24. März 2019

Mehr Staatskunde statt Informatik

Viele Jugendliche gehen derzeit auf die Strasse und protestieren gegen die Klimapolitik. Sie zeigen damit Emotionen für politische Fragen. Ein Fingerzeig für die Schulen und Lehrer, die politische Bildung ernster zu nehmen.

Demonstrieren alleine genügt nicht: Lernt den Schülern Politik, nicht nur Informatik! St. Galler Tagblatt, 23.3. von Stefan Schmid

Die Jugend geht seit Wochen auf die Strasse. Sie engagiert sich lautstark und zahlreich gegen den Klimawandel. Die Nachricht vom Einsatz junger Menschen ist durchs Band positiv zu werten. Jahrelang jammerten Soziologen und Politologen über das Desinteresse der Jungen an politischen und gesellschaftlichen Fragen. Jetzt stellen wir fest: Ganz so arg ist es nicht. Die Smartphone-Generation gibt ein Lebenszeichen in der analogen Welt.
Angesichts der Aufmärsche werden Rufe nach einer Senkung des Stimmrechtsalters von 18 auf 16 lauter. Verständlich. Wenn Tausende junge Menschen, darunter viele Minderjährige, für ein politisches Anliegen auf die Strasse gehen, ist es chic, ihnen im Wahljahr den roten Teppich auszulegen. Diese Fürsprache für die Jungen kostet nichts und bringt im besten Fall ein paar Stimmen ein.

Wenn aber das Hauptziel darin besteht, das politische Interesse der jungen Generation nachhaltig zu kitzeln, dann ist eine Senkung des Stimmrechtsalters höchstens ein Nebengleis. Viel entscheidender wäre, die politische Bildung an den Volksschulen, Gymnasien und Fachmittelschulen zu stärken.

Die Lage ist diesbezüglich nämlich desolat. Das Fach Geschichte ist im Rahmen des Lehrplan-21 geschwächt worden. Faktisch ist es den einzelnen Lehrkräften – und damit dem Zufall – überlassen, ob unsere Schüler bis zum 16. Lebensjahr in den Genuss einer umfassenden und qualifizierten politischen Erziehung kommen, weiland etwas barock «Staatskunde» genannt. Selbst an den Gymnasien kommt es vor, dass Maturanden weder die SP von der SVP noch die Legislative von der Exekutive unterscheiden können.
Das ist in einem Land, dessen politisches System auf der aktiven Mitarbeit seiner Bürgerinnen und Bürger basiert, eine ordentliche Fehlleistung. Es gibt in der Schweiz viel zu viele Schülerinnen und Schüler, die sich nie ernsthaft mit Politik beschäftigen mussten. Sie sind folglich auch nicht in der Lage, an politischen Prozessen teilzunehmen oder politische Entwicklungen kritisch zu reflektieren.

Auf der anderen Seite werden Wirtschaftsvertreter und ETH-Professoren nicht müde zu betonen, wie wichtig es sei, dass bald jeder Primarschüler einen Computer programmieren könne. Es ist gleichsam gesellschaftlicher Konsens, Fächer wie Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik nach Kräften zu fördern. Das macht uns fit für die Zukunft. Mag sein. Vergessen geht dabei, dass für das Funktionieren unserer Demokratie Programmierfähigkeiten allein nicht genügen.

Im Land der halbdirekten Demokratie, wo viele Menschen das Gefühl haben, unser Modell sei anderen Systemen überlegen, leisten wir uns den Luxus, die politische Bildung weitgehend den Familien zu überlassen. Wer das Pech hat, Tochter oder Sohn unpolitischer Eltern zu sein, bekommt wenig Hilfe, dieses Handicap im Verlaufe der Schulkarriere wettzumachen. Das darf nicht sein. Gefragt ist daher eine gezielte Stärkung der politischen Bildung an unseren Schulen. Es braucht Lehrerinnen und Rektoren, die den Mut haben, Politik ins Schulzimmer zu bringen.

Das Ziel ist erst erreicht, wenn aus den klimabewegten Jugendlichen bald Staatsbürger werden, die mit ihrer Stimme an der Urne den Lauf der Dinge zu beeinflussen trachten. Demonstrieren alleine genügt nicht.







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