Schüler demonstrieren fürs Klima und grüne
Parteien im Wahljahr danken es ihnen. Auch wir Journalisten gewähren diesen
friedlichen Demos eine überwiegend wohlwollende Berichterstattung und wohl auch
eine zu grosse Plattform. In der Sache kamen bisher nur symbolische Gesten wie
der Klimanotstand zustande.
Während
Kinder Parolen und deren Eltern «Jöö» rufen, haben die Jungfreisinnigen weniger
spektakuläre, aber dafür konkrete und äusserst wichtige politische Arbeit
geleistet: Der Grosse Rat empfiehlt, im Gegensatz zur Regierung, ihre
Initiative für ein Schulfach Politik zur Annahme. Welch ein Erfolg für die
bürgerliche Jungpartei, die sich mit Rückenwind in den Abstimmungskampf werfen
kann. Mit dieser Initiative, die relativ bescheiden eine Stunde pro Woche
Staatskundeunterricht einführen will, erweisen diese Jungpolitiker der
Demokratie einen Dienst.
Ein Schulfach Politik stärkt die Demokratie, Basler Zeitung, 27.3. von Joël Hoffmann
Die
Klimastreiks erwecken den Eindruck, dass die Jugend politisch ist, doch das
sehe ich nicht so. Mit Demonstrationen hat die Jugend der miefigen älteren
Generation eingeheizt und politisch-emanzipatorische Themen aufs Tapet
gebracht. Diese Schüler jedoch demonstrieren für ein Thema, das seit Jahren die
politische Agenda füllt. Ihr grundsätzliches Anliegen ist in weiten Teilen der
Elterngeneration Konsens, oder diese hält die Demos der Jungen für harmlos, ja
geradezu süss und lobenswert. Das sind sie ja auch – aber eine Demo, die
verzückt? Das ist ziemlich uncool und zeigt, wie angepasst die Jugend in weiten
Teilen ist.
Orientierung
gesucht
Die
mediale Wortschöpfung Klimajugend ist das spiessige Pendant zur Turbojugend,
den weltweiten Anhängern der norwegischen Schweinerockband Turbonegro. Also:
Diese Klimajugend ist im Grunde ziemlich apolitisch. Ich meine, nicht nur weil
im Rahmen der demokratischen Prozesse bereits um die richtige Klimapolitik
gerungen wird, sondern auch weil deren Fokus etwas gar beschränkt ist: Die
Sorgen etwa der Menschen im Jemen oder in Venezuela dürften ganz andere sein
als das Klima. Auch in Basel gibt es Menschen, deren Hauptsorge es ist, den
Alltag zu meistern, weil trotz Festanstellung das Geld nicht zum Leben reicht.
Oder: Wer sich nicht mal einen Kaffee mit Freunden leisten kann, den kümmert
kein Flugverbot. Ferien sind für viele Familien sowieso ein kaum
erschwinglicher Luxus.
Mir
scheinen selbst klassische linke Jugend-Demos weniger einfältig zu sein: Diese
protestieren zugleich gegen Krieg, Umweltzerstörung, Rassismus, Sexismus und
Lohnsklaverei, weil sie in all diesen negativen Phänomenen die Auswirkungen der
kapitalistischen Produktionsverhältnisse sehen. Doch eine solche Art
ideologischer, also politisch-struktureller Überbau ist bei der Klimajugend
nicht zu erkennen. Politische Denkmodelle sind aber grundsätzlich notwendig, um
die Realität einzuordnen, um Zusammenhänge herzustellen und Auswirkungen eines
politischen Entscheides abzuschätzen. Den Blick für die Gesellschaft als
Ganzes, wie sie sein sollte und wie dies mit demokratischen Mitteln zu
erreichen wäre, das kann ein Fach Politik vermitteln – und zwar mitten in einer
Lebensphase, in der Jugendliche Orientierung suchen.
Die
Zahlen belegen indes, dass die Bevölkerung seit 2009 stetig apolitischer wird,
wie das Forschungsinstitut für Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität
Zürich bestätigt. Die Zahl derer, die kaum oder nur oberflächliche Nachrichten
konsumieren, stieg bis 2018 stark an. So ist bereits jeder dritte Mediennutzer
in dem Sinne apolitisch. Bei den Jungen, also den 16- bis 29-Jährigen, sind es
53 Prozent, die sich kaum mit politischen Nachrichten befassen. Diese aktuellen
Zahlen untermauern die These, dass die Jugend und damit auch die
Klimastreikenden weitgehend unpolitisch oder für politische Akteure sträflich
uniformiert sind.
Der
Umstand, dass sich die Jugend, aber auch die älteren Generationen offenbar
stetig weniger seriös mit Politik befassen, mag mit der historisch
einzigartigen Friedensepoche und dem relativ hohen Wohlstand zu tun haben, den
wir in Westeuropa geniessen. Das ist zwar verständlich, zeigt aber: Die
politische Bildung der heutigen Kinder und Erwachsenen bis 40 Jahren wurde
sträflich vernachlässigt. Es scheint, als wäre der Status quo
selbstverständlich, als hätte der Totalitarismus des letzten Jahrhunderts nie
überwunden werden müssen – die Demokratie wurde erkämpft und ist bedroht, etwa
von den europaweit erstarkten rechtsextremen Parteien, von hochgejubelten
Verschwörungspriestern, die scheinbar einfache Erklärungen liefern und eine
Affinität für das faschistisch geführte Russland hegen.
In
einer Demokratie aber muss der Bürger verstehen, wie Gesetze zustande kommen.
Komplexe Themen wie Altersvorsorge und Steuerreform haben Auswirkungen
insbesondere auch für die junge Generation. Wer gut informiert ist, bleibt
weniger anfällig für Populisten jeglicher Art. Wer weiss, dass Komplexität
normal ist, der sucht nicht nach der bösen Macht, die für alles Schlechte
verantwortlich sein soll, oder nach dem starken Führer, der einem die
Verantwortung abnimmt.
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