zugleich gegen Krieg, Umweltzerstörung, Rassismus, Sexismus und Lohnsklaverei, weil sie in all diesen negativen Phänomenen die Auswirkungen der kapitalistischen Produktionsverhältnisse sehen. Doch eine solche Art ideologischer, also politisch-struktureller Überbau ist bei der Klimajugend nicht zu erkennen. Politische Denkmodelle sind aber grundsätzlich notwendig, um die Realität einzuordnen, um Zusammenhänge herzustellen und Auswirkungen eines politischen Entscheides abzuschätzen. Den Blick für die Gesellschaft als Ganzes, wie sie sein sollte und wie dies mit demokratischen Mitteln zu erreichen wäre, das kann ein Fach Politik vermitteln – und zwar mitten in einer Lebensphase, in der Jugendliche Orientierung suchen.

Die Zahlen belegen indes, dass die Bevölkerung seit 2009 stetig apolitischer wird, wie das Forschungsinstitut für Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich bestätigt. Die Zahl derer, die kaum oder nur oberflächliche Nachrichten konsumieren, stieg bis 2018 stark an. So ist bereits jeder dritte Mediennutzer in dem Sinne apolitisch. Bei den Jungen, also den 16- bis 29-Jährigen, sind es 53 Prozent, die sich kaum mit politischen Nachrichten befassen. Diese aktuellen Zahlen untermauern die These, dass die Jugend und damit auch die Klimastreikenden weitgehend unpolitisch oder für politische Akteure sträflich uniformiert sind.

Der Umstand, dass sich die Jugend, aber auch die älteren Generationen offenbar stetig weniger seriös mit Politik befassen, mag mit der historisch einzigartigen Friedensepoche und dem relativ hohen Wohlstand zu tun haben, den wir in Westeuropa geniessen. Das ist zwar verständlich, zeigt aber: Die politische Bildung der heutigen Kinder und Erwachsenen bis 40 Jahren wurde sträflich vernachlässigt. Es scheint, als wäre der Status quo selbstverständlich, als hätte der Totalitarismus des letzten Jahrhunderts nie überwunden werden müssen – die Demokratie wurde erkämpft und ist bedroht, etwa von den europaweit erstarkten rechtsextremen Parteien, von hochgejubelten Verschwörungspriestern, die scheinbar einfache Erklärungen liefern und eine Affinität für das faschistisch geführte Russland hegen.

In einer Demokratie aber muss der Bürger verstehen, wie Gesetze zustande kommen. Komplexe Themen wie Altersvorsorge und Steuerreform haben Auswirkungen insbesondere auch für die junge Generation. Wer gut informiert ist, bleibt weniger anfällig für Populisten jeglicher Art. Wer weiss, dass Komplexität normal ist, der sucht nicht nach der bösen Macht, die für alles Schlechte verantwortlich sein soll, oder nach dem starken Führer, der einem die Verantwortung abnimmt.

Ein Schulfach Politik ist darum eine gute Sache. 

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