Möglichst
alle Kinder sollen gemeinsam in Regelklassen unterrichtet werden. Mit dieser sozialen
Leitidee sollen Ausgrenzungen vermieden und die Chancengerechtigkeit erhöht
werden. Doch die Umsetzung des Konzepts ist keine Erfolgsgeschichte. Die schulische
Integration von stark verhaltensauffälligen Kindern und Schülern mit besonderen
Bedürfnissen ist zu einer offenen Dauerbaustelle geworden. Die Kosten laufen
aus dem Ruder, die Klassenlehrpersonen beklagen sich über die hohe
Mehrbelastung und die wenigen Heilpädagoginnen eilen von Zimmer zu Zimmer, um
pädagogische Feuerwehrarbeit zu leisten.
Von der offenen Vision zum praxisfernen Dogma, Zürcher Oberländer, 13.2. von Hanspeter Amstutz
Ein
grosser Teil dieser unerfreulichen Entwicklung ist durch falsche bildungspolitische
Entscheidungen entstanden. Die schöne Vision des gemeinschaftlichen Lernens hat
sich längst zu einer starren Ideologie des generellen Integrierenmüssens
verfestigt. Statt pragmatisch die Integration schrittweise voranzubringen,
wurden bewährte Kleinklassen in grosser Zahl gestrichen und ein
Sonderpädagogisches Konzept installiert, das personell nicht zu bewältigen ist.
Das Modell erweist sich in finanzieller und pädagogischer Sicht als Fass ohne
Boden.
Jetzt
sollen die Klassenlehrpersonen die aufwändige Reparatur vornehmen, indem ihnen
ein Teil der heilpädagogischen Arbeit übertragen wird. Nichts gegen die
Vermittlung heilpädagogischer Grundkenntnisse im Rahmen der bisherigen Primarlehrerausbildung,
aber die mit einem Ausbau der Ausbildung verknüpften Erwartungen an eine
Rettung des starren Integrationsmodells verlängern nur dessen Agonie.
Was es
dringend braucht ist eine umfassende Analyse, weshalb die Anzahl der
Sonderpädagogischen Massnahmen viel zu hoch ist. Vor allem die Tatsache, dass
die Knaben weit mehr zusätzliche Unterstützung nötig haben als die Mädchen,
gibt zu denken. Ist ein Primarschulunterricht mit viel selbstorganisiertem
Lernen wie beispielsweise die Arbeit nach Wochenplan wirklich kindgerecht?
Gerade bei unruhigen Kindern wirkt sich ein strukturierter Unterricht mit guter
Klassenführung stabilisierend auf ihr Verhalten und ihre Leistungsbereitschaft
aus. Aber auch das Bildungsprogramm mit seinen für einseitig begabte Schüler verheerenden
Vielfalt an verbindlichen Kompetenzzielen muss hinterfragt werden. Es ist
unsinnig, Lehrpersonen mit heilpädagogisch konzipierten Nachführprogrammen in
den frühen Fremdsprachen zu beauftragen, wenn einige durchaus lernfreudige
Kinder mit drei Sprachen einfach überfordert sind.
Gründlich
ausgebildete Heilpädagogen sind in erster Linie dazu da, Blockaden bei
wesentlichen Lernprozessen zu beheben und ernsthafte Entwicklungsstörungen zu
korrigieren. Damit dies gelingt, brauchen diese Fachleute ausreichend Zeit für
die Therapiearbeit. Mit Schnellbleichen kommt man da nicht weit. Der neuste
Vorschlag zur Behebung des Fachlehrermangels würde ein aufwändiges Flickwerk
schaffen, das die Ursachen des aktuellen Malaise nicht beseitigen kann.
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