Wo immer Lucien Favre wirkt, hat er Erfolg. Kern ist seine intensive Arbeit mit jedem einzelnen Spieler – durch persönliches Vorzeigen und systematisches Üben, durch Animieren und Inspirieren, durch Vermitteln von fussballerischem Wissen und Können. Der Trainer als Fussball-Lehrer: eine pädagogische Aufgabe!
Auch Wissen zählt - der Lehrer muss mehr sein als ein Coach, Aargauer Zeitung, 13.2. von Carl Bossard
Wie
anders tönen heutige Stelleninserate für Lehrpersonen. Eine Luzerner
Stadtgemeinde sucht aktuell einen «Coach und Lernbegleiter», der sich
ausdrücklich «nicht als Wissensvermittler» sieht. Hat denn die Schule nicht
auch Grundkenntnisse zu vermitteln?, denkt man sich. Und wenn es kein Wissen
mehr zu vermitteln gibt, können dann Lehrerinnen und Lehrer noch Kompetenzen
entwickeln? Aus einem solchen Stellenbeschrieb spricht ein gefährliches
Desinteresse an Lerninhalten, wie wenn Wissen in der Schule der
Wissensgesellschaft zu vernachlässigen wäre. Dank Digitalisierung ist es ja
jederzeit und überall abrufbar. Doch wer keine historische Ahnung hat, dem
hilft auch Wikipedia nicht. Wie soll man sich ohne Wissen im 20. Jahrhundert,
in diesem «Zeitalter der Extreme», zurechtfinden?
Das
Inserat klingt wie eine Selbst-Aufgabe pädagogischen Lehrens. Wie anders als
über das Üben von Inhalten sollen Kinder denn Lernstrategien und damit
Kompetenzen des Wissenserwebs lernen? Sie lassen sich doch nur anhand von
Kenntnissen erreichen, durch nichts anderes. Das Wissen der Hand geht einher
mit dem Wissen des Kopfes. Darum formulierte Johann Heinrich Pestalozzi seinen
pädagogischen Dreiklang von Kopf-Herz-Hand. Er wusste, dass Schule und
Unterricht diese Trias miteinander entwickeln müssen, nämlich die
Geschicklichkeit der beweglichen Hand zusammen mit dem Scharfsinn im Kopf und
den Gefühlen im Herzen.
Wissen
hat es heute schwer, wenigstens in der Schule. Doch Menschen bilden sich an
Inhalten, an «Stoffen». Der geistige Horizont weitet sich an Aufgaben und
Aspekten der Welt, die zum Objekt der forschenden Neugier und dann – über das
Wissen – des Verstehens werden. Erkenntnis- und damit Bildungsprozesse
entzünden sich an konkreten Wissensbeständen, an Charles Darwins
Evolutionstheorie zum Beispiel oder an Nikolaus Kopernikus’ Weltbild. Man muss
etwas kennen, um etwas Neues zu erkennen.
Nur
in Verbindung mit Inhalten lernen wir, wie man klare Kriterien herausarbeitet,
Strukturen aufbaut, begriffliche Raster findet, präzise Fragen stellt und die
Neugier wie den Zweifel kultiviert. Im Diskurs – denkend, replizierend,
argumentierend – erwerben wir auch jene intellektuellen Fähigkeiten, auf die es
heute zwingend ankommt: kreative Intelligenz, skeptische Kompetenz, logische
Kombination. Das sind unverzichtbare Qualitäten, ohne die man im Datenmeer des
Internets ertrinkt. Alle diese Grössen sind gebunden an das, was man früher
materiale Bildung nannte, also Wissenskontexte. Kompetenz ist eben nicht ohne
Inhalte denkbar.
Damit
Schülerinnen und Schüler zu kreativem und problemlösendem Denken kommen, müssen
sie ein bestimmtes Mass an Faktenwissen erworben haben. Allein zu wissen, wo
etwas steht und wie eine Information abzurufen ist, genügt nicht. Können
braucht systematisch aufgebautes und verstandenes Strukturwissen. Damit Schüler
Informationen weiterverarbeiten können, müssen die Wissenskontexte im Kopf sein
– und nicht nur in digitalen Geräten.
Lucien
Favres Profi-Equipe ist taktisch bestens geschult. Ihr taktisches Denken
basiert auf Wissen. Der Fussball-Lehrer vermittelt es: in intensiven Übungssequenzen.
Dieses Wissen muss in den Kopf der Spieler und dort automatisiert werden. Warum
in der Schule nicht auch von Lucien Favre lernen? Favre weiss, dass Können
Wissen braucht, und er weiss, dass beides nur unter Anleitung und mit
Anstrengung erworben werden kann. Darum nimmt er Einfluss; er bestimmt die
Ziele, vermittelt die nötige Wissensbasis, zerlegt das Training in gezielte
Einheiten, gibt Feedback, sorgt für den Erwerb der notwendigen Kenntnisse und
Fähigkeiten und organisiert ausreichende Übungssequenzen. Die Effektivität
seines methodischen Vorgehens zeigt sich auf dem Feld. Borussia Dortmund ist
unter ihm «aus einer Baustelle» das deutsche Spitzenteam par excellence
geworden.
Auf
die Lehrperson und die Qualität ihres Wirkens kommt es an! Dieser Anspruch gilt
nicht nur für den Fussball-Lehrer Favre.
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