Viele
Jugendliche gehen derzeit auf die Strasse und protestieren gegen die
Klimapolitik. Sie zeigen damit Emotionen für politische Fragen. Ein Fingerzeig
für die Schulen und Lehrer, die politische Bildung ernster zu nehmen.
Demonstrieren alleine genügt nicht: Lernt den Schülern Politik, nicht nur Informatik! St. Galler Tagblatt, 23.3. von Stefan Schmid
Die Jugend geht seit Wochen
auf die Strasse. Sie engagiert sich lautstark und zahlreich gegen den
Klimawandel. Die Nachricht vom Einsatz junger Menschen ist durchs Band positiv
zu werten. Jahrelang jammerten Soziologen und Politologen über das Desinteresse
der Jungen an politischen und gesellschaftlichen Fragen. Jetzt stellen wir
fest: Ganz so arg ist es nicht. Die Smartphone-Generation gibt ein
Lebenszeichen in der analogen Welt.
Angesichts der Aufmärsche werden Rufe nach einer Senkung
des Stimmrechtsalters von 18 auf 16 lauter. Verständlich. Wenn Tausende junge
Menschen, darunter viele Minderjährige, für ein politisches Anliegen auf die
Strasse gehen, ist es chic, ihnen im Wahljahr den roten Teppich auszulegen.
Diese Fürsprache für die Jungen kostet nichts und bringt im besten Fall ein
paar Stimmen ein.
Wenn aber das Hauptziel darin besteht, das politische
Interesse der jungen Generation nachhaltig zu kitzeln, dann ist eine Senkung
des Stimmrechtsalters höchstens ein Nebengleis. Viel entscheidender wäre, die
politische Bildung an den Volksschulen, Gymnasien und Fachmittelschulen zu
stärken.
Die Lage ist diesbezüglich nämlich desolat. Das Fach
Geschichte ist im Rahmen des Lehrplan-21 geschwächt worden. Faktisch ist es den
einzelnen Lehrkräften – und damit dem Zufall – überlassen, ob unsere Schüler
bis zum 16. Lebensjahr in den Genuss einer umfassenden und qualifizierten
politischen Erziehung kommen, weiland etwas barock «Staatskunde» genannt.
Selbst an den Gymnasien kommt es vor, dass Maturanden weder die SP von der SVP
noch die Legislative von der Exekutive unterscheiden können.
Das ist in einem Land, dessen politisches System auf der
aktiven Mitarbeit seiner Bürgerinnen und Bürger basiert, eine ordentliche
Fehlleistung. Es gibt in der Schweiz viel zu viele Schülerinnen und Schüler,
die sich nie ernsthaft mit Politik beschäftigen mussten. Sie sind folglich auch
nicht in der Lage, an politischen Prozessen teilzunehmen oder politische
Entwicklungen kritisch zu reflektieren.
Auf der anderen Seite werden Wirtschaftsvertreter und
ETH-Professoren nicht müde zu betonen, wie wichtig es sei, dass bald jeder
Primarschüler einen Computer programmieren könne. Es ist gleichsam
gesellschaftlicher Konsens, Fächer wie Mathematik, Informatik,
Naturwissenschaften und Technik nach Kräften zu fördern. Das macht uns fit für
die Zukunft. Mag sein. Vergessen geht dabei, dass für das Funktionieren unserer
Demokratie Programmierfähigkeiten allein nicht genügen.
Im Land der halbdirekten Demokratie, wo viele Menschen das
Gefühl haben, unser Modell sei anderen Systemen überlegen, leisten wir uns den
Luxus, die politische Bildung weitgehend den Familien zu überlassen. Wer das
Pech hat, Tochter oder Sohn unpolitischer Eltern zu sein, bekommt wenig Hilfe,
dieses Handicap im Verlaufe der Schulkarriere wettzumachen. Das darf nicht
sein. Gefragt ist daher eine gezielte Stärkung der politischen Bildung an
unseren Schulen. Es braucht Lehrerinnen und Rektoren, die den Mut haben,
Politik ins Schulzimmer zu bringen.
Das Ziel ist erst erreicht, wenn aus den klimabewegten
Jugendlichen bald Staatsbürger werden, die mit ihrer Stimme an der Urne den
Lauf der Dinge zu beeinflussen trachten. Demonstrieren alleine genügt nicht.
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